Fantasy und tote Hasen
Eine schmuddelige Produktion, ironie- und humorfrei, eine Wagnerismus-Parodie ohne Pfiff: Mit der Premiere von Sir Harrison Birtwistles "Gawain" begann die quantitativ beachtliche Serie von Opernpremieren des diesjährigen Salzburger Sommers.
In der Felsenreitschule wurde die 1991 in Covent Garden uraufgeführte britische Oper präsentiert. Ihre Handlung aus dem keltischen Sagenkreis ist – wie schon Henry Purcells "King Arthur", Richard Wagners "Tristan und Isolde" oder "Le Roi Arthus" von Ernest Chausson – im Südengland der Spätantike zu verorten, als der christliche Glaube auf den britischen Inseln noch keineswegs durchgehend und auch noch nicht allzu fest verankert war.
Birtwistles Tonsatz beginnt aus gegebenem Anlass mit kräftigem Raunen und verdichtet sich immer wieder zu gewaltigen Klangballungen, als gälte es die Marne-Schlacht zu betönen. Die "Gawain"-Musik schlägt einen expressionistischen Grundton an und trägt zu einer insgesamt drastischen Bühnenkunst bei, in der sich kräftig realistische Komponenten mit An- und Ausflügen des Surrealen kreuzen. In der Hauptsache, meinte Birtwistle, befleißige er sich eines Prinzips der "variierten Wiederholungen". Von ihm erwartet der Komponist, dass es nicht "in vorhersehbarer Weise zurück zum Ausgangspunkt" führt, sondern "eher noch weiter ins Dickicht."
Um ein Dickicht von Mythologischem und Okkultem geht es bei der vom Librettisten David Harsent kompilierten Geschichte vom Grünen Ritter, der an Heilig Abend unangemeldet auf der Arthus-Burg erscheint. Der späte Gast sucht einen wahren Helden, der sich mit ihm misst. Zu diesem Zweck bietet er, der offensichtlich mit höheren oder tieferen Mächten im Bunde steht, eine bis dato noch nicht geläufige Form des Kräftemessens an: Der Herausgeforderte hat drei Axtschläge gut, um ihm den Kopf vom Rumpf zu trennen, muss sich aber nach Jahr und Tag in seiner Grünen Kapelle einfinden, um dort drei vergleichbare Schläge einzustecken.
Birtwistles Tonsatz beginnt aus gegebenem Anlass mit kräftigem Raunen und verdichtet sich immer wieder zu gewaltigen Klangballungen, als gälte es die Marne-Schlacht zu betönen. Die "Gawain"-Musik schlägt einen expressionistischen Grundton an und trägt zu einer insgesamt drastischen Bühnenkunst bei, in der sich kräftig realistische Komponenten mit An- und Ausflügen des Surrealen kreuzen. In der Hauptsache, meinte Birtwistle, befleißige er sich eines Prinzips der "variierten Wiederholungen". Von ihm erwartet der Komponist, dass es nicht "in vorhersehbarer Weise zurück zum Ausgangspunkt" führt, sondern "eher noch weiter ins Dickicht."
Um ein Dickicht von Mythologischem und Okkultem geht es bei der vom Librettisten David Harsent kompilierten Geschichte vom Grünen Ritter, der an Heilig Abend unangemeldet auf der Arthus-Burg erscheint. Der späte Gast sucht einen wahren Helden, der sich mit ihm misst. Zu diesem Zweck bietet er, der offensichtlich mit höheren oder tieferen Mächten im Bunde steht, eine bis dato noch nicht geläufige Form des Kräftemessens an: Der Herausgeforderte hat drei Axtschläge gut, um ihm den Kopf vom Rumpf zu trennen, muss sich aber nach Jahr und Tag in seiner Grünen Kapelle einfinden, um dort drei vergleichbare Schläge einzustecken.
Schamane mit Hut
Gawain stellt sich der Zumutung und enthauptet den Grünen Ritter. Der singt jedoch unverdrossen weiter. Im Gegenzug bricht Gawain dann fristgerecht nach Norden auf, um die Bedingungen des Zweikampfs zu erfüllen. Wird aber am Hof von Bertilak von der schönen Burgherrin und deren noch attraktiveren Gespielin drei Tage und drei Nächte lang aufgehalten mit der zwingenden Begründung, seine Liebeskünste seien landesweit bekannt.
Alvis Hermanis, der sich auch selbst die Ausstattung arrangierte, lässt die von Metaphysik und Wundern genährte Geschichte in einer Welt nach einer globalen Katastrophe spielen. Vor einem Rest Industrie-Architektur gebärden sich die kümmerlichen Überbleibsel der Menschheit grausam degeneriert: Arthur, der Anführer der erdnah dahinvegetierenden und triebhaft zappelnden Figuren, ist an den Rollstuhl gefesselt. Seine Gattin Guinevere hat Grünspan angesetzt. Sie sitzt so gut wie unbeweglich im groben Tuch am moosbewachsenen Holztisch.
Bemoost sind auch die Autowracks, die sich seitwärts türmen, und die Felsenbögen der Felsenreitschule – die raffinierte Lichttechnik macht’s möglich – scheinen von der Unbill der Natur stark mitgenommen. Den unkoordiniert gestapelten Särgen entsteigen Gerippe und deuten an, dass nicht einmal das Bestattungsgewerbe mehr nach den hergebrachten Hygienevorschriften funktioniert. Die Überlebenden von Arthusland schützen sich gegen die Kälte mit Filzdecken.
Ein Rudel Schlitten mit schweren Stablampen und die Domestizierung des Kojoten verweisen ebenfalls auf Installationen bzw. Kunst- und Lebens-Versuchsanordnungen von Joseph Beuys. Das ist der große Gag der Inszenierung: Weil doch die Natur in diesem Reich der verkommenen Zivilisation den Menschen so nah sei, staffierte Hermanis unter Berufung auf philosophischen Tiefsinn den unheldischen Helden Gawain aus wie den Düsseldorfer Kunst- und Lebenskünstler.
Die Assoziationsschiene war womöglich aber viel einfacher und direkter: Beuys fehlte, wie dem Ritter Gawain nach der Rückrunde des Axt-Turniers, ein Stück der Kopfschädelplatte. Um die Prothese nicht der öffentlichen Schaulust auszusetzen, trug der Schamane stets Hut. Auch die heuristische Bezugnahme auf neue Düsseldorfer Kunst und Happening-Kultur von gestern hat in Salzburg Tradition. Jörg Immendorffs grelle Illustration von Strawinskys "Rake’s Progress" (2004) ist den älteren Semestern noch in Erinnerung.
Die Sänger-Crew der Salzburger Eröffnungs-Premiere ist ziemlich vom britisch Feinsten: Der gebeuyste Christopher Maltman in der Titelrolle – souverän und in den besten Momenten mit federnder Eleganz – ebenso wie Laura Aikin als Morgan le Fay mit sirenenhaft schönem Sopran. Ihr Lullaby zieht sich als Refrain durch den zweiten Akt. John Tomlinson, der als The Green Knight bzw. Herr von Bertilak de Hautdesert schon bei der Uraufführung 1991 in London mit dabei war, erscheint im Moosmantel und hoch zu Ross und bleibt auch nach der Enthauptung seines Kunststoff-Doubles mit seiner sonoren Bass-Stimme präsent, erscheint dann als Hasenjäger am Hof von Bertilak wieder höchst lebendig – das Feld als Schürzenjägers überlässt er Gawain, der ihm brav alle von der Gattin verabreichten Küsse heimzahlt.
Obwohl die vernachlässigte Ehefrau auch beim fremden Ritter hörbar nicht auf ihre Kosten kommt, stattet sie Gawain mit einem Zaubergürtel aus, der Unverwundbarkeit garantiert. Schon vor den in der Hauptsache jugendfrei, das heißt ergebnislos bleibenden Schäferinnenstündchen bewegen sich die Statistinnen "triebhaft", das heißt: sie bohren mit den Unterleibern und wimmeln erotisch in einem verranzten VW-Bus wie Maden im Speck. Wahrhaft tiefe Dimension visiert Birtwistles Oper mit dem Schluss an: Da schont der grüne Grünspanritter, der niemand anderer ist als der verkleidete Herr von Bertilak, das Leben des zu seinem Ritterwort stehenden Gawain, um ihn auf einen Weg der Selbstfindung zu schicken und so für die Arthus-Nachfolge fit zu machen. Da wuchert dann (para-)religiöses Unkraut nicht nur im Text, sondern macht sich als allzu starkes Bouquet auch in der Musik breit.
Fazit: Eine absichtsvoll schmuddelige Produktion gesellte sich ironie- und humorfrei zu einem Stück, das vielleicht 2013 als Wagner- oder Wagnerismus-Parodie einen gewissen Pfiff hätte entwickeln können – und zu einer Musik, die schon 1991 das Aroma des zweiten Frischegrads verströmte. "Gawain", kurzfristig als Ersatzlösung für eine veritable Uraufführung anberaumt, hätte man besser in der Schublade belassen.
Alvis Hermanis, der sich auch selbst die Ausstattung arrangierte, lässt die von Metaphysik und Wundern genährte Geschichte in einer Welt nach einer globalen Katastrophe spielen. Vor einem Rest Industrie-Architektur gebärden sich die kümmerlichen Überbleibsel der Menschheit grausam degeneriert: Arthur, der Anführer der erdnah dahinvegetierenden und triebhaft zappelnden Figuren, ist an den Rollstuhl gefesselt. Seine Gattin Guinevere hat Grünspan angesetzt. Sie sitzt so gut wie unbeweglich im groben Tuch am moosbewachsenen Holztisch.
Bemoost sind auch die Autowracks, die sich seitwärts türmen, und die Felsenbögen der Felsenreitschule – die raffinierte Lichttechnik macht’s möglich – scheinen von der Unbill der Natur stark mitgenommen. Den unkoordiniert gestapelten Särgen entsteigen Gerippe und deuten an, dass nicht einmal das Bestattungsgewerbe mehr nach den hergebrachten Hygienevorschriften funktioniert. Die Überlebenden von Arthusland schützen sich gegen die Kälte mit Filzdecken.
Ein Rudel Schlitten mit schweren Stablampen und die Domestizierung des Kojoten verweisen ebenfalls auf Installationen bzw. Kunst- und Lebens-Versuchsanordnungen von Joseph Beuys. Das ist der große Gag der Inszenierung: Weil doch die Natur in diesem Reich der verkommenen Zivilisation den Menschen so nah sei, staffierte Hermanis unter Berufung auf philosophischen Tiefsinn den unheldischen Helden Gawain aus wie den Düsseldorfer Kunst- und Lebenskünstler.
Die Assoziationsschiene war womöglich aber viel einfacher und direkter: Beuys fehlte, wie dem Ritter Gawain nach der Rückrunde des Axt-Turniers, ein Stück der Kopfschädelplatte. Um die Prothese nicht der öffentlichen Schaulust auszusetzen, trug der Schamane stets Hut. Auch die heuristische Bezugnahme auf neue Düsseldorfer Kunst und Happening-Kultur von gestern hat in Salzburg Tradition. Jörg Immendorffs grelle Illustration von Strawinskys "Rake’s Progress" (2004) ist den älteren Semestern noch in Erinnerung.
Die Sänger-Crew der Salzburger Eröffnungs-Premiere ist ziemlich vom britisch Feinsten: Der gebeuyste Christopher Maltman in der Titelrolle – souverän und in den besten Momenten mit federnder Eleganz – ebenso wie Laura Aikin als Morgan le Fay mit sirenenhaft schönem Sopran. Ihr Lullaby zieht sich als Refrain durch den zweiten Akt. John Tomlinson, der als The Green Knight bzw. Herr von Bertilak de Hautdesert schon bei der Uraufführung 1991 in London mit dabei war, erscheint im Moosmantel und hoch zu Ross und bleibt auch nach der Enthauptung seines Kunststoff-Doubles mit seiner sonoren Bass-Stimme präsent, erscheint dann als Hasenjäger am Hof von Bertilak wieder höchst lebendig – das Feld als Schürzenjägers überlässt er Gawain, der ihm brav alle von der Gattin verabreichten Küsse heimzahlt.
Obwohl die vernachlässigte Ehefrau auch beim fremden Ritter hörbar nicht auf ihre Kosten kommt, stattet sie Gawain mit einem Zaubergürtel aus, der Unverwundbarkeit garantiert. Schon vor den in der Hauptsache jugendfrei, das heißt ergebnislos bleibenden Schäferinnenstündchen bewegen sich die Statistinnen "triebhaft", das heißt: sie bohren mit den Unterleibern und wimmeln erotisch in einem verranzten VW-Bus wie Maden im Speck. Wahrhaft tiefe Dimension visiert Birtwistles Oper mit dem Schluss an: Da schont der grüne Grünspanritter, der niemand anderer ist als der verkleidete Herr von Bertilak, das Leben des zu seinem Ritterwort stehenden Gawain, um ihn auf einen Weg der Selbstfindung zu schicken und so für die Arthus-Nachfolge fit zu machen. Da wuchert dann (para-)religiöses Unkraut nicht nur im Text, sondern macht sich als allzu starkes Bouquet auch in der Musik breit.
Fazit: Eine absichtsvoll schmuddelige Produktion gesellte sich ironie- und humorfrei zu einem Stück, das vielleicht 2013 als Wagner- oder Wagnerismus-Parodie einen gewissen Pfiff hätte entwickeln können – und zu einer Musik, die schon 1991 das Aroma des zweiten Frischegrads verströmte. "Gawain", kurzfristig als Ersatzlösung für eine veritable Uraufführung anberaumt, hätte man besser in der Schublade belassen.