Die Lausitz

Letzte Bastion der Braunkohle

Abraum fällt von einer Förderbrücke im Braunkohletagebau Jänschwalde der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG), ehemals Vattenfall AG, am 04.01.2017 unweit der Ortschaft Grießen (Brandenburg).
Braunkohle-Förderung in der Lausitz, Brandenburg © dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 17.07.2017
Die Braunkohleverstromung ist ein Klimakiller. Doch in der Lausitz hängen Tausende Arbeitsplätze am Tagebau - dementsprechend heftig wehrt sich die rot-rote Landesregierung in Brandenburg gegen konkrete Ausstiegspläne. Wie also geht es weiter?
Noch vier Tagebaue betreibt die Lausitz Energie Bergbau AG, kurz LEAG: In Brandenburg Jänschwalde und Welzow-Süd, in Sachsen Nochten und Reichwalde. Die dort geförderte Braunkohle wird in den Kraftwerken Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg verstromt.
Das Mahlen der Kohlemühlen in den Kraftwerken kann noch eine Weile so weiter gehen: In den genehmigten Abbaufeldern liegen derzeit noch rund 900 Millionen Tonnen Braunkohle. 8.000 Menschen verdienen in der ansonsten strukturschwachen Lausitz ihr Brot direkt bei der LEAG, dazu kommen die vielen Zulieferbetriebe.
Zu DDR-Zeiten arbeiteten zehntausende Kumpel in mehr als einem Dutzend Tagebauen. Damals wurde die Kohle "Schwarzes Gold" genannt und Schwarze Pumpe galt als "Flamme des Sozialismus".
Diese Zeiten sind längst vorbei: 2014 verkündet der Betreiber, der schwedische Staatskonzern Vattenfall, sich aus dem Geschäft mit der klimaschädlichen Braunkohle zurückzuziehen. Das Revier steht unter Schock.
Nach anderthalb Jahren Hängepartie findet sich ein Investor: Die tschechische Holding EPH aus Prag steigt ein. EPH gründet mit dem alten Vattenfall-Personal die LEAG und erbt auch die Braunkohlepläne von Vattenfall, die neue Tagebaue erlauben.
"Seit Abschluss dieser Braunkohlepläne haben sich allerdings die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen am Strommarkt sowie insbesondere die von der Bundesregierung zu verantwortenden politisch-regulatorischen Rahmenbedingungen massiv verschlechtert", klagt der Aufsichtsratsvorsitzende der LEAG, Hartmuth Zeiß, am 30. März, bei der mit Spannung erwarteten Vorstellung des neuen Revierkonzeptes am Sitz des Energiekonzerns in Cottbus.
"Allein in den letzten zwei Jahren ist es zu mehrfachen und bedauerlicherweise zum Teil auch erfolgreichen Versuchen der Bundespolitik gekommen, regulatorisch in das Geschäft der Braunkohleverstromung einzugreifen."
Die Bundesregierung wolle Deutschlands Klimaziele im Wesentlichen auf dem Rücken der Braunkohle erreichen, meint Zeiß vorwurfsvoll. Langfristige Planungen würden in Frage gestellt:
"Der nachhaltige Verfall der Strompreise sowie die Anti-Kohle-Politik der Bundesregierung zwingen das Unternehmen zu einer Anpassung der Planungen an den Energiestandorten Jänschwalde, Welzow-Süd und Nochten an diese veränderten Realitäten."

Entscheidung über weiteren Tagebau vertagt

Konkret bedeutet das: Die LEAG lässt mehr als 400 Millionen Tonnen Kohle im Boden. Am Standort Jänschwalde östlich von Cottbus wird der Tagebau nicht erweitert. Die Entscheidung über den Tagebau Welzow wird bis 2020 vertagt.
Auf sächsischer Seite wird der Tagebau Nochten zwar erweitert, aber nur ein bisschen, erklärt LEAG-Chef Helmar Rendezj:
"Würden wir uns für die vollständige Nutzung des Abbaugebietes zwei im ersten Halbjahr 2017 entscheiden, würde dies mit der Umsiedlung von rund 1.700 Menschen und den notwendigen Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe auch in die bergmännische Infrastruktur verbunden sein."
Und ob diese Investitionen jemals über den Stromverkauf wiedererwirtschaftet werden könnten, sei unter den derzeitigen Rahmenbedingungen mehr als fraglich.
"Die LEAG nimmt daher Abstand von den Planungen, in Nochten das Abbaugebiet zwei vollständig zu gewinnen. Zur Sicherung der Versorgung der Kraftwerke, insbesondere des modernsten Kraftwerks, was wir haben, des Blockes R in Boxberg, benötigen wir allerdings die Braunkohle eines Teils des Abbaugebietes zwei, das sogenannte Sonderfeld Mühlrose."
Draußen vor dem LEAG-Gebäude hört ein Grüppchen Demonstranten die Neuigkeiten mit Erleichterung: Es sind Umweltschützer und Kohlegegner, sie wenden sich schon seit Jahren gegen neue Tagebaue und Umsiedlungen
"Es hätte schlimmer kommen können", sagt Wolfgang Dohmeyer von Greenpeace Cottbus.
"Aber es werden trotzdem 300 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre entlassen. Man müsste ja eigentlich darüber nachdenken, die vorhandenen Tagebaue eher noch zu verkleinern – und dann noch einen neuen, das geht eigentlich gar nicht."
Zur Belastung der Atmosphäre kämen noch Lärm und Feinstaub, die Anwohner aushalten müssten, mahnt Dohmeyer:
"Dann die Belastung durch Quecksilber, dann die Verockerung der Spree, Arbeitsplätze im Spreewald gehen verloren, die im Tourismus arbeiten, in der Landwirtschaft. Berlin hat Probleme mit dem Trinkwasser durch die Tagebaue, also es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, weiterhin Tagebaue zu betreiben."
Edith Penk - Kohlegegnerin aus Schleife, Lausitz. 
Edith Penk - Kohlegegnerin aus Schleife, Lausitz. © Deutschlandradio / Vanja Budde
Edith Penk war bei der kleinen Demo in Cottbus auch dabei, ein Plakat gegen die Braunkohle schwenkend. Der Widerstand gegen den schier übermächtigen Gegner habe viel Kraft gekostet, sagt die Sorbin im Garten ihres Elternhauses in Schleife in Sachsen, nahe am Tagebau Nochten. Wäre dessen Erweiterung wie geplant gekommen, hätte die LEAG ein halbes Dutzend sorbischer Dörfer abgebaggert.
"Schleife Süd, Trebendorf, also Klein Trebendorf, Rohne, Mulkwitz und Mühlrose."
Edith Penks Elternhaus in Schleife Süd wäre auch dem Erdboden gleich gemacht worden. Nach dem Entscheid in Cottbus, auf das meiste zu verzichten, hätten einige ihrer Nachbarn Freudenraketen gezündet, erzählt Edith Penk, die sehr viel jünger wirkt als ihre 80 Jahre. Andere bestellten sich die lange gewünschte neue Einbauküche.

Viele sitzen auf gepackten Koffern

Aber hier leben auch viele Menschen, die sich seit Jahren auf die Umsiedlung vorbereitet haben, auf gepackten Koffern saßen, nichts mehr am alten Haus gemacht, sich teils schon neue Domizile gekauft haben, in Erwartung der Entschädigung des Bergbautreibenden. Die fallen jetzt in ein tiefes Loch. Dementsprechend zweigeteilt sei die Stimmung, erzählt Edith Penk:
"Bei den Älteren die Freude. Und bei vielen, die jetzt schon immer im Kampf gegen die Kohle waren. Wir waren ja eine ganze Truppe. Aber man wurde eben doch dann von vielen schief angesehen."
Die Jüngeren seien eher bereit gewesen umzusiedeln, in einem neuen Dorf neu anzufangen, mit schnellem Internet und anderem Komfort, den die alten Vierseithöfe der Sorben hier nicht so bieten:
"Die haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Die sehen eine Verdienstmöglichkeit nur in der Kohle. Und die Kohle hat ja gut bezahlt, schon zu DDR-Zeiten. Das Motto war: 'Ich bin Bergmann, wer ist mehr?' Das hat natürlich die Lausitzer geprägt."
Das Thema Umsiedlung ist komplex. So sind unter den 200 Einwohnern von Mühlrose, die künftig der Erweiterung des Tagebaus Nochten weichen müssen, viele für die Umsiedlung:
"Die Klima-Camper waren beispielsweise unterwegs mit Fahrrädern dies Jahr, die Mühlroser sind dort angekommen und haben die beschimpft und - es war eine ganz schlimme Sache, dass sogar die begleitende Polizei gesagt hat: 'Das ist ja unmöglich.'"

Nachbarn beschimpfen sich

Auch Nachbarn untereinander beschimpfen sich oder reden nicht mehr miteinander: Der Disput pro oder kontra Kohle teilt die Lausitz. Täglich Brot für Jadwiga Mahling, Pfarrerin in Schleife.
"Weil Braunkohleprozesse über mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte laufen. Das heißt, die Menschen hier leben seit Jahrzehnten mit der Unsicherheit, abgebaggert zu werden. Deshalb hatten sich einige Familien darauf eingerichtet, andere wieder wollten hierbleiben.
Häufig gehen die Risse durch die Familien. Das ist eines der großen Probleme, dass einfach Familien zerrissen werden, Dorfverbände zerrissen werden. Und leider funktioniert das Prinzip 'herrsche und teile‘ immer wieder."
Das Thema beeinflusse ihre kirchliche Arbeit ganz massiv, berichtet Jadwiga Mahling, die mit ihrem Mann und den zwei kleinen Söhnen die sorbische Sprache spricht:
"Ich als Pfarrerin habe immer wieder ganz viel mit Seelsorge, aber auch immer wieder mit diesen belastenden Themen des Bergbaus zu tun. Das war mir ganz klar, als ich hier diese Stelle angetreten habe, dass das einer auch der Schwerpunkte dieser Pfarrstelle ist."
Sich Jahre lang fragen zu müssen, ob man die Oma noch auf dem Friedhof beerdigen kann oder nicht, belaste die Menschen auch psychisch sehr.
"Die Ungewissheit, die zerrt an den Nerven der Menschen. Psychosomatische Krankheiten nehmen zu, Unruhe usw."
Sybille Tetsch: "Im Mai hören Sie hier die Nachtigall, das ist total schön."
Alexander Tetsch: "Ja!"
Sybille Tetsch: "Wobei wir jetzt ein bisschen Angst haben, also ungefähr 400 Meter in die Richtung Luftlinie steht der Bagger. Und wenn der Wind ungünstig steht, hören Sie das hier ganz deutlich. Der geht jetzt hier drüben rum, nimmt Haidemühl und dreht dann hinten und kommt dann hier rüber."

Tiefe Spaltung im Dorf

Schlimmer als der Lärm sei die tiefe Spaltung im Dorf - in Kohlegegner und Kohlebefürworter, sagt Sybille Tetsch, die gemeinsam mit ihrem Mann Alexander in Proschim in Brandenburg das kleine Restaurant "Schmeckerlein"* betreibt.
Blick in den Braunkohletagebau Welzow-Süd am 24. Juni 2015 in Welzow, Brandenburg
Der Braunkohletagebau Welzow-Süd bei Cottbus© DPA
Auch die 340 Bewohner des Dorfes bei Welzow leben seit Jahrzehnten in Ungewissheit: Schon jetzt ist die Kohlegrube bis an den Rand von Proschim herangekrochen. Das Dorf müsste den Baggern weichen, sollte die LEAG den Tagebau Welzow Süd II realisieren.
Diese Entscheidung hat das neue Revierkonzept ins Jahr 2020 vertagt. Die Ungewissheit geht also weiter: pures Gift für die Dorfgemeinschaft.
Sybille Tetsch: "Es gibt garantiert Familien hier in Proschim, die werden aus ihren Häusern getragen werden müssen. Also wenn es denn dazu kommt, dass die umgesiedelt werden sollen. Dann gibt’s natürlich die anderen, die sagen: 'Wir sind eh Mieter. Es ist egal, wo ich zur Miete wohne.' Und das ist auch das Schlimme daran, dass der Ort so gespalten ist. Das ist so schlimm. Leute sprechen nicht mehr miteinander. Das ist überhaupt keine Lebensqualität mehr.
Das finden Sie aber auch in anderen Dörfern, die von dieser Umsiedlung bedroht sind. Es gibt immer welche, die dafür und die dagegen sind. Und das Schlimme ist, dass man sich nicht mehr auf Augenhöhe unterhalten kann, egal, welche Meinung jetzt der Nachbar hat. Das ist unglaublich, wenn man das nicht selber erlebt."
Streit in Welzow, am Rand des Tagebaus: Ein Grüppchen Kohlegegner protestiert mit Plakaten, andere Anwohner verteidigen das, was der Region seit mehr als 100 Jahren Lohn und Brot gibt.
"Die Region lebt von der Kohle. Alleine Welzow: Alles, was hier gebaut worden ist in den letzten Jahren, was hätten wir ohne Kohle gehabt? Ein mieses Dorf, wie es nach der Wende war, so würde es hier aussehen. Alle leben hier von der Kohle, die ganzen Handwerker, das ganze Gewerbe, die ganzen Betriebe."
"Weiter gibt’s ja nichts!"
"Wir wohnen 78 Jahre in Welzow, haben uns hier was Schönes aufgebaut, und haben gedacht, dass das mal für unser Alter etwas ist. Und jetzt, in unserem Alter, das geht jetzt das zehnte Jahr, werden wir von einem Jahr zum anderen hier verschaukelt. Unsere Interessen sind, dass wir Klarheit haben wollen."
"Wir wollen wissen, entweder wir werden abgebaggert oder wir werden nicht abgebaggert."
"Was haben wir denn für eine Regierung, fragen wir uns!"
"Wir sind bloß die Kleinen, die alles ausbaden müssen."
"Das ist doch nicht in Ordnung!"

Die Nerven liegen blank

Die Nerven liegen blank im Brandenburgischen Welzow. Im Sächsischen Schleife haben LEAG, Landrat und Landesregierung Ende Juni zum Infoabend geladen. Dutzende Autos parken rund um das Sorbische Kulturzentrum, der Saal ist voll, die Mienen versteinert.
 Das Vattenfall-Kraftwerk verfuegt ueber sechs 500 MW-Bloecke und hat eine Gesamtleistung von 3000 Megawatt. Im Kraftwerk Jaenschwalde, dem groessten Braunkohlekaftwerk Deutschlands, wird Kohle aus den Lausitzer Braunkohletagebauen verstromt.
Das größe Braunkohlekraftwerk Deutschlands in Jaenschwalde in der Lausitz© picture alliance / dpa / Andreas Franke
Die Mühlroser wollen wissen, wie das mit der Umsiedlung nun genau ablaufen soll. Die Bewohner von Schleife Süd, Trebendorf, Klein Trebendorf, Rohne und Mulkwitz fragen sich, wie es jetzt mit ihren Ortschaften weiter geht, von denen sie Jahre lang dachten, dass sie abgerissen werden.
"Wir hatten unseren Fokus wirklich für unseren neuen Ortsteil gelegt, wir wollten neue Dorfmitten schaffen, gemeinsame Umsiedlung gestalten, was natürlich dann im Hintertreffen für unseren alten Ortsteil negativ sich ausgewirkt hat, dass wir einfach aufgrund der Zukunft, dass wir dort umsiedeln, nicht mehr an unserem Gemeindehaus 'Alte Schule‘ oder Feuerwehr, was jetzt Feuchtigkeit in den Wänden oder irgendwas betrifft, nichts mehr eigentlich investiert haben."
Auch nicht in die Abwasserentsorgung, die Breitbandversorgung oder in Kindertagesstätten. Das muss jetzt alles nachgeholt werden. Der Vertreter der Staatskanzlei im fernen Dresden erklärt den Menschen, dass sie sich glücklich schätzen könnten, dafür so viele schöne Fördergelder abzugreifen.
Landrat Bernd Lange von der CDU spricht viel von der Zurückgewinnung verlorenen Vertrauens und meint, Zukunftsplanung müsse wieder möglich sein:
"Was das Wichtigste, glaube ich, ist, und das will ich Ihnen deutlich machen, dass das auch bei uns als Schwerpunkt gilt, ist, dass der Bürger selbst wieder Rechtssicherheit reinkriegt in sein Grundstück, in das, wo er sich entweder durch Umsiedlung dann befindet, oder jetzt noch auf einem Abbaugebiet sitzt nach altem Braunkohlenplan."
Denn wegen dieser alten Pläne könnten sich die Menschen auch mit dem neuen Revierkonzept der LEAG immer noch nicht sicher sein, dass die Kohlebagger nur Mühlrose dem Erdboden gleich machen, gibt Alt-Aktivistin Edith Penk zu Bedenken.
"Noch ist die Abbaggerung der Orte ja genehmigt. Und das steht noch im Braunkohleplan bei der Landesregierung. Es ist zwar noch nicht im Oberbergamt, aber das ist ja nur eine Formsache dort. Aber es ist noch nicht gestrichen, und deshalb ist das für uns auch noch so eine Situation, wo man sich gar nicht so sicher fühlt. Denn denen kann in fünf, sechs Jahren einfallen oder in zehn Jahren: 'Ach, wir brauchen die Kohle doch. Wir baggern die Dörfer doch noch ab.‘
Dann sind die Menschen, die jetzt sich darauf verlassen, dass man sich was schaffen kann, dass man in Ruhe und Frieden leben kann, ja wieder die Betroffenen. Dann fängt das Ganze von vorne an."
*In einer vorigen Version haben wir das Restaurant "Schmeckerlein" falsch bezeichnet.
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