Kirche, Karneval, Digitalisierung

Ovenhausen in Westfalen – ein Ort ohne Landflucht

06:09 Minuten
Ovenhausener haben sich in Karnevalstrachten zum Gottesdienst versammelt.
Fröhliche Gesichter beim Karnevalsgottesdienst in Ovenhausen © Robert B. Fishman
von Robert B. Fishman · 03.03.2019
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Landflucht, Überalterung, Dorfsterben: auf dem Land sieht es in vielen Gegenden düster aus. Nicht aber im westfälischen Ovenhausen: dort blüht das Leben. Woran das liegt? An einer Mischung aus Vereinsleben, Kirche - und Internet.
Gute-Laune-Gottesdienst in der Dorfkirche im ostwestfälischen Ovenhausen. Die Kirche ist fast voll. Die 1000-Seelen Gemeinde zwischen den grünen, dünn besiedelten Hügeln des Weserberglands feiert alle zehn Jahre ihren großen Karneval. Nun ist es wieder so weit.
An den Wochenenden und nach Feierabend haben die Ovenhausener in den letzten Wochen ihre Wagen für den großen Karnevalsumzug gebaut.

Die Prinzengarde trainiert seit dem Kindergarten

"Wir führen den Zug ja nur alle zehn Jahre durch und da sammeln sich die Leute Ideen, da man mit Herzblut wieder drangeht und nicht einfach nur ein paar Latten zusammen nagelt, um einen Umzug zu starten, sondern da ist wirklich Herzblut drin und dann ist dann auch entsprechend so was, dass man mit viel Arbeitseinsatz schöne Wagen zaubern will."
Erzählt Klaus Hasenbein, der den Prinzenwagen entworfen hat. Nach dem Karnevalsgottesdienst trifft man sich zum Frühschoppen im Pfarrgemeindehaus gegenüber der Kirche.
Die mehr als zehn Vereine im Dorf haben keine Nachwuchssorgen. Die jungen Leute machen mit. Die 18jährige Maria tanzt in der großen Prinzengarde des Karnevalsvereins.
"Es macht einfach mega Spaß, der Team-Zusammenhalt, die Stimmung. Seit dem Kindergarten stehen wir alle auf der Bühne. Dadurch, dass Ovenhausen einen eigenen Kindergarten hat, wird man da so mit reingezogen und es ist einfach super. Man fängt halt von klein auf direkt an."
Das Leben in Ovenhausen findet sie überhaupt nicht langweilig. Im Gegenteil.

Die Jugend bleibt - dank Abwechslung und Arbeitsplatz

"Wir haben hier die Feuerwehr, wir haben den Karnevalsverein, wir haben Leichtathletik-Gruppen, wir haben Vorlesungen. Wir haben die Caritas, die noch was mitmacht, wo auch die Jugend sich dran beteiligen kann. Hier ist immer was los und jeder kennt jeden und das ist doch das Schönste eigentlich hier. Ich bleibe auf jeden Fall hier."
Und "hierbleiben" ist für die Jugendlichen in Ovenhausen eine echte Option. Rund 20 Firmen, zumeist kleine Handwerksbetriebe, bieten in Ovenhausen und Umgebung rund 150 Arbeitsplätze. Das Dorf lebt, weil sich so viele Menschen für die Gemeinschaft engagieren. Hans Werner Gorzolka zum Beispiel ist ehrenamtlicher Kreisheimatpfleger und arbeitet im Kirchenvorstand mit.
"Unser Karnevalsgottesdienst heute Morgen war ein gutes Beispiel dafür. Die Kirche war gut gefüllt, und es war ein gutes Zeichen, dass die Menschen sich eben für derartige Dinge auch begeistern lassen."

Vielseitige Kirche: Digitalisierung und Generationentreff

Der 65jährige hat gemeinsam mit einigen Mitstreitern das Projekt Smart Country Side nach Ovenhausen geholt:
"Da haben wir es geschafft, eben in der Symbiose Kirche-mit-Caritas 15 bis 20 Dorf-Digital-Experten auf die Reise zu schicken."
Ehrenamtliche aus dem Dorf lassen sich an der Volkshochschule des Kreises Höxter zu Digitalexperten ausbilden. Anschließend geben sie ihr Wissen an die anderen Dorfbewohner weiter, schulen sie an Computern und Tablets, die das öffentlich geförderte Projekt zur Verfügung stellt.
"Das ist das eine. Wir sind auch sehr aktiv, was unsere Dorfmitte hier angeht. Wir wollen ja aus unserem Pfarrgarten noch einen wirklichen Generationentreff machen. Am Ende des Tages möchten wir einen Pilgertreff, einen Generationentreff haben. Wir möchten einen Kräutergarten haben, vielleicht auch einen Garten, den man selber pflegen kann."
Mitten in Ovenhausen: Ein Denkmal mit der Chronik des Ortes
Mitten in Ovenhausen: Ein Denkmal mit der Chronik des Ortes© Robert B. Fishman
Auch die Kirchengemeinde lebt vom Engagement ihrer Mitglieder. In Ovenhausen ist sie Teil des Dorflebens. Die Kirche bringt die Menschen in Ovenhausen zusammen und schafft Räume für Begegnungen:
"Allein die Nutzung des Pfarrheimes, wo Blaskapellen üben, wo sich der Kirchenvorstand trifft, wo sich der Ortschaftsrat trifft, wo Wahllokal ist, wo die Blutspendedienste laufen, wo Strickfrauen sind, wo Bibelkreis und Liturgiekreis tagen. Ganz wichtig ist eben für die Dorfentwicklung, dass sich Leute angezogen fühlen und sich zu irgendwelchen Veranstaltungen treffen können. Und wenn wir das anbieten können, dann haben wir als Kirche viel, viel gewonnen, und wir sind dann auch ein Stück weit weg von der reinen Kirche, die nur sich auf Gottesdienste beschränkt, sondern wir sind als Kirche mitten im Leben."

Gemeinschaft und Glasfasernetz

Am Dorfrand verkauft die katholische Kirche 15 Baugrundstücke, den Quadratmeter für nur 22 Euro. Die Nachfrage ist groß. Eine Familie aus Düsseldorf baut dort zur Zeit. Wenn Ovenhausen demnächst ans Glasfasernetz angeschlossen ist, kann der Mann von zu Hause aus arbeiten. Die Kirche, sagt Gorzolka, muss den Menschen auch etwas geben.
Bernward Mutter, im Hauptberuf Lehrer, engagiert sich im Pfarrgemeinderat. Er lobt die enge Zusammenarbeit mit Kirchenvorstand und Pastor. Er will vor allem den Jugendlichen im Dorf etwas bieten.
"Kirche ist überall da, wo sich Menschen treffen und wo Gemeinschaft erfahren wird. Bei uns ist die Sternsinger-Aktion im Pastoralverbund eine sehr, sehr starke Truppe, die wir ansprechen. Wir können die Kinder begeistern für das Projekt. Wir wollen nicht nur Erwartungen haben, sondern wir geben auch wieder was zurück. Wir machen mit den Kindern auch wieder ein Programm."

Aufbruchstimmung ohne Abwanderung

Auch Pastor Tobias Spittmann schwärmt von der Aufbruchstimmung im Dorf.
Tobias Spittmann: "Wir merken auch, dass die jungen Familien gerne wiederkommen, weil sie hier Heimat erleben und merken, dass bei der Vielfalt, die die Welt bietet, hier ein Systems ist, was sie trägt, wo sie die Kinder laufen lassen können, ohne Sorgen haben zu müssen, weil man sich kennt. Wir haben eine steigende Zahl an Taufen auch in der Gemeinde. Es ist ein Aufbruch im Augenblick da. Sie wollen wirklich stark sein, wollen ihren Ort lebendig halten."
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