Die komponierte Psychoanalyse
Regisseur und Ausstatter Patrick Kinmonth hat in Köln nun ein Werk Franz Schrekers auf die Bühne gebracht, eines Komponisten, der lange wenig Beachtung gefunden hat. Und mit "Die Gezeichneten" ist dem Haus ein Opernabend gelungen, der die Qualität eines immer noch unterschätzten Werks zum Leuchten bringt.
Nach 80 Jahren - so hat es die Kölner Oper mitgeteilt - stand gestern Abend zum ersten Mal wieder ein Werk von Franz Schreker auf dem Spielplan: "Die Gezeichneten". Schreker gehört zu den Komponisten, die durch die Nationalsozialisten verfemt und verfolgt wurden, bis heute gilt es als "Wiederentdeckung", wenn ein Werk von ihm über die Bühne geht. Wobei "Die Gezeichneten" in den letzten 20 Jahren doch einige Male zu sehen waren: in Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und bei den Salzburger Festspielen zum Beispiel. Jetzt also auch im Kölner Palladium, der Ausweichspielstätte der Oper, unter der musikalischen Leitung des Generalmusikdirektors Markus Stenz und inszeniert und ausgestattet von Patrick Kinmonth.
Der hat in die alte Fabrikhalle einen auf den ersten Blick fast unsichtbaren Bühnenraum geschaffen: Zwischen zwei Zuschauertribünen, die sich gegenüberstehen, hat er die Stahlträgerarchitektur der Halle um zwei verglaste Kabinen erweitert, die sich wie Schaltzentralen in den Raum einfügen. Ein Mann im schwarzen Overall schlachtet bei der einen alte Autos aus, die andere hat eine junge Künstlerin zu ihrem Atelier gemacht - so wie es nicht nur in Köln in vielen verlassenen Industrieräumen passiert.
Wenn man diesen Spielraum durchquert, um seinen Platz auf einer der Zuschauertribünen zu suchen, mag man sich fragen, wie dieses Ambiente zu Schrekers "Gezeichneten" passen wird, einer musikalischen Tragödie, die in der Adelswelt der Renaissance in Genua spielt. Wenn das Stück begonnen hat, erledigen sich alle Fragen. Die Inszenierung von Patrick Kinmonth ist ein großer Wurf, einer der seltenen Theaterabende, wo das Geschehen auf der Bühne, getragen von atmosphärischem Licht, der suggestiven Musik Schrekers und einem Ensemble mutiger und starker Sänger-Darsteller, eine eigene Realität schafft, in der alles möglich ist.
Die Renaissancewelt mischt sich in die schäbige Idylle auf dem Schrottplatz wie eine Traumwelt, die die Hauptfigur Alviano imaginiert. Plötzlich erscheinen weiß gekleidete Damen und schwarz gewandete Herren in kompletten Renaissance-Kostümen, Phantasie und Wirklichkeit durchdringen sich, ein rational nicht erklärbares, nichts desto weniger stimmiges Ganzes entsteht.
Das ist der Raum der Seelengeschichten zwischen den drei Hauptfiguren: Alviano, der Mann, der sich so hässlich findet, dass er alle Hoffnung auf die Liebe einer Frau begraben hat unter Ängsten und Komplexen und der bis ins Unerträgliche gesteigerten Sehnsucht. Carlotta, die Künstlerin, die ihm Liebe vorspielt, damit sie für das Bild, das sie von ihm malt, einen nie gesehenen Ausdruck gewinnt. Tamare, der Liebe nicht von Rausch und Demütigung und Erniedrigung unterscheiden kann.
Franz Schreker, aufgewachsen im Wien Sigmund Freuds, ist auch in den "Gezeichneten" bei seinem großen Thema: der "komponierten Psychoanalyse". Alle drei sind sie Leidende, Opfer und Täter zugleich, gefangen im Netz ihrer Begierden, getrieben von Zwängen und Schuldgefühlen. Stefan Vinke, Nicola Beller-Carbone und Simon Neal spielen dieses Drama so identifikationsstark und überzeugend, dass man fast vergisst, wie großartig sie ihre schwierigen Partien auch sängerisch meistern. Der Abend erreicht tatsächlich eine Unmittelbarkeit, die einen immer wieder vergessen lässt, dass man im Theater, gar in der Oper mit ihren hochkomplexen Anforderungen, sitzt. Übrigens sind die drei Hauptdarsteller - wie sämtliche anderen der 25 Personen umfassenden Besetzungsliste -Rollendebutanten. Ein Umstand, der daran erinnert, dass Schreker eben immer noch nicht wieder im Repertoire angekommen ist.
Der Kölner Abend, der die Hochspannung eines Psychothrillers über dreieinhalb Stunden aufrecht hält, könnte dazu beitragen, dass sich das wieder ändert. Bevor er der Verfemung durch die Nazis anheimfiel, war Schreker einer der meistgespielten Opernkomponisten. Und die musikalische Substanz seines Werks ist beim Dirigenten Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester in den besten Händen.
In spätromantischer Riesenbesetzung finden die Musiker Platz unter und auf den umlaufenden Galerien der Fabrikhalle. Ein akustisch gewagtes, aber gelungenes Experiment. Die Klangfarbenkunst Schrekers, die das Unterbewusstsein der Figuren hörbar zu machen scheint und keine Nuance eines Affekts verpasst, wird von Stenz sensibel nachvollzogen. Üppig und schwelgerisch, wo große Klangbilder gemalt werden, aber auch in delikaten, fast kammermusikalisch durchhörbaren Passagen. Die Musik hat unbegrenzte Entfaltungsmöglichkeiten, weil Regisseur und Ausstatter Patrick Kinmonth ihr diese Freiräume gibt. Da die Szene die Geschichte nicht naiv bebildert, kommt die Musik nicht in Gefahr, zur bloßen Illustration zu verkommen. Schreker kann Welten schaffen - die Konfrontation mit dem kargen Schrottplatz bewahrt seine Klangwelt davor, zu bloßen Illustration, zur Filmmusik im banalen Sinne zu verkommen. In Köln ist ein Opernabend gelungen, der die Qualität eines immer noch unterschätzten Werks zum Leuchten bringt.
Der hat in die alte Fabrikhalle einen auf den ersten Blick fast unsichtbaren Bühnenraum geschaffen: Zwischen zwei Zuschauertribünen, die sich gegenüberstehen, hat er die Stahlträgerarchitektur der Halle um zwei verglaste Kabinen erweitert, die sich wie Schaltzentralen in den Raum einfügen. Ein Mann im schwarzen Overall schlachtet bei der einen alte Autos aus, die andere hat eine junge Künstlerin zu ihrem Atelier gemacht - so wie es nicht nur in Köln in vielen verlassenen Industrieräumen passiert.
Wenn man diesen Spielraum durchquert, um seinen Platz auf einer der Zuschauertribünen zu suchen, mag man sich fragen, wie dieses Ambiente zu Schrekers "Gezeichneten" passen wird, einer musikalischen Tragödie, die in der Adelswelt der Renaissance in Genua spielt. Wenn das Stück begonnen hat, erledigen sich alle Fragen. Die Inszenierung von Patrick Kinmonth ist ein großer Wurf, einer der seltenen Theaterabende, wo das Geschehen auf der Bühne, getragen von atmosphärischem Licht, der suggestiven Musik Schrekers und einem Ensemble mutiger und starker Sänger-Darsteller, eine eigene Realität schafft, in der alles möglich ist.
Die Renaissancewelt mischt sich in die schäbige Idylle auf dem Schrottplatz wie eine Traumwelt, die die Hauptfigur Alviano imaginiert. Plötzlich erscheinen weiß gekleidete Damen und schwarz gewandete Herren in kompletten Renaissance-Kostümen, Phantasie und Wirklichkeit durchdringen sich, ein rational nicht erklärbares, nichts desto weniger stimmiges Ganzes entsteht.
Das ist der Raum der Seelengeschichten zwischen den drei Hauptfiguren: Alviano, der Mann, der sich so hässlich findet, dass er alle Hoffnung auf die Liebe einer Frau begraben hat unter Ängsten und Komplexen und der bis ins Unerträgliche gesteigerten Sehnsucht. Carlotta, die Künstlerin, die ihm Liebe vorspielt, damit sie für das Bild, das sie von ihm malt, einen nie gesehenen Ausdruck gewinnt. Tamare, der Liebe nicht von Rausch und Demütigung und Erniedrigung unterscheiden kann.
Franz Schreker, aufgewachsen im Wien Sigmund Freuds, ist auch in den "Gezeichneten" bei seinem großen Thema: der "komponierten Psychoanalyse". Alle drei sind sie Leidende, Opfer und Täter zugleich, gefangen im Netz ihrer Begierden, getrieben von Zwängen und Schuldgefühlen. Stefan Vinke, Nicola Beller-Carbone und Simon Neal spielen dieses Drama so identifikationsstark und überzeugend, dass man fast vergisst, wie großartig sie ihre schwierigen Partien auch sängerisch meistern. Der Abend erreicht tatsächlich eine Unmittelbarkeit, die einen immer wieder vergessen lässt, dass man im Theater, gar in der Oper mit ihren hochkomplexen Anforderungen, sitzt. Übrigens sind die drei Hauptdarsteller - wie sämtliche anderen der 25 Personen umfassenden Besetzungsliste -Rollendebutanten. Ein Umstand, der daran erinnert, dass Schreker eben immer noch nicht wieder im Repertoire angekommen ist.
Der Kölner Abend, der die Hochspannung eines Psychothrillers über dreieinhalb Stunden aufrecht hält, könnte dazu beitragen, dass sich das wieder ändert. Bevor er der Verfemung durch die Nazis anheimfiel, war Schreker einer der meistgespielten Opernkomponisten. Und die musikalische Substanz seines Werks ist beim Dirigenten Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester in den besten Händen.
In spätromantischer Riesenbesetzung finden die Musiker Platz unter und auf den umlaufenden Galerien der Fabrikhalle. Ein akustisch gewagtes, aber gelungenes Experiment. Die Klangfarbenkunst Schrekers, die das Unterbewusstsein der Figuren hörbar zu machen scheint und keine Nuance eines Affekts verpasst, wird von Stenz sensibel nachvollzogen. Üppig und schwelgerisch, wo große Klangbilder gemalt werden, aber auch in delikaten, fast kammermusikalisch durchhörbaren Passagen. Die Musik hat unbegrenzte Entfaltungsmöglichkeiten, weil Regisseur und Ausstatter Patrick Kinmonth ihr diese Freiräume gibt. Da die Szene die Geschichte nicht naiv bebildert, kommt die Musik nicht in Gefahr, zur bloßen Illustration zu verkommen. Schreker kann Welten schaffen - die Konfrontation mit dem kargen Schrottplatz bewahrt seine Klangwelt davor, zu bloßen Illustration, zur Filmmusik im banalen Sinne zu verkommen. In Köln ist ein Opernabend gelungen, der die Qualität eines immer noch unterschätzten Werks zum Leuchten bringt.