Digitale Partnervermittlung

Liebesglück aus dem Computer

05:33 Minuten
Willow Winston und Gaynor Helfen, die für 'Operation Match' arbeiten, werten Daten für den ersten Computer-Dating-Dienst aus, Großbritannien, 3. Oktober 1965.
"Operation Match" war der erste Computer-Dating-Service in den USA, 1965. © Getty Images / Hulton Archive / Terry Fincher
Von Jenny Genzmer · 21.10.2020
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Heute sind Datingapps Standard, dabei gibt es die digital vermittelte Liebe bereits seit den 60er-Jahren. Schaut man sich die Geschichte dieser Partnervermittlung genauer an, wird ein grundlegendes Problem in unserer Gesellschaft sichtbar.
"Der Computer Nr. 3 sucht für mich den richtigen Boy und die Liebe ist garantiert, für beide dabei..."

In den 60er-Jahren ist auch in Europa die "Liebe per Computer" in die Mode gekommen. 11 Jahre, nachdem das US-amerikanische Fernsehen Paare präsentierte, die der Universal Automatic Computer zusammengebracht hatte, springt auch die westdeutsche Jugendzeitschrift Twen auf den Zug auf. Eine WDR-Dokumentation begleitet das Experiment:

"Wenn wir davon ausgehen, dass 10.000 Menschen bei der Aktion mitmachen, 5000 Männer, 5000 Frauen und jeder einzelne Teilnehmer hat 90 Fragen beantwortet. Wie entscheiden wir dann, wer zu wem passt? Wie bringen wir die beiden zusammen?

Die Aktion "Rendez-vous 67" warb mit dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit. Dem Computer kam die Aufgabe zu, die ausgefüllten Fragebögen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen auszuwerten. Es ging darum, möglichst viele Übereinstimmungen zu finden – moralische Werte, Religion, persönliche Vorlieben wie Figur und Alter. Was einen Menschen Jahre beschäftigen würde, sollte er in wenigen Sekunden schaffen.

"Der Computer löste im Grunde etwas, das wir heute ein klassisches Big-Data-Problem nennen würden. Er erfasste, verarbeitete und analysierte die auf Lochkarten übersetzten in Maschinensprache übertragenen Daten und generierte daraus dann Partnervorschläge."

Analoger Brief von der Computer-Datingagentur

Michael Homberg erforscht die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Eigentlich, sagt er, hätten diese digitalen Rendezvousaktionen und Vermittlungsagenturen noch sehr analog funktioniert.
"Man bekam dann einen Brief von der Computer-Datingagentur zugeschickt und da waren Telefonnummern drauf. Von den Kandidaten, die vorgesehen waren, die konnte man anrufen. Und ja, von dem Computer hatten die meisten Menschen im Laufe des Vermittlungsprozesses nichts gesehen."

"Der Computer weiß genau, für jeden Mann die richtige Frau und das Glück fällt im Augenblick aus seiner Kartei."
Glück, das aus der Kartei des Computers fällt. Liebe, unterstützt von elektronischer Datenverarbeitung. Dieser Schlager von France Gall ist Ausdruck des Fortschrittsglaubens, der bis weit in die 60er-Jahre hinein anhält. Aber nicht nur die Vorstellung von wissenschaftlicher Planbarkeit prägt den Zeitgeist, auch die Konsumfreude, die mit dem wachsenden Wohlstand in der Bevölkerung aufkommt, hinterlässt ihre Spuren in der Partnervermittlung.
"Und zwar in dem Maße, dass mit diesem Boom der Heirats- und später Partnerschaftsagenturen, die dann sukzessive auch Computer einsetzten, Vorstellungen von einem optimierbaren Partner entstanden sind, einem Partner, dem man sich nach seinen eigenen Vorstellungen aussuchen kann und dieser Idealpartner sozusagen wie eine Ware, auf dem neuen Markt der Paarbeziehung gehandelt wurde."
An diesem Markt nehmen nun auch aktiv Frauen teil, in den USA entstehen Datingservices für homosexuelle Paare. Ist das Onlinedating also eine Geschichte der Liberalisierung und Gleichberechtigung? Die Matching-Methode der "Rendez-vouz-67"-Aktion von Twen schien eher traditionell.

"Und diese Gruppen von Frauen, die wir jetzt also alle im Kernspeicher drin haben, ständig zugriffsbereit drin haben, die vergleichen wir jetzt mit den Männern. So holen wir einen Mann nach dem anderen rein, vergleichen ihn mit der Unzahl von Frauen, die für ihn theoretisch infrage kommen und holen da die circa 20 besten Paare für diesen Mann heraus."

Verstärkung alter Moralvorstellungen und Ressentiments

Beim Computerdating haben sich nicht nur religiöse, moralische und soziale Vorstellungen durch die Fragenkataloge fortgeschrieben. Das Beispiel des Hamburger Dating Instituts Altmann etwa zeigt, wie sehr mithilfe von Computern auch Ressentiments und Exklusionsmechanismen verstärkt wurden.
"... und wo der Computer eine große Normalisierungsmaschine war. Da blieben sozusagen Menschen, die in puncto sozialer Status, aber auch etwa Herkunft oder auch religiöser Einstellung nicht der Norm entsprachen, aus der Kartei ausgeschlossen, zwecks Optimierung der Vermittlungsquote."
Die Geschichte des Computerdatings ist also nicht nur eine Geschichte der Liberalisierung von Partnerschaften. Es ist auch eine Geschichte des konservativen Beharrens, sagt Homberg. Eine Gleichzeitigkeit, die bis heute anhält, schaut man etwa auf Datingportale wie OkCupid – eine der ältesten Online-Kontaktbörsen auf dem Markt.
"Die Daten, die ich über ethnische Zugehörigkeit habe, kommen von Datingseiten. Aber auf diesen Seiten gibt es einen Bias gegen schwarze Nutzer und Nutzerinnen. Egal welches Erfolgskriterium du dir anschaust, sie werden niedriger bewertet, bekommen weniger Antworten und weniger Nachrichten."
OkCupid-Mitgründer Christian Rudder sagt das in einem NPR-Interview 2014. Auch wenn heute alle Datingapps benutzen können, die Algorithmen schneller sind und noch mehr Präzision versprechen – wir haben es nicht mit einer Revolution der Partnersuche zu tun, sondern mit einer langen Tradition computergestützter Liebe. Und zu ihr gehört neben der Liberalisierung von Dating auch die Verstärkung alter Moralvorstellungen und Ressentiments.
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