Die Schriftstellerin Emily Nasrallah

Die poetische Stimme des Libanon

Die Schriftstellerin Emily Nasrallah
Die Schriftstellerin Emily Nasrallah © Cornelia Wegerhoff
Von Cornelia Wegerhoff  · 01.12.2017
Sie ist die Grande Dame der libanesischen Literatur: Keine andere kann das Land so wunderbar poetisch beschreiben und dennoch die Sorgen und Nöte beim Namen nennen wie Emily Nasrallah. Und trotz aller Krise ist sie ihrer Heimat treu geblieben.
"Wenn ich mich an meinen Schreibtisch setze, dann blicke ich auf das Meer, und es redet mit mir. Es lädt mich ein, den Stift in die Hand zu nehmen und seine Geschichten zu schreiben. Das ist das Meer von Beirut. Es gehört zum Mittelmeer. Das Meer, das ihn auf den Wellen bis zur anderen Seite der Erde getragen hat. Das Meer der Emigration und der Abwesenheit."
Emily Nasrallah – eine Poetin, die gleichsam Klartext spricht. So lieben sie die Libanesen und so berührt sie Leser in aller Welt. Und Nasrallahs großes Thema, die Emigration, ist aktueller denn je: Der Strom derer, die ihre Heimat verlassen wollen, reißt nicht ab. Schon Millionen Libanesen haben über Generationen hinweg dem Nahen Osten den Rücken gekehrt, auf der Suche nach einem vermeintlich "besseren" Leben andernorts. Emily Nasrallah gehört zu denen, die im Libanon geblieben sind. Trotz aller Krisen.
"Ich bin gegen die Emigration. Das ist der Grund, warum ich so viel darüber geschrieben habe. Ich habe zu sehr darunter gelitten. Besonders als mein Bruder - er war zwei Jahre jünger als ich - wegging. Danach habe ich ‚Septembervögel‘ geschrieben. Denn ich sah die Vögel, die im September immer in eine wärmere Zone flogen. Das war mein erster Roman."
Mehr als 50 Jahre ist das her. Jetzt sitzt Emily Nasrallah in ihrem Beiruter Wohnzimmer, blickt aus dem Fenster auf das Meer, auf die vollen Bücherregale um sie herum und auf ein erfülltes Leben. 86 ist sie dieses Jahr geworden.

"Eigentlich sollte ich Bäuerin werden"

"Ich habe mehr als 50 Bücher geschrieben. Ich danke Gott dafür, denn eigentlich sollte ich keine Schriftstellerin werden, sondern Bäuerin. Ich habe in meiner Kindheit auf dem Feld gearbeitet. Wir hatten keine weiterführende Schule. Sogar die Grundschule ging nur bis zur dritten Klasse."
In einem kleinen Dorf im Süden des Libanons ist Emily Nasrallah aufgewachsen. So wie das Mädchen Muna, ihr Alter Ego im Roman "Septembervögel". Von der Freiheit der Zugvögel kann sie nur träumen, wenn sie Oliven erntet. Doch einer, der ebenfalls aus dem Libanon ausgewandert war, sollte Emilys Förderer werden: Ihr Onkel aus New York.
"Er erzählte mir von den Mädchen in New York und ich arbeitete auf dem Feld. Ich war dann das erste Mädchen, das das Dorf verlassen hat. Ein zweiter Onkel hat meinen Brüdern und mir die Schule bezahlt."
Emily Nasrallah studiert in Beirut, arbeitet als Journalistin, wird Lehrerin. Aber ins Ausland zieht es sie nie. Im Gegenteil: Irgendwann beginnt sie, voller Heimweh und Herzenswärme über ihr altes Dorf zu schreiben. Den Libanesen in der ganzen Welt trägt Emily Nasrallah so die Heimat in Worten nach, ohne dabei nachtragend zu sein.

Grauen des Bürgerkriegs

Ab Mitte der 70er-Jahre prägt der libanesische Bürgerkrieg ihre Werke. Besonders berührend: ihr Kinderbuch "Kater Ziku lebt gefährlich". Es entstand nach dem dramatischen Tod einer Katze, die einem ihrer vier Kinder gehörte.
"Während des Krieges wurde unser Haus bombardiert und brannte ab. Ich habe die Katze danach am Fenster der Ruine gefunden, so als wenn sie schlafen würde. Das hat mich sehr berührt und ich wusste nicht, wie ich das meiner Tochter Mona sagen sollte."
Also schrieb Emily Nasrallah die Geschichte auf. Sie beginnt damit, dass Kater Ziku und die Kinder zunächst gar nicht wissen, was Krieg bedeutet. Doch schon bald dürfen sie nicht mehr im Freien spielen. Die Menschen in Beirut mauern aus Angst ihre Fenster zu und lassen schließlich Hab und Gut und sogar das geliebte Haustiere zurück, um ihr Leben vor den Bombenangriffen zu retten.
"Durch diese Katze habe ich das Bild des Krieges gezeigt. Dieses Buch wurde in viele Sprachen übersetzt, sogar auf Thailändisch. Der Krieg ist überall gleich."

Neue Kraft für neue Werke

Für ihr literarisches Gesamtwerk und ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte wurde Emily Nasrallah in diesem Jahr mit der Goethe-Medaille geehrt. Die Reise nach Weimar zur Preisverleihung habe ihr neue Kraft gegeben, sagt die 86-Jährige dankbar.
"Es ging mir in den letzten zwei Jahren nicht so gut. Wenn man krank ist, verliert man den Appetit und sogar die Lust zu schreiben. Ich hoffe, ich komme noch mal wieder. Ich habe noch Geschichten. Ich habe schon überlegt, ob ich sie diktiere."
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