Die Bundeskanzlerin auf dem Theater

Von Ulrich Fischer |
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so die Moral von Nestroys Zauberposse aus dem Jahr 1833. Eine Moral, die in die heutigen Krisenzeiten passt. Hartmann hat den Stoff stark aktualisiert. So erscheint etwa Glücksfee Fortuna als Angela Merkel.
Nestroy beginnt eines seiner beliebtesten Volksstücke "Der böse Geist Lumpazivagabundus" mit einem Streit im Feenreich. Wer trägt mehr zum Glück der Menschen bei, Fortuna oder Amorosa, Reichtum oder Liebe? Um den Streit zu entscheiden, wetten die beiden, und am nächsten Tag gewinnen drei Gesellen das Große Los. Sie verabreden, sich nach einem Jahr wieder zu treffen, um zu erzählen, wie es ihnen ergangen ist.

Zwei vertun ihren Reichtum, doch Leim, der Tischler, macht alles richtig. Er wirbt um die Tochter seines Meisters, erfolgreich, wird selbst Meister und kann mit seinem Los-Gewinn einen soliden Grund für die Zukunft seiner Familie legen. Als nach einem Jahr sich alle wieder treffen, hilft Leim seinen Freunden und am Ende wird alles, alles gut.

Zwirn, der Schneidergeselle, ist schwer geltungssüchtig. Um als Mitglied der besseren Gesellschaft gelten zu können, schmeißt er sein Geld für Schmeichler raus – eine schneidende Kritik Nestroys an der Adelsgesellschaft seiner Zeit. Sie trifft sich mit einem anderen demokratischen Theorem: der einzige Quell des menschlichen Wohlstands ist menschliche Arbeit. Das beweist der fleißige und tüchtige Tischlergeselle und spätere Meister Leim.

Das ist harte Kost im Vormärz, denn die Aristokraten mit dem Kaiser an der Spitze sind nicht für Arbeit bekannt – das ist die Denkart der Demokraten. Und was die herrschende Klasse vor 1848 von diesen gefährlichen Bürgern hielt, lässt sich in einem Reim zusammenfassen: "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten."

Nestroy war Demokrat und er focht mit der Feder und mit seinem Theater, das ihn unsterblich gemacht hat – zu Lebzeiten freilich zum Gegner der allmächtigen Zensur, die es mit Geschmeidigkeit zu umgehen hieß.

Der Geist Lumpazivagabundus, der dem Stück dem Titel gibt, tritt nur einmal kurz auf, ist aber dennoch zentral. Er ist der Geist jener Verhältnisse, in denen die einen genießen, was die anderen durch ihrer Hände Arbeit schaffen. Er ist kein Geist, er ist ein Ungeist. In Hallein, der Werkstattbühne der Salzburger Festspiele, spielt ihn Max Mayer als diabolische Figur, nur mit einer schmutzigen Unterhose bekleidet, schwer humpelnd, weil er (nur) an einem Fuß einen hochhackigen Damenschuh trägt.

Regisseur (und Burgtheater-Direktor) Matthias aktualisiert stark in seiner Inszenierung. Die Posse bekam gleich am Anfang Schwung, als die Glücksfee Fortuna aussah wie die Bundeskanzlerin. Maria Happel karikierte sie milde, die Sprechweise Angela Merkels, ihre ungelenke Gestik, die nur selten zu dem passt, was sie sagt – und im Hintergrund prangte die Fahne der europäischen Union.

Am Ende, wenn alles, alles gut wird und die drei Gesellen in einem Haus mit ihren Frauen und Kindern wohnen – ein Happy End, das Hartmann ironisch bricht - , ist die Moral klar: Wir müssen erst mal arbeiten, ehe wir genießen können. So simpel die Einsicht ist, so wahr ist sie auch. Es ist gut, daran zu erinnern in einer Zeit, in der Spekulanten (mal wieder) Millionen machen. Mehr Ernst wäre angesichts der Krise angebracht gewesen, die Witze bordeten nicht nur über, sie verdeckten oft auch die tiefere Bedeutung.

Matthias Hartmann beherrscht eigentlich die Kunst der Komödie. Er weiß, dass es unmöglich ist, drei Stunden lang hintereinander zu lachen – es sollte immer wieder Pausen der Einsicht geben. Bei aller Kritik an der Inszenierung stimmt jedoch das Fazit, das Hartmann zieht: Lumpazivagabundus lebt.

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Aufführungen am 2., 3., 5., 6., 8., 10., 11., 12., 14., 15. und 17. August – Die Aufführung dauert drei Stunden. Sie ist eine Koproduktion mit dem Burgtheater und wird zu Beginn der neuen Spielzeit in Wien wieder aufgenommen.
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