Die Geschichte des "V-Wortes"
Die Rede vom Vertrauen ist mittlerweile omnipräsent. Für die Historikerin Ute Frevert ist das Ausdruck einer Emotionalisierung in der Moderne. Ihre These scheint plausibel, das Buch lässt sich gut und flüssig lesen - doch es hat auch Schwächen.
Vertrauen – ein aktuelleres Thema lässt sich gerade dieser Tage kaum denken. Seit den jüngsten Enthüllungen über den Umfang der Ausspähtätigkeit der amerikanischen NSA (Frau Merkels Handy!) ist allenthalben von einer "Vertrauenskrise" die Rede, das "Vertrauen zu den USA" gilt als massiv gestört, Präsident Obama hat persönlich "Vertrauen verspielt". Von dem Vertrauensverlust der Katholiken im Bistum Limburg ganz zu schweigen.
Auf diese brandaktuellen Fälle kann das Buch der Historikerin Ute Frevert, das vor gut einem Monat erschienen ist und auf mehr als 10 Jahre alte Forschungszusammenhänge zurückgeht, natürlich nicht reagieren, aber nahe genug an die Gegenwart führt es doch heran. Frevert, die sich als Direktorin des Forschungsbereiches "Geschichte der Gefühle" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung seit einigen Jahren intensiv mit Phänomenen emotionaler Natur befasst, schlägt einen großen (und eklektischen) Bogen vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Zeitgeschichte, vom bürgerlichen Liebes- und Freundschaftsideal des 19. Jahrhunderts über die Pädagogik des 20. Jahrhunderts bis hin zur Wirtschaft und Politik im 21. Jahrhundert, um die zentrale Rolle des Vertrauens in unserer Kultur näher zu beleuchten und konstatiert: Der Begriff wird in der Moderne nicht nur in persönlichen Nahverhältnissen, sondern auch in politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen geradezu inflationär gebraucht. Wir vertrauen unseren Ehepartnern (oder tragischerweise auch nicht, wie im Falle von Elsa und Lohengrin), unsere Freundschaften beruhen auf gegenseitigem Vertrauen, die Pädagogik redet dauernd vom Vertrauen der Schüler (und Eltern) in die Lehrer, die Geschichte der Produkt- und der Wahlwerbung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt in geradezu unheimlichem Umfang als eine Geschichte des "V-Wortes" schreiben.
Schwer zu sagen ist allerdings auch nach Lektüre des Bandes, was all die unterschiedlichen Kontexte eint, in denen "Vertrauen" in der Moderne relevant ist: was hat das romantische Liebesideal des bürgerlichen Zeitalters, demzufolge die Partner sich grenzenloses Vertrauen entgegenbringen wollen, mit der Werbesprache des 20. Jahrhunderts, derzufolge wir Nescafé, Nivea-Creme oder Persil-Waschmittel "vertrauen" sollen, gemein? Wie viel Ähnlichkeit besteht zwischen der im 19. Jahrhundert exzessiv zelebrierten "Vertrautheit" von Männerfreundschaften und dem Vertrauen, das die Bürger in ihre Regierung zu setzen aufgerufen sind (oder das die DDR-Führung Brechts sarkastischer Analyse zufolge in ihr Volk gerne mal verlor)?
Frevert bietet darauf keine analytisch klare Antwort, das macht die Schwäche des Buches (oder diejenige des letztlich schwammigen Begriffes "Vertrauen") aus. Ganz allgemein interpretiert sie die zunehmende Omnipräsenz der Rede vom "Vertrauen" als Ausdruck einer viel allgemeineren "Emotionalisierung" in der Moderne: Vormals eher als zweckrational verstandene Verhältnisse – die Zweckehe, die politische Nutzfreundschaft, die obrigkeitsstaatlichen Herrschaftsverhältnisse – werden in emotionale Bindungen umgedeutet. Die Liebesheirat, die emphatische Seelenverwandtschaft, das Wählervertrauen in die demokratisch gewählten Regierungen. Das ist plausibel und entspricht anderen Ergebnissen der jüngeren Emotionsforschung.
Und: Der Band lässt sich gut und flüssig lesen und bietet eine Fülle von durchaus amüsanten und erhellenden Anekdoten und Beispielen. Wer also gegenwärtig gerne etwas Allgemeines übers "Vertrauen" ohne seine "Krise" lesen will, dem sei das Buch empfohlen.
Besprochen von Catherine Newmark
Auf diese brandaktuellen Fälle kann das Buch der Historikerin Ute Frevert, das vor gut einem Monat erschienen ist und auf mehr als 10 Jahre alte Forschungszusammenhänge zurückgeht, natürlich nicht reagieren, aber nahe genug an die Gegenwart führt es doch heran. Frevert, die sich als Direktorin des Forschungsbereiches "Geschichte der Gefühle" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung seit einigen Jahren intensiv mit Phänomenen emotionaler Natur befasst, schlägt einen großen (und eklektischen) Bogen vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Zeitgeschichte, vom bürgerlichen Liebes- und Freundschaftsideal des 19. Jahrhunderts über die Pädagogik des 20. Jahrhunderts bis hin zur Wirtschaft und Politik im 21. Jahrhundert, um die zentrale Rolle des Vertrauens in unserer Kultur näher zu beleuchten und konstatiert: Der Begriff wird in der Moderne nicht nur in persönlichen Nahverhältnissen, sondern auch in politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen geradezu inflationär gebraucht. Wir vertrauen unseren Ehepartnern (oder tragischerweise auch nicht, wie im Falle von Elsa und Lohengrin), unsere Freundschaften beruhen auf gegenseitigem Vertrauen, die Pädagogik redet dauernd vom Vertrauen der Schüler (und Eltern) in die Lehrer, die Geschichte der Produkt- und der Wahlwerbung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt in geradezu unheimlichem Umfang als eine Geschichte des "V-Wortes" schreiben.
Schwer zu sagen ist allerdings auch nach Lektüre des Bandes, was all die unterschiedlichen Kontexte eint, in denen "Vertrauen" in der Moderne relevant ist: was hat das romantische Liebesideal des bürgerlichen Zeitalters, demzufolge die Partner sich grenzenloses Vertrauen entgegenbringen wollen, mit der Werbesprache des 20. Jahrhunderts, derzufolge wir Nescafé, Nivea-Creme oder Persil-Waschmittel "vertrauen" sollen, gemein? Wie viel Ähnlichkeit besteht zwischen der im 19. Jahrhundert exzessiv zelebrierten "Vertrautheit" von Männerfreundschaften und dem Vertrauen, das die Bürger in ihre Regierung zu setzen aufgerufen sind (oder das die DDR-Führung Brechts sarkastischer Analyse zufolge in ihr Volk gerne mal verlor)?
Frevert bietet darauf keine analytisch klare Antwort, das macht die Schwäche des Buches (oder diejenige des letztlich schwammigen Begriffes "Vertrauen") aus. Ganz allgemein interpretiert sie die zunehmende Omnipräsenz der Rede vom "Vertrauen" als Ausdruck einer viel allgemeineren "Emotionalisierung" in der Moderne: Vormals eher als zweckrational verstandene Verhältnisse – die Zweckehe, die politische Nutzfreundschaft, die obrigkeitsstaatlichen Herrschaftsverhältnisse – werden in emotionale Bindungen umgedeutet. Die Liebesheirat, die emphatische Seelenverwandtschaft, das Wählervertrauen in die demokratisch gewählten Regierungen. Das ist plausibel und entspricht anderen Ergebnissen der jüngeren Emotionsforschung.
Und: Der Band lässt sich gut und flüssig lesen und bietet eine Fülle von durchaus amüsanten und erhellenden Anekdoten und Beispielen. Wer also gegenwärtig gerne etwas Allgemeines übers "Vertrauen" ohne seine "Krise" lesen will, dem sei das Buch empfohlen.
Besprochen von Catherine Newmark
Ute Frevert: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne
C.H. Beck, München 2013
258 Seiten, 17,95 EUR
C.H. Beck, München 2013
258 Seiten, 17,95 EUR