Die klassische "Karfreitagsoper"

Von Dieter David Scholz |
Die gymnastisch bewegte Inszenierung von Wagners "Parsifal" der katalanischen Truppe La Fura dels Baus unter Carlus Padrissa ist mehr Installation als wirkliche Auseinandersetzung mit dem Stück. Markus Stenz am Pult vermeidet dabei alles Pathetische.
Passend zu Karfreitag hat die Oper Köln eine Neuinszenierung von Richard Wagners "Bühnenweihfestspiel" "Parsifal" herausgebracht, der klassischen "Karfreitagsoper" schlechthin.

Die gymnastisch bewegte Inszenierung der katalanischen Truppe La Fura dels Baus unter Carlus Padrissa ist allerdings mehr Installation als wirkliche Auseinandersetzung mit dem Stück. Auf der Bühne dominierte das Stahlskelett einer Viertelkugel, die sich mal zur Kuppel, mal zum Gewölbebogen, zur Brücke oder zu schiffsbughaften Spitzen aufspaltet.

Belebt wird sie von rund einhundert Bühnenbildstatisten in weißen Overalls, mit Mundschutz und weiß geschminkten Gesichtern. Sie verleihen der Inszenierung etwas Gefährliches, Klinisches, Künstliches, das, gesteigert durch die Skurrilität der sciencefictionhaften Kostüme von Chu Urz, alles Unbehagen am allzu Weihevollen, Pseudokirchlichen vermeidet.

Die Gralsritter ziehen als Prozession weißgewandeter Mönche von der Bühne in den Zuschauerraum, sodass das ganze Theater einschließlich Publikum zur Gralsgesellschaft wird. Die Botschaft der Inszenierung: Wir alle sind gemeint, sind erlösungsbedürftig. Carlus Pedrissas Lesart des Stücks ist vor allem die Demonstration der Bedeutung von Ritualen als Gemeinschaftserlebnis.

Alle psychologische Auslotung und des hochinteressanten Stücks lässt er außen vor. Seine Personenregie bewegt sich an der Oberfläche der Handlung und an der Rampe. Das Bühnenbild von Roland Olbeter ändert sich ständig. Die aufwendige Produktion ist vor allem Lichtinstallation und Technikspektakel. Selbst die Blumenmädchen-Schmetterlinge bevölkern keinen exotischen Zaubergarten mehr, sondern sind eingewachsen in fahrbare Maschinen, "pneumatische Muskeln".

Wie immer arbeitet Pedrissa auch bei diesem "Parsifal" mit Videoprojektionen, die von tödlichen Formel-Eins-Rennen über Nahaufnahmen vom Kneten eines Hefeteigs bis zu einer Filmszene mit Wagners Tod in Venedig reichen. Des Komponisten Kopf wird immer wieder als dreidimensionale Computeranimation über das Bühnengeschehen projiziert, ebenso Nietzsche-Zitate in verschiedenster grafischer Anordnung. Der Gipfel der regielichen Distanzierung von Wagners "Bühnenweihfestspiel" ist die Ironisierung des "Karfreitagszaubers" im dritten Akt zum prosaischen Backstubenzauber.

Gurnemanz selbst tritt als Bäckermeister auf und bäckt ein Brot nach dem anderen. Kurz vor Ende werden im Zuschauerraum Brotschnittchen verteilt. Der finnische Bass Matti Salminen, der vor 41 Jahren von der Oper Köln aus seine internationale Karriere als einer der gefragtesten Wagnersänger startete, überzeugt in der Partie noch immer mit kluger Singautorität einer wenn auch naturgemäß mit beinahe Siebzig nicht mehr so üppigen Stimme. Marco Jentsch als Parsifal ist ein Glücksfall: ein strahlender, klarer, wortverständlicher und jugendlicher Wagnertenor fern alles Heldischen.

Boaz Daniel singt mit schönem Heldenbariton Amfortas und Klingsor, die Personifikationen konträren Umgangs mit "Ungebändigten Sehnens Pein!/Schrecklichster Triebe Höllendrang".

Dalia Schaechter ist stimmlich wie köstümlich ganz animalische "Teufels Braut". Dabei lässt Markus Stenz am Pult des hervorragend disponierten Gürzenichorchester Wagners Musik so leise wie möglich spielen und trägt die Sänger auf Händen.

Wie Carlus Pedrussa im Szenischen, vermeidet Stenz musikalisch alles Pathetische, Weihevolle, allzu Sakrale. Sein Dirigat offenbart einen intimen, impressionistischen, farben und parfumreichen "Parsifal", dem in der Ausweichspielstätte eines Musicaltheaterzelts des wegen Sanierung geschlossenen Kölner Opernhauses ohnehin alles Weihevolle abgeht.
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