Das Vier-Gänge-Menü wird im Wohnmobil serviert
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Restaurants, Kneipen, Cafés dürfen derzeit nur ausliefern. Damit lässt sich aber nur ein Bruchteil der üblichen Umsätze erwirtschaften. Ein Gastronom am Bodensee hat nun erfolgreich ein neues Modell entwickelt: Bei ihm wird wieder stilvoll serviert.
Unterwegs mit Kellnerin Rosi: "Dessert, Pana cotta, gefüllte Pfannkuchen mit Vanillesauce" – das hat die Kellnerin im "Sternen" in der Bodensee-Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen auf ihrem Tablett. Sie zieht sich eine Jacke über, hastet mit dem Dessert auf dem Tablett über den riesigen Parkplatz vor dem alteingesessenen Gasthaus zu einem Wohnmobil.
"Bitteschön". Rosi reicht das Dessert hinein. "Ist bei Ihnen ein besonderer Anlass?", fragt sie. "Ja, wir haben Hochzeitstag".
Simone und Jörg Eith aus Geißlingen lassen es sich an diesem Abend gutgehen: Weiße Tischdecke, zwei halbvolle Rotweingläser auf dem Tisch. Und das Essen wie im Edelrestaurant, aber eben doch nicht im Edelrestaurant, sondern auf vier Rädern, im eigenen Wohnmobil.
"Das ist natürlich schon eine Alternative zum Restaurant auf alle Fälle", sagt Jörg Eith. "Man sitzt nicht nur im Warmen. Man sitzt auch nicht daheim". Denn man sei derzeit ohnehin ans Haus gebunden. Deshalb sei hier das Gute: "Man kommt ein bisschen raus und kann ein bisschen etwas Besonderes vom Essen haben und sich ein bisschen verwöhnen", so Jörg Eith.
Seine Frau ergänzt mit Blick auf den heutigen Hochzeitstag: "Ich frage noch meinen Mann: Wo gehen wir denn jetzt hin essen am Hochzeitstag? Ich habe keinen Bock auf In-der-Küche-stehen." Am Morgen habe ihre Kollegin dann gesagt, sie habe da etwas gehört, das sei doch die Idee.
Die Hälfte des Wochenendumsatzes
Die Arbeitskollegin wusste schon, was sich rasend schnell herumspricht im Süden Baden-Württembergs: Die Möglichkeit, sich ein leckeres Menü ins Wohnmobil kommen zu lassen.
"Wir haben Leute, die essen Vier-Gänge-Menüs - wir haben Leute, die essen manchmal nur einen Gang", sagt Martin Möcking, Mitte 30, Juniorchef im "Sternen". Häufig zu besonderen Anlässen. "Heute haben wir eine Hochzeit. Die haben heute standesamtlich geheiratet und essen bei uns." Außerdem immer wieder Goldene Hochzeiten, Silberne Hochzeiten.
Sehr besondere Anlässe – und natürlich dementsprechendes Essen, serviert aus der Küche direkt frisch auf den Tisch im Wohnmobil. Das "Sternen" musste – wie alle anderen Gaststätten auch – Anfang November wegen Corona schließen. Erlaubt ist nur noch die Auslieferung der "Speisen to go" – oder eben die Auslieferung "to Wohnmobil."
"Die Wohnmobile sind wichtig für uns." Am Wochenende mache das die Hälfte des Umsatzes aus, so Möcking.
Leute aus der Kurzarbeit halten
Hochbetrieb in der Küche – ein Duft von lecker Gebratenem zieht in die Nase: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tranchieren, klopfen, schnippeln, hacken und brutzeln, was das Zeug hält. Dass die alle ihren Job behalten haben, hängt auch mit den Wohnmobilen draußen, vor der Tür, zusammen. Auch Senior-Chefin Sabine Möcking steht in der Küche. "Also wir haben unser Küchenpersonal nicht in Kurzarbeit geschickt, die schaffen durch."
Das sei ganz wichtig, ergänzt Junior-Chef Martin Möcking."Weil: Hauptsächlich geht es darum, möglichst viele Leute aus der Kurzarbeit draußen zu halten. Das ist die Hauptintention, warum wir das überhaupt weitermachen: Und das stärkt das Team natürlich, ganz klar."
Ein Wohnmobil weiter: Familie Geissler aus Meckenbeuren wartet auf das bestellte Menü. Die Eltern Manuela und Florian haben einen Aperitif vor sich stehen, zeigen Genießerlaune. Dabei geht es nicht nur um das große Essen. Für sie ist das Schmausen auf vier Rädern ein "Tapetenwechsel", so Florian Geissler. "Und es ist super gemacht hier: Die servieren hier, sobald man ankommt, mit Kerzen, mit Blumen, mit Servietten. Das ist ein richtiges Event."
Manuela Geissler sagt: "Ich bin entlastet, muss nicht in der Küche stehen, man wird hier bedient wie im Restaurant - und noch viel besser. Irgendwie ist das eine intime, gemütliche Atmosphäre zu Viert. Und das genießen wir besonders."
Verbitterung über Regelungen
Ebenso wie das Personal, angefangen bei Rosi, der Kellnerin, bis hin zum ganzen Küchenteam: Lieber arbeiten, als zu Hause in Kurzarbeit untätig rumsitzen, heißt es. Und dabei auch noch den vollen Lohn erhalten – statt des Kurzarbeitergeldes mit allen Abstrichen. Seit mehr als einem Monat kommen Gastronom Martin Möcking und sein Team auf diese Weise bereits über die Runden. Dennoch bleibt eine Prise Verbitterung über die derzeitige Situation, die gerade die Gastronomen besonders hart trifft.
"Man gibt eine ganze Branche preis", kritisiert Martin Möcking. "Aber nicht nur die Gastronomie, sondern auch Kunst und Kultur. Dass es wirklich Sinn macht, die Gastronomie zuzumachen oder die Theater, da hat nie jemand von gesprochen. Man hat ein Exempel statuiert. Und dann hat halt die Gastronomie wieder mal zu machen müssen."
Übernachten geht nicht
Möckings Idee, leckeres Essen ins Wohnmobil vor der Tür zu servieren, geht derzeit durch die Decke: Mehr als 400 Wirte bundesweit tun es ihm mittlerweile gleich. Tendenz steigend. Wobei: So ganz ohne Restriktionen geht es dann auch wieder nicht. Wenn es sich die Gäste in ihren Wohnmobilen richtig gutgehen lassen und dabei auch noch ein, zwei, drei oder gar vier Gläschen leckeren Wein trinken wollen, wird es schwierig: Denn einfach so über Nacht mit dem Wohnmobil auf dem Parkplatz vor dem Wirtshaus stehen bleiben, ist nicht.
"Das ist verboten, das geht nicht. Also das Beherbergungsverbot respektieren wir natürlich", versichert Möcking. "Wir wollen nicht gegen irgendwelche Coronaregeln verstoßen."
Deshalb kommt, wie im Wohnmobil von Sabine und Jörg Eith, für den Fahrer nur ein Gläschen auf den Tisch – das aber stilvoll: "Zum Wohl, auf die nächsten 23 Jahre…"