Die Inflation und die Deutschen

Ein historisches Missverständnis

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Millionen Deutsche Mark werden in der Reichsbank gestapelt.
Millionen Deutsche Mark gestapelt in der Reichsbank: Die Hyperinflation der 1920er-Jahre prägt noch heute den Blick auf das Thema Geldentwertung. © picture-alliance / United Archiv / TopFoto
Von Winfried Roth und Gregor Lischka · 09.02.2022
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Die deutsche Angst vor der Inflation greift wieder um sich. Dabei wird gerne auf Historisches verwiesen: die Hyperinflation, die angeblich das Ende der Weimarer Republik einläutete und den Nazis den Aufstieg ebnete. Doch diese Darstellung ist falsch.
Wie groß war die Inflation 1932, also ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten? Diese Frage hat der Wirtschaftswissenschaftler Nils Redeker vor einiger Zeit mehreren Bürgerinnen und Bürgern für eine Studie gestellt.
Selbst wenn kaum einer der Befragten solch genauen Wirtschaftsdaten im Kopf parat hat, war der Grundtenor in der repräsentativen Umfrage ziemlich eindeutig: Mehr als die Hälfte der Befragten glaubten, „dass die 1930er-Jahre eine Zeit war, die geprägt war von rasant steigenden Preisen“, sagt Redeker vom Jacques Delors Centre in Berlin.
„Ökonomisch macht das wenig Sinn, historisch ist das auch falsch. Aber das ist eine Idee, die die heutige Inflationsdebatte sehr prägt.“

Die Sorge vor der Hyperinflation

Es herrschte 1932 also keineswegs eine Hyperinflation. Im Gegenteil: Damals ließ sich eine Deflation verzeichnen, also eine negative Inflation von etwa minus sieben oder minus neun Prozent, so Redeker. Trotzdem halte sich die Vorstellung hartnäckig, “die Hyperinflation kam am Ende des Ersten Weltkriegs, sie läutete das Ende der Weimarer Republik ein und damit den Aufstieg der Nazis. Das ist so ein Motiv, das in der deutschen Debatte sehr präsent ist.“
Diese Geschichtsdeutung und die damit einhergehende Angst vor einer massiven Geldentwertung präge den Blick auf das Thema Inflation in Deutschland bis heute, betont Redeker.
„Eine Begründung dafür, warum in Deutschland eine so große Sorge vor Inflation herrscht, ist ja, dass sich die Erfahrungen der Hyperinflation Anfang der 1920er-Jahre ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.“ Die große Sorge vor der Inflation bestehe in anderen Ländern nicht oder jedenfalls nicht in einem derartigen Ausmaß, sagt Redeker.

Schrecken der Deflation sind vergessen

1923, während der "Hyperinflation", musste man die Geldscheine manchmal im Schubkarren mitnehmen – die Folge der abenteuerlichen Finanzpolitik der deutschen Regierungen im vorausgegangenen Jahrzehnt, seit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Von dieser erschreckenden, hier und da auch skurrilen Geldentwertung erzählten Millionen Menschen ihren Kindern und Enkeln.
Allerdings ist hierzulande die katastrophale Deflation fast vergessen, in die Deutschland, die USA und andere Länder um 1930 nach dem Rausch der "Goldenen Zwanziger" abstürzten. Diese Deflation brachte die Wirtschaft teilweise zum Stillstand und führte zu einer beispiellosen Arbeitslosigkeit, sie trug auch zu den Wahlerfolgen des Nationalsozialismus bei. 

Der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise

Nach dem Schwarzen Freitag 1929 mit dem Crash der New Yorker Börse griff die Zerrüttung der Finanzmärkte auf die Welt der Industrie und der Dienstleistungen über. Arbeitslosigkeit war die Folge. Die Leute verdienten nichts mehr, gaben nichts mehr aus, was zu sinkenden Preisen, also Deflation führte.
Schließlich erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland über 30 und in den USA bis zu 25 Prozent. Die wirtschaftliche Katastrophe Anfang der dreißiger Jahre trug viel zur politischen Destabilisierung der Weimarer Republik und zum Aufstieg des Nationalsozialismus bei.

Attraktiv für politische Akteure

Die Gefahren der Deflation spielen in der heutigen öffentlichen Debatte aber nur selten eine Rolle, wohingegen das Schreckgespenst der Hyperinflation weiterhin erfolgreich verfängt und die öffentliche Debatte prägt.
„Wenn man sich die Berichterstattung aktuell anschaut, dann ist schon augenfällig, dass immer wieder dieses schiefe Bild auftaucht, die Verbindung zwischen Hyperinflation in der Weimarer Republik und Aufstieg der Nazis. Das ist etwas, das im öffentlichen Diskurs sehr stark drinsteckt und sich fortsetzt“, so Redeker.
Bisweilen könne diese falsche historische Darstellung auch politisch instrumentalisiert werden. „Wenn man vor den Gefahren der Inflation warnen möchte, dann ist die Hyperinflation natürlich ein sehr, sehr starkes Motiv. Entsprechend attraktiv ist es dann auch für politische Akteure, dieses Motiv immer wieder einzubringen in die öffentliche Debatte.“
(lkn)
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