Die einsame Insel

Von Hartmut Krug |
Die Geschichte des gestrandeten Engländers als Schauspielernummern-Theater: In Wien spielen Robinson Crusoe und Freitag im Zuschauerraum, ohne Bühnenbild. Robinsons imperialistische Einstellung kommt deutlich heraus, einen Spannungsbogen hat der Abend aber nicht.
"Robinson Crusoe. Projekt einer Insel" nach Daniel Defoe, nennt Jan Bosse seinen Abend. Und damit ist klar: Hier soll nicht der Roman in vollem Umfang nacherzählt werden. Bosse versucht, dessen Hauptgedanken so auszudeuten, dass das Spiel immer auch ein Kommentar zum Wesen des Theaters sein kann. Dafür wurde das Burgtheater umgebaut: Die zehn im Zuschauerraum übrig gebliebenen Stuhlreihen dienen als Spielraum. Also kein Bühnenbildzauber, von fremden Welten und der einsamen Insel wird nur erzählt. Das Ganze: ein Schauspieler-Vorführtheater.

Das Publikum schaut von seinen sich bis an die Bühnenrückwand ziehenden Stuhlreihen hinein in den Zuschauerraum. In dessen erster Reihe zu Beginn in historischen Kostümen Joachim Meyerhoff als Sohn und Ignaz Kirchner als Vater sitzen. Der Sohn will zur See, der Vater ist dagegen und singt ein Loblied auf den Mittelstand, der sicheres und erfolgreiches Leben verspricht. Doch Meyerhoff, ein Segelschiffmodell in der Hand, ist in jeder Hinsicht nicht zu halten. Im halbstündigen Schnelldurchlauf erzählt er von Robinsons Crusoes Familiengeschichte und von dessen ersten Reisen.

Dabei arbeitet die Inszenierung überdeutlich heraus, dass Defoes Held nicht nur, wenn er später Freitag zivilisieren und christianisieren will, sondern von Beginn an grundsätzlich mit der imperialen Geste eines Kolonialisten daher kommt. Dafür montiert Bosse in Defoes Text etliche verstärkende Formulierungen. Wenn Robinson, der erfolgreicher Farmer in Brasilien geworden ist, zum Beispiel auf eine Fahrt geht, um Negersklaven zu holen, heißen diese bei Bosse "Menschenmaterial für die Kolonisation".

Robinsons Schiffsuntergang wird mit einfachsten Mitteln, mit Licht, Schatten und Geräuschen angedeutet, und schon kauert Meyerhoff verängstigt und nackt zwischen den Stühlen. Wunderbar komisch gelingt der Mittelteil der knapp zweistündigen Inszenierung, in dem sich der Schiffbrüchige sein Inselreich erbaut. Das macht er nämlich, indem er sich die Bauteile aus dem Zuschauerraum nimmt: Also reißt er Lehnen von Stühlen, Stühle aus ihren Verankerungen, Bespannungen aus Logen, Teppiche vom Boden und eine Tür aus den Angeln, - und das Burgtheaterpublikum hält den Atem an. Wenn Robinson sich zum Gouverneur ernennt und eine Verfassung verkündet, setzt Meyerhoff sich einen Wandkristallleuchter als Krone auf den Kopf. Schließlich treibt Bosse dieses Spiel mit dem Theater auf die Spitze: Robinson ernennt seine Insel Esperanza zur Burg, zählt aber sofort allerlei auf, was er hier nicht tun dürfe, denn: Das oberste Gebot sei Denkmalschutz.

Zum letzten Teil kommt Ignaz Kirchner in Alltagskleidung mit dem Rollkoffer. Er schminkt sich und zieht sich um zum bunten Zerrbild des Wilden, der von Robinson zur richtigen Religion und zur Hochkultur erzogen werden soll. Schön knurrig ist Kirchner, wenn er ein Gedicht aufsagen soll. Da sein Stammestanz nicht gilt, sagt er eben ein verknautschtes "Hänschen klein" auf. Robinsons Erziehungsmaßnahmen werden als Gags über Zuschauer gegeben, die einen zu hohen Hut tragen oder immer nach der Pause fragen. Und Freitags Arbeit besteht im Entstauben der Sitze.

Hier verspielt sich die Inszenierung in ihren Einfällen, die meist recht nett sind, aber insgesamt doch keine dringliche Aufführung ergeben. Man schaut den Schauspielern Meyerhoff und Kirchner immer mal wieder gern zu, doch einen Spannungsbogen besitzt der Abend nicht.

Aber immerhin, anders als bei Defoe, einen dunklen Schluss. Gerade noch hat sich Freitag im Reifrock auf Robinsons Schoß gesetzt und sich an seine Schulter gelegt, da wird das rettende Schiff entdeckt. Wenn auch tatterig am Stock gehend, jubelt Robinson "Weiter, weiter, endlich geht es weiter" und wir verstehen: Achtung, falscher Fortschrittsoptimismus. Für Freitag ist da kein Platz mehr: er ist einfach im Dunkeln verschwunden. Fazit: kein großer, kein wichtiger Abend, sondern ein didaktisch unterfüttertes nettes Schauspielernummern-Theater.
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