We want to entertain you!

Von Christian Gampert · 21.05.2010
Francesco Cavallis "La Calisto", uraufgeführt 1651, ist eine dieser barocken Verführungs- und Verwechslungsopern - ein Stoff wie gemacht für den Regisseur Jan Bosse. Am Theater Basel brachte Bosse das Stück mit einem virtuosen Ensemble heraus, das zum Teil mitten im Publikum agiert.
Francesco Cavalli, das ist Monteverdi light. Über 40 Opern hat der Venezianer komponiert, und "La Calisto” ist im Grunde ein hübscher, tänzerischer, liedhafter Commedia-Karneval für die höfische Gesellschaft. Angeblich geht es um Keuschheit, die aber natürlich nicht bewahrt werden kann – auch das Uraufführungs-Publikum, der venezianische Adel des 17. Jahrhunderts, hatte es mehr mit dem sexuellen Abenteuer als mit der Enthaltsamkeit.

Wenn man das heute inszeniert, dann muss man zum einen die erotischen Spiele auch musikalisch beglaubigen können – und das Barockorchester Basel unter Andrea Marcon macht das vorzüglich: auf historischen Instrumenten erzeugt das Ensemble einen sehr alten, mal gedehnt lyrischen, mal fröhlich karnevalesken Klang, der immer schlank und durchsichtig bleibt. Auf dieser Folie kann Regisseur Jan Bosse dann ganz moderne Gefühlswirren inszenieren – oder vielmehr persiflieren. Denn Bosse nimmt die Ambivalenz des sexuellen Begehrens durchaus ernst (die meisten Figuren sind im Grunde bi), begegnet der Handlung aber auf Show-Niveau. Oberstes Prinzip: we want to entertain you!

Iupiter, gesungen von Luca Tittoto, taucht auf der Balustrade mitten im Publikum auf, ein Angeber in Morgenmantel und Goldkettchen, und schmachtet die Calisto an. Der Witz ist nun, dass die angeblich keusche Calisto eher ihrer Herrin, der Göttin Diana, lesbisch zugetan ist. Iupiter, ein zäh taktierender Liebhaber, verwandelt sich also per Blondhaar-Perrücke in Diana: das ist einerseits brüllend komisch, weil Bosse das inszeniert wie eine Transvestiten-Show, Kölner Karneval mit Charleys Tante. Andererseits wechselt der gelernte Baß Luca Tittoto auch stimmlich in den Countertenor. Hier wird also karikierend gesungen: komödiantisches Musiktheater auf sehr hohem Niveau.

Und Iupiter, da er nicht gleich zum Zuge kommt, lässt ersatzweise frische Wasser spritzen. Calisto wird nämlich von einer sprudelnden Liebesquelle erotisiert (und sehr attraktiv durchnässt), die bei Bosse von oben, aus den Soffitten kommt; das wirkt ein bisschen wie aus der Tourismus-Werbung – ein schön beleuchteter Wasserfall. Und die Sopranistin Maya Boog räkelt sich melancholisch durch schwierige, hohe Arabesken.

Weil sexuelle Orientierung der Calisto durchaus ungewiss ist, teilt Bosse wenigstens das Publikum eindeutig ein: im Zuschauerraum sitzen nur Frauen, auf der Bühne, die einen zweiten Zuschauerraum bildet, nur Männer. Eine perfekt symmetrische Spiegelwelt, die Stéphane Laimé ersonnen hat. In der Mitte, konsequenterweise, auch zwei Orchester: eines nur mit Frauen, eines mit Männern. Und eine Planche, auf der geturtelt und verführt wird.

Denn es gibt noch ein zweites Paar: den dunklen Astronomen Endimione, gesungen von dem Counter Xavier Sabata, und die wahre Diana, bei Agata Wilewska ein Cicciolina-Püppchen. Und einige stark behaarte Mensch-Tier-Wesen, Satyrn, Buffoni der Lust.

Bosse nutzt die breite Regenwand der Liebesquelle als Projektionsfläche für allerlei Filmeinspielungen und Traum-Sequenzen – eine optisch aparte Lösung. Und er lässt am Schluss die eifersüchtige Göttermutter Juno auf die Erde nieder, die die arme, gefoppte Calisto in einen Bären verwandelt, bevor sie von Iupiter gnadenhalber an den Sternenhimmel versetzt wird.

Die Tragik dieser Szene wird leider verharmlost; Bosse lässt das Publikum Glühlämpchen schwenken wie Feuerzeuge im Popkonzert. Ansonsten aber ist dieser Abend, den man ein wenig hätte kürzen können, lustvolle Opern- und Gesellschaftsparodie.