Saša Stanišić

Buchpreis-Gewinner kritisiert "Lügen" von Peter Handke

08:10 Minuten
Der Schriftsteller Saša Stanišić erhebt sich, um den Deutschen Buchpreis entgegen zu nehmen
Hat seine Vergangenheit fürs Erste auserzählt: Saša Stanišić, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2019 © picture alliance/Andreas Arnold/dpa
Saša Stanišić im Gespräch mit Gabi Wuttke · 14.10.2019
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Saša Stanišić hat in Frankfurt den Deutschen Buchpreis erhalten und den Nobelpreisträger Peter Handke attackiert: "Er erwähnt die Opfer nicht. Mich erschüttert, dass sowas prämiert wird." Handke habe geschichtliche Tatsachen verdreht, sagte Stanišić in seiner Dankesrede.
"Herkunft" von Saša Stanišić gewinnt den Deutschen Buchpreis. Der Roman ist ein Mosaik aus Vergangenheit und Gegenwart, über eine Kindheit in Jugoslawien, über Krieg, Flucht und das Erwachsenwerden in Deutschland. Über Nationalismus, deutsche Bürokratie und offene Grenzen für Flüchtende im Jahr 2015.

Statt Gerechtigkeit findet Stanišić nur Lüge

In seiner Dankesrede echauffierte sich Stanišić zunächst über Literaturnobelpreisträger Peter Handke: "Ich tue es auch deswegen, weil ich das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Das ich hier heute vor ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat und die in seine Texte der 90er-Jahre hineinreicht. Und das ist komisch finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, in der man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht. In seinem Text, der über meine Heimatstadt Višegrad verfasst worden ist, beschreibt Handke unter anderem Milizen, die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben. Er erwähnt die Opfer nicht. Mich erschüttert sowas, dass sowas prämiert wird."

Kritik war nicht spontan

Die Kritik an Handke sei nicht spontan gewesen, berichtet Stanišić: "Das gärt schon ein paar Tage in mir." Es sei ihm ein Anliegen gewesen, das ihn betreffe. Zwar gehöre die Lüge unbedingt zur Literatur, nur sei sie dann zu hinterfragen, "wenn sie etwas mit der Wirklichkeit anrichtet, was den Tatsachen nicht mehr in einer Weise entspricht, dass diejenigen, die damit gemeint sind, sich erkannt fühlen." Für das Verdrehen von geschichtlichen Tatsachen ausgezeichnet zu werden, sei ein Unding, so Stanišić.
Sein Roman "Herkunft" sei ein Fragen nach neuralgischen Punkten, betont der 41-Jährige: "Der Auslöser war die Demenz meiner Großmutter Christina. Ihr Vergessen der Geschichten und der eigenen Geschichte, das dazu geführt hat, dass ich ihr Fragen stelle."

Keine Sprache, keine Freunde, keine Gewissheit

Am schwersten sei es ihm dabei gefallen, die Zeit nach der Flucht aus Bosnien, als die Familie soeben in Heidelberg eingetroffen war, zu schildern, erzählt Stanišić: "Diese erste Zeit – ohne Sprache, ohne Freunde, ohne Gewissheit, dass man bleiben darf." Seine Eltern hätten ihm beim Schreiben sehr geholfen: "Dann wusste ich, ich habe hier zwei Komplizen und die geben mir jetzt die richtigen Begriffe."
Durch seinen Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" und durch "Herkunft" habe er das Gefühl, mit seiner Vergangenheit abgeschlossen zu haben: "Thematisch ist das erst mal erledigt, ganz ehrlich, ich habe jetzt auch keine Lust mehr. Jetzt erst mal was ganz anderes - jetzt erst mal ein Kinderbuch."
(beb)

Neben dem Deutschen Buchpreis wurde am Montag auch der renommierte Booker-Preis verliehen. Die Schriftstellerin Zoë Beck kommentiert im Deutschlandfunk Kultur sowohl die Preisvergabe an Saša Stanišić, dessen Kritik an Handke sie nachvollziehen kann, sowie die Entscheidung der Jury, den Booker-Preis dieses Jahr an Margaret Atwood und Bernardine Evaristo zu vergeben, wobei sich Beck besonders für den experimentellen Stil Evaristos begeistert, der das Lesen zu einem intensiven Erlebnis mache. Audio Player

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