Die Gastronomie lebt wieder auf

"Manchmal sind Regeln eine Hängematte für das eigene Gewissen"

07:54 Minuten
Geöffnetes Cafe mit Gästen am Neuen See in Berlin
Sobald sich die Sonne blicken lässt, genießen die Gäste ihre Rückkehr in den Außenbereich der Gastronomie, wie hier am Neuen See in Berlin. © Imago / Stefan Zeitz
Derek Scally im Gespräch mit Axel Rahmlow · 22.05.2021
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Einen echten Lockdown habe Deutschland nicht erlebt, sagt der irische Journalist Derek Scally und verweist auf die Erfahrungen in seiner Heimat. In Berlin erwartet er nach dem "Partystau" einen gigantischen Sommer.
Angesichts der vollen Terrassen der Außengastronomie sei er in Berlin fast vom Fahrrad gefallen, sagt Derek Scally, Korrespondent der Zeitung "Irish Times". In der Hauptstadt ist das Leben zum Pfingstwochenende in die Cafés und Restaurants zurückgekehrt, nur das wechselhafte Wetter spielt nicht so richtig mit.
Derek Scally trägt Brille, steht am Fenster und schaut in die Kamera.
Der Korrespondent der "Irish Times", Derek Scally, setzt auf Selbstverantwortung beim Umgang mit den Coronaregeln. © Deutschlandradio / Uta Oettel
Gefragt, welche Corona-Regeln in Berlin jetzt eigentlich gelten, sagt der irische Berichterstatter: "Soweit ich sehen kann, ist das erstmal `Prost und dann schauen wir mal.´ Ich habe gelacht in der Woche, dass die nicht beachtete Ausgangssperre in Berlin ab sofort nicht mehr zu beachten ist." Berlin sei immer ein wenig anders. "Berlin spricht Verbote aus und sie haben nicht mal das Personal, um das zu kontrollieren."

Kein echter Lockdown

Da er aus Irland komme, wisse er von seiner Familie und seinen Freunden, was ein wirklicher Lockdown gewesen sei. "Das öffentliche Leben wurde abgeschlossen", sagte Scally. Das sei in Deutschland nicht so gewesen und in Berlin erst recht nicht. Andere Länder hätten wirklich Schlimmes erlebt.

Der Umgang mit den Regeln

Ihm seien die Regeln immer fremd geblieben und man habe ohnehin irgendwann den Durchblick verloren. Er halte Selbstverantwortung für den besseren Weg. "Manchmal sind die Regeln wie eine Hängematte für das eigene Gewissen." Solange man sich in diesem Graubereich zwischen angeblichem Lockdown und Normalität befinde, gelte es abzuwägen, wen man trifft.
Vielleicht sollte man sich in dieser Zwischenzeit noch etwas schonen und in sich gehen, was man wirklich brauche, sagt Scally. Er habe es teilweise entlastend gefunden, nicht jeder sozialen Verpflichtung nachzukommen. Davon hoffe er, etwas mitzunehmen.
Es gebe natürlich auch einen "Partystau". Viele Leute wollten tanzen, feiern und sich betrinken, sagt der Journalist. Er sei selbst wegen seiner Faszination für die 1920er Jahre nach Berlin gezogen und hätte das damals gerne miterlebt. Aber Berlin in den 2020er Jahren könnte schon etwas werden. "Ich glaube, dieser Sommer wird gigantisch sein, in anderen deutschen Städten bestimmt auch", so Scally.
Die Situation sei allerdings unverändert ernst. Jeder kenne Krankenpersonal, für die der Stress auf den Stationen weitergehe und keine Party angesagt sei. "Es ist nicht vorbei."
(gem)

Derek Scally, geboren 1977, ist Korrespondent der Zeitung "Irish Times" in Berlin. Er studierte Journalismus an der Dublin City University. Seine Hauptthemen sind deutsche und europäische Politik, Wirtschaft und Kultur. Daneben spricht er in Irland wie in Deutschland regelmäßig in Radio und Fernsehen.

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