Wider den Katastrophismus

Der Untergang ist abgesagt

Eine Illustration zeigt einen Mann, der auf einem Hügel steht und in einen sonnenartigen, roten Kreis schaut.
Selbst der Klimawandel wird das Leben auf der Erde nicht auslöschen, gibt sich Konstantin Sakkas optimistisch. Die Menschheit werde auch hier technische Lösungen finden. © Getty Images / We Are
Ein Kommentar von Konstantin Sakkas · 29.11.2022
Inflation, Ukrainekrieg, politische Radikalisierung oder Klimawandel: Wir befinden uns in einer multiplen Krise, der viele einen katastrophalen Ausgang prognostizieren. Konstantin Sakkas blickt sehr viel positiver in die Zukunft.
Die Menschheit hat immer in Untergängen gedacht. Politisch undramatische Zeiten gab es nie, und vor einem bevorstehenden Ende der Welt fürchteten sich die Menschen in Europa vor 1000 Jahren so sehr wie heute. Natürlich sind die Bedingungen in unserer hochtechnisierten Zeit andere als die im Hochmittelalter. Natürlich werden Zukunftsszenarien heute auf Grundlage minutiöser Berechnungen erstellt.

Wir wissen wenig über die Zukunft

Dennoch wissen wir erstaunlich wenig über die Zukunft, ja, nicht einmal über die Vergangenheit. Denn auch wie Menschen zu dieser oder jener Epoche sich fühlten, welchen Ideen und Weltanschauungen sie wirklich anhingen, das zu bestimmen, ist weitgehend Spekulation.
Umso zurückhaltender sollten wir mit der Beurteilung der Gegenwart sein. Befindet sich der Westen wirklich in einer großen Regression, also einem großen Rechtsruck, wie es die Soziologie emphatisch beschwört? Oder haben wir es bei autoritären und identitären Tendenzen nicht vielmehr mit Grunddispositionen zu tun, die in der Gesellschaft immer vorhanden waren und heute dank dem Internet nur stärker sichtbar sind?
Können postfaschistische Regime die Uhr der gesellschaftlichen Entwicklung wirklich zurückdrehen? Oder handelt es sich bei Radikalisierung nicht vielmehr um ein fundamentales gesellschaftliches Phänomen, das sich gewissenlose Politabenteurer wie eben Trump zunutze machen und immer zunutze machen werden, dessen historische Tragweite aber begrenzt ist?

Negativprognosen waren falsch

Viele Katastrophenprognosen der letzten Jahre und Jahrzehnte sind nicht eingetroffen. Die Finanzkrise nach 2008 war nicht das Ende der westlichen Mittelschicht, die Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten nach dem Arabischen Frühling nicht der Untergang des Abendlandes und auch nicht der Sozialsysteme. Selbst mit Corona haben wir zu leben gelernt. Es war nicht die erste Pandemie, es wird auch nicht die letzte gewesen sein, aber die Weltgemeinschaft hat ihre Fähigkeit zur Resilienz bewiesen.
Putin hat die Welt bislang nicht in einen Atomkrieg gestürzt. Wahrscheinlicher ist, dass er sich irgendwann kleinlaut aus der Ukraine zurückziehen wird. Der große trumpistische Erdrutsch bei den US-amerikanischen Midterm Elections ist ausgeblieben. Auch mit der aktuell unaufhaltsamen Erderwärmung werden wir uns arrangieren, ja, haben wir uns vielfach schon arrangiert.
Der Kauf Twitters durch Elon Musk befeuerte gängige linke Ängste vor Plattformökonomie, digitalem Kapitalismus und künstlicher Intelligenz. Doch auch hier hat der Berg gekreißt, und es wurde ein Mäuschen geboren. Unsere Daten waren immer in fremden Händen: Was wir früher dem Beichtvater erzählten, posten wir heute eben auf Instagram und Twitter.

Fortschritt ist dem Menschsein eingeschrieben

Wirtschaften ist immer eine Mixtur aus quasi kapitalistischen und sozialistischen Elementen, Politik immer auch ein Ausgleich zwischen gegenläufigen Interessen, Freiheit kann immer egoistisch-übergriffig oder freilassend-tolerant sein, meistens ist sie beides zugleich. Auch der Fortschritt, dessen Kehrseite heute für Umweltzerstörung und Klimawandel in Haftung genommen wird, ist kein bloßes Phänomen der europäischen Aufklärung oder der Industrialisierung, sondern dem historischen Menschsein eingeschrieben.
250 Jahre Industrialisierung haben das Ökosystem und die Atmosphäre massiv verändert, aber – verändert hätten sie sich so oder so. Dass die gegenwärtige Erwärmung auf den Menschen zurückgeht, hat zwar etwas Monströses an sich, ist aber nichts an sich Unnatürliches. Der Mensch hat mit seiner Technik, die eine Überlebenstechnik ist, in die Erdgeschichte eingegriffen. Mit seiner Technik wird er die schlimmsten Folgen zu verhindern wissen, und zwar im Ökologischen ebenso wie im Sozialen.

Konstantin Sakkas, geboren 1982, studierte Philosophie und Geschichte. Er arbeitet als Publizist und Literaturkritiker in Berlin.

Konstantin Sakkas. Ein Mann mit Bart schaut in die Kamera.
© privat
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