Berliner Gastronomie

Neue Ideen gegen die Coronakrise

06:55 Minuten
Stefan Schneck, Inhaber des Nola's im Weinbergspark in Berlin-Mitte auf der leeren Sonnenterrasse seines Restaurants.
"Bei dem Wetter nicht die Terrasse bedienen zu können, ist unterirdisch", sagt Stefan Schneck, Inhaber des Restaurants am Weinbergspark in Berlin. © Deutschlandradio / Benjamin Dierks
Von Benjamin Dierks · 01.04.2021
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Berliner Gastronomen ringen um ihre Existenz: Normalerweise beschert der Frühling scharenweise Gäste, doch wegen Corona ist alles anders. Neue Testprojekte wecken Hoffnungen. Doch bis auf weiteres helfen bloß kreative Ideen - und Musik.
Die Sonne scheint warm auf den Weinbergspark in Berlin-Mitte. Auf dem Rasen sitzen Leute zu zweit oder in kleinen Grüppchen. Nur Stefan Schneck steht allein auf der großen Terrasse seines Restaurants "Nola’s" in der Mitte des Parks.
"Bei dem Wetter nicht die Terrasse bedienen zu können, ist unterirdisch, das geht gar nicht im Moment. Aber auf der anderen Seite verstehen wir es auch. Wir sehen die Zahlen selber."
Schnecks Restaurant ist seit November geschlossen. Mit der steigenden Zahl an Corona-Infektionen schwand seine Hoffnung, dass er zumindest die Terrasse bald wieder öffnen könnte.

Ein Pilotprojekt macht etwas Hoffnung

Nun besteht doch eine Chance, dass er demnächst zumindest testweise den Betrieb wiederaufnehmen kann. Der Bezirk Mitte will in einem Feldversuch einige Lokale für Besucher öffnen, die sich mithilfe von Handy-Apps beim Restaurant anmelden und vorher und nachher auf Corona testen.
"Wir freuen uns darauf und wir werden mit Sicherheit an dem Test teilnehmen. Aber für den Gast, der eigentlich nur auf unserer Terrasse einen Kaffee trinken will, ist das sehr viel Aufwand. Genauso wie es für uns in keinem Verhältnis steht zur Einnahme für eine Tasse Kaffee. Es wird ein bisschen anders, wenn ein Kunde kommt und ein zwei-, dreigängiges Menü isst, also einen Abend bei uns verbringen wird."

Eine App prüft den Test

Nur eine begrenzte Zahl an Versuchspersonen soll in den Genuss des Restaurantbesuchs kommen. Grünen-Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel plant, als Probanden die rund 4000 Beschäftigten seines Bezirksamts und der Arbeitsagentur auszuwählen.
Er ist vor allem an dem Testverfahren interessiert. Dabei testen sich die Probanden selbst und zeichnen sich dabei per Handy mit Video auf. Anhand des Videos solle eine spezielle Diagnose-App erkennen, ob der Test korrekt durchgeführt wurde, sagt von Dassel:
"Wir sehen das als eine ganz wichtige App an, weil wir natürlich auch unsere 3000 Beschäftigten – wenn wir das jetzt zweimal in der Woche tun müssen – nicht immer extern testen können, sondern die müssten sich idealerweise zu Hause testen. Und die Kombination 'ich teste mich zu Hause und wenn ich negativ bin, kann ich meine Reservierung im Restaurant wahrnehmen' klang interessant. Da stehen wir für einen Pilotversuch gern zur Verfügung. Man muss jetzt natürlich gucken: Sind die Inzidenzzahlen nicht so hoch, dass man das öffentlich gar nicht vertreten kann. Für sicher würde ich es auf jeden Fall halten."

Die Lage für die Gastronomen spitzt sich zu

Eine breite Öffnung der Gastronomie wäre der Versuch in Berlin-Mitte noch nicht. Aber die Branche ist für jede Perspektive dankbar. Viele Unternehmer stünden kurz vor der Aufgabe, sagt der Berliner Geschäftsführer des Branchenverbands Dehoga, Thomas Lengfelder:
"Wir haben diverse Umfragen, auch eine ganz aktuelle aus dem März, wonach schon 25 Prozent eine Betriebsaufgabe in Erwägung ziehen. Und 83 Prozent der Betriebe sehen sich in ihrer Existenz gefährdet. Das sind schon dramatische Zahlen."

Ein Menü aus der Paketpost

Viele Restaurants verkaufen außer Haus, um den Betrieb am Laufen zu halten. Das Tulus Lotrek in Berlin-Kreuzberg geht noch weiter. Sternekoch Max Strohe und seine Partnerin Ilona Scholl verschicken ihre Gerichte neuerdings mit einem Paketdienst in ganz Deutschland.
"Das sind dann immer so vier, fünf Gänge, die jeweils zu Hause finalisiert werden können. Wir hatten jetzt das Oster-Menü, die nächste Bestellung ist eine Little-Italy-Box mit Max’ italienischen Lieblingsgerichten."
Ilona Scholl kümmert sich um die Bestellungen am Tresen ihres kleinen Altbau-Lokals. Alles, was sich vorbereiten lässt, wie Saucen, Marinaden oder Geschmortes, erledigt Max Strohe in der Restaurantküche. Was frisch zubereitet werden muss, übernehmen die Kunden mit beiliegender Anleitung zu Hause.
"Was man zu Hause macht, ist: Dinge zu Ende backen, zum Beispiel einen Kartoffelgratin. Oder wir machen im Little-Italy-Menü eine Focaccia. Ich glaube, das höchste der Gefühle war tatsächlich, dass die Gäste sich zu Hause selbst ein Rinderfilet zum Tatar geschnitten haben."

Der Lockdown-Winter trifft hart

Die Macher des Tulus Lotrek hatten vor einem Jahr die Aktion "Kochen für Helden" initiiert und Essen an jene geliefert, die in der Pandemie besonders gefordert waren, an Krankenhäuser oder Feuerwachen zum Beispiel.
Im Sommer lief das Restaurant wieder gut. Der Lockdown im Winter brachte dann aber auch Scholl und Strohe an ihre Grenzen.
"Wir sind irgendwann einfach in eine Situation gekommen, in der man wirtschaftlich was machen muss. Und diesen Entschluss haben wir gefasst: Wir brauchen jetzt eine Möglichkeit, in irgendeiner Weise langfristiger zu funktionieren."

Kreuzberger Kneipen drehen die Musik auf

In irgendeiner Weise zu funktionieren — davon ist die alteingesessene Kreuzberger Kneipe Milchbar noch weit entfernt.
Um zumindest ein Lebenszeichen zu senden, hat Betreiber Michael Nevermann sich mit anderen Kneipiers verabredet, für einen Abend das Licht anzuschalten und die Musik aufzudrehen. "Einfach um zu zeigen, wir sind noch da und um zu versuchen, dass man eine gemeinsame Stimme hat."
Ein Musiker sitzt in einem zur Straße geöffneten Kneipenfenster und spielt Musik für die Straße. Vor dem Eingang der Kneipe hängt ein Transparent mit der Aufschrift: "Großkonzerne und Banken bekommen ruckzuck steuerfinanzierte Milliarden. Gastronomie & Kultur warten, warten, warten"
Solidarität mit gebeutelten Gastronomen: Die Band Gaguerilla spielt ein Konzert am Fenster der Kreuzberger Milchbar. © Deutschlandradio / Benjamin Dierks
In der Milchbar gibt es sogar Livemusik: Eine Zwei-Mann-Band aus der Nachbarschaft spielt am offenen Fenster ein Konzert für eine Handvoll Stammgäste, die sich vor der Kneipe versammelt haben.

Finanzhilfen decken gerade mal die Schulden

Wie viele andere Gastronomen musste Nevermann lange auf die für November und Dezember versprochenen Finanzhilfen warten. Gerade hat er die Zusage erhalten, dass zumindest die Hälfte des beantragten Geldes ausgezahlt wird.
"Die Hilfen, die jetzt kommen, werden natürlich im Prinzip gleich durchgereicht, weil ich damit meine Schulden wieder auf null bringe, und stehe dann wieder auf null, weil die Hilfen sind ja auch nur fürs Gewerbe und nicht für mich privat."

Die Kundschaft bleibt treu

Lichtblick für Nevermann: Die Genossenschaft, der das Haus gehört, ist ihm bei der Miete entgegengekommen.
Und er hat treue Gäste, die es kaum erwarten können, eines Tages wieder in der Milchbar zu trinken und nicht nur davor.
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