Demokratie, Freiheit, Menschenrechte

Westliche Werte in der Defensive

53:58 Minuten
Illustration: Gebogener Lauf einer auf den Globus gerichteten Waffe
Westliche Werte wurden in den letzten 30 Jahren mit Arroganz und Überheblichkeit, aber mit wenig Erfolg in andere Länder exportiert, sagen die Autoren Susanne Schröter und Peter R. Neumann. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Moderation: Christian Rabhansl · 03.09.2022
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Mit Waffengewalt westliche Demokratie zu verbreiten, ist der falsche Weg. Darin sind sich Peter R. Neumann und Susanne Schröter einig. Doch wie man demokratische Werte exportiert und ob das sinnvoll ist, darüber gehen ihre Meinungen auseinander.
Der Niedergang des Westens liege eigentlich an seinen eigenen Stärken, meint der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann. Der Westen definiere sich durch Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft.
Vieles, was der Westen richtig gut mache, sei in den letzten 30 Jahren mit einer gewissen Naivität und gleichzeitig mit Arroganz und Überheblichkeit versucht worden, der Welt überzustülpen. Und das sei in vielen Fällen schiefgegangen, so Neumann.

Niedergang des Westens

An Beispielen wie Afghanistan und Irak werde dies deutlich. Aber ein ganz wichtiges Beispiel sei auch die Finanzkrise im Jahr 2007 gewesen. „Ab diesem Punkt hat China nämlich verstanden, der Westen ist im Niedergang“, zumindest sei das die Schlussfolgerung vieler chinesischer Politiker gewesen.
„Anfang der 90er-Jahre war der Westen unschlagbar. Wir haben gedacht, die Demokratie und die Markwirtschaft breiten sich überall aus. Und jetzt, 30 Jahre später, ist all das, woran wir geglaubt haben, in der Defensive“, so Neumann.
Porträt von Peter R. Neumann auf einem Podium. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und Krawatte und guckt ernst.
Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann plädiert dafür, westliche Werte in anderen Teilen der Welt mit Maß zu implementieren.© picture alliance / Ina Fassbender / dpa / Ina Fassbender
Die Ethnologin Susanne Schröter sieht die Ursachen für die Schwäche des Westens nicht nur in seiner Hybris und der Vorstellung seiner eigenen Omnipotenz: „Wenn wir so omnipotent sind, sind wir auch für alles Schlechte verantwortlich – für Hunger, für Armut, für Kriege, für Klimakatastrophe.“
Und das mache den Westen sehr anfällig für Aktivisten, die behaupten, der Westen sei strukturell rassistisch, der Westen denke ungebrochen wie damals in der Kolonialzeit, weswegen sich der Westen mehr oder weniger auflösen und anderen das Ruder übergeben müsse. „Diese Art der inneren Selbstzerstörung korrespondiert mit der Großmachtsucht nach außen“, sagt Schröter.

Man kann die Freiheit nicht mit Zwang verordnen.

Susanne Schröter, Ethnologin

Der Export unserer Demokratie in andere Länder sei daher weder legitim, noch funktioniere er, meint sie. Demokratie müsse sich selbst entwickeln, könne sich aber durchaus an einem Vorbild orientieren.
"Was überhaupt nicht geht, ist, eine freie und demokratische Gesellschaft mit Waffengewalt zu erzwingen. Das ist vom Prinzip her nicht möglich. Man kann die Freiheit nicht mit Zwang verordnen.“
Neumann dagegen hält den Export von Demokratie schon für legitim. „Wer nicht daran glaubt, dass Demokratie und universelle Menschenrechte im Prinzip für jeden Menschen der Welt zugänglich sind, der ist eigentlich nicht Teil des Westens.“
Das sei es, was den Westen ausmache, was in der französischen Revolution von 1789 proklamiert wurde und wofür die Menschen auf die Barrikaden gegangen sind, findet er.

Demokratische Bestrebungen fördern

Die Frage sei, wie Demokratie exportiert werde und da sei in den letzten 30 Jahren viel falsch gemacht worden, so Neumann. Er gebe Schröter aber recht: „Was wir absolut gelernt haben, ist, dass wir Demokratie nicht mit Waffengewalt ausbreiten können.“ Nur wenn es in einem Land demokratische Bestrebungen gebe, dann müsse man diese fördern. Dazu gehöre auch, dass von außen nicht erkennbar ist, dass der Westen diese Demokratiebewegung steuert.
„Deshalb muss man vorsichtiger sein, aber natürlich ist es absolut legitim und auch richtig, dass westliche Staaten den Wohlstand, die Demokratie und die Freiheitsrechte mit anderen Menschen teilen möchten.“ Wenn es in anderen Teilen der Welt Bestrebungen gibt, diese Rechte zu kopieren und nachzumachen, dann müsse man die auch so fördern, dass dies gelingt, so Neumann.
Porträt von Susanne Schröter vor einem Fenster. Sie trägt einen dunklen Blazer und ein farbiges Halstuch.
Die Ethnologin Susanne Schröter sieht die Einschränkung der Freiheitsrechte als Grundlage unserer Demokratie mit Besorgnis.© picture alliance / dpa / Boris Roessler
Schröter ist zwar auch davon überzeugt, dass Demokratie und westliche Freiheit das Beste aller Systeme ist, aber als Ethnologin sieht sie auch, dass dies in anderen Teilen der Welt abgelehnt wird. Sie erinnert an die Erklärung der islamischen Länder 1990 in Kairo über die Menschenrechte im Islam. Da sei alles unter den Vorbehalt der Scharia gestellt worden.

Entkoppelung von China

„Das heißt, letztlich sind dort alle Menschenrechte negiert worden.“ Dennoch sei sie natürlich dafür, überall demokratische Bestrebungen zu fördern, wo es sie gibt. Sie sei nur dagegen, proaktiv in ein Land zu gehen und Demokratie zu implementieren. Diesem Gedanken stimmt Neumann zu.
Einig sind sich beide auch, dass die Strategie „Wandel durch Handel“ weder in Bezug auf Russland noch in Bezug auf China funktioniert hat. Ganze Industriezweige seien bei uns abhängig von China geworden, so Schröter. Und Chinas erklärtes Ziel sei es, den eigenen Binnenmarkt zu stärken und Schröter schließt die Möglichkeit nicht aus, dass westliche Firmen dann möglicherweise irgendwann gar nicht mehr in China produzieren dürften und empfiehlt deswegen eine möglichst schnelle Entkoppelung von China.
„Die Chinesen denken nicht über die nächsten vier Jahre nach, sondern die Chinesen denken in Jahrzehnten.“
„Das große Datum ist 2049. Das ist das hundertjährige Jubiläum der Revolution von Mao und bis dahin möchte man gewisse Ziele erreichen. Zum einen wolle man deutlich stärker sein als die wichtigste Wirtschaftsnation der Welt, die Vereinigten Staaten. Das werden die Chinesen wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren schon erreichen.

"Der Westen ist noch zu retten"

Und dann möchte man natürlich auch die stärkste Militärmacht sein. Und zum Dritten möchte man das, was sie als historisches Gebiet von China verstehen, vereinigen. Und dazu gehört auch Taiwan.
Beide Autoren blicken in ihren Büchern aber optimistisch in die Zukunft. Susanne Schröter meint abschließend: Man kann das Ruder immer rumreißen, man muss es nur wollen. Und Peter R. Neumann sagt: „Ich glaube, dass der Westen noch zu retten ist, wenn wir die richtigen Dinge tun.“

Susanne Schröter: "Global gescheitert? - Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass"
Herder Verlag, Freiburg 2022
240 Seiten, 20 Euro

Peter R. Neumann: "Die neue Weltunordnung - Wie sich der Westen selbst zerstört"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022
336 Seiten, 24 Euro

Die Lesart aus dem Grillo-Theater Essen ist eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Schauspiel Essen, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und der Buchhandlung Proust.

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