Nach Klimakonferenz in Ägypten

Die Energiewende wird kommen

21:49 Minuten
Eine Frau im Blaumann steht auf der Turbine eines Windrades und schaut aufs aufgewühlte Meer.
Den Abschied von fossilen und die schnelle Förderung erneuerbarer Energien: Das fordert Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. © Getty Images / Ezra Bailey
Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Isabella Kolar · 28.11.2022
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Klimaforscher Rahmstorf ist enttäuscht, dass der Ausstieg aus Öl und Gas nicht zum erklärten Ziel der Klimakonferenz wurde. Jenseits der Verhandlungen sei die Energiewende aber in Gang. Die Welt könne schon jetzt komplett auf Erneuerbare umstellen.
Den großen Durchbruch gab es bei der UN-Klimakonferenz in Scharm El-Scheich (COP27) nicht, findet Klimaforscher Stefan Rahmstorf. „Leider war es ein verlorenes Jahr, was die Emissionsminderung angeht, da gibt es keine Fortschritte."
Aber es wurde immerhin ein Entschädigungsfond eingerichtet. „Was überfällig war, weil die reichen Länder mit hohen Emissionen verantwortlich sind für Schäden in Ländern, die eigentlich wenig für den Klimawandel können.“

Gegenwehr der Antiklimalobby

Jeder wisse, dass wir aus Öl und Gas aussteigen müssen. Dass es nicht in der Abschlusserklärung stehe, sei daher „geradezu absurd“, so Rahmstorf, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung forscht und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam ist.
Der Grund laut Rahmstorf: eine Lobby, die sich auch auf der Klimakonferenz weiterhin für Öl und Gas stark macht – und das Prinzip der Einstimmigkeit, mit der bei den Klimaverhandlungen alles beschlossen werden muss.
Die Flaggen der Länder der Vereinten Nationen stehen aufgereiht nebeneinander und wehen vor einem glühenden Abendhimmel.
"Es reicht ein Ölstaat, um Nein zu sagen und das Ganze platzen zu lassen." Das sei das zentrale Problem der Klimakonferenzen, findet Stefan Rahmstorf.© AFP / Ahmad Gharabli
Auch in Scharm El-Scheich waren wieder Hunderte Öl- und Gaslobbyisten unterwegs, laut dem Klimaforscher ein durchaus vertrautes Bild seit den 1980er-Jahren. Als klar wurde, dass es mit dem Klimaschutz ernst werden würde, habe sich die Gegenwehr gegen Klimaschutzmaßnahmen formiert. Deshalb stehen wir jetzt da, wo wir jetzt stehen, sagt Rahmstorf.

Schneller Umstieg auf Erneuerbare ist möglich

Dabei müsse der Umstieg auf Erneuerbare Energien nun sehr schnell gehen. Möglich sei dies: "Entscheidend ist es doch, dass man sieht, wie schnell kann es auf einmal gehen, LNG-Terminals aufzubauen. Warum ist das nicht bei den Erneuerbaren Energien möglich? Da müssen wir vor allem jetzt sehr, sehr schnell werden beim Ausbau, damit wir nicht dann im nächsten Winter noch einmal vor einer möglichen Energieknappheit stehen."
Der Klimaforscher betont, dass wir bereits jetzt kostengünstige Alternativen zu fossilen Energieträgern wie Öl und Gas zur Verfügung haben. Man könne inzwischen die Welt zu 100 Prozent mit Erneuerbaren Energien versorgen. "Die Technologien haben wir. Sie wachsen exponentiell und werden ständig billiger. Auch die Energieinvestitionen in neue Erzeugungskapazitäten von Strom gehen weltweit inzwischen in die Erneuerbaren. Die Energiewende läuft schon. Aber der Zeitplan, der Zeitdruck wird durch den Klimawandel gesetzt. Wir müssen die Energiewende also um ein Mehrfaches beschleunigen.“ Kommen werde diese ohnehin.
Porträt von Stefan Rahmstorf. Ein mittelalter Mann mit randloser Brille und im blauen Hemd schaut direkt in die Kamera. Hinter ihm ist das Meer zu sehen.
Hat die Heizung zu Hause schon runtergedreht: Stefan Rahmstorf zählt zu den bekanntesten Klimaforschern- und Experten Deutschlands.© privat
Doch während Außenministerin Annalena Baerbock bei der Klimakonferenz auf den Ausstieg aus Öl und Gas drängt, reiste Bundeskanzler Olaf Scholz noch im Mai zur Gaseinkaufstour in den Senegal. Klimaexperte Rahmstorf sieht solche fossile Einkaufsreisen kritisch. Nicht nur Senegal, sondern die ganze Welt leide unter jeder zusätzlichen Tonne CO2-Emissionen.

"Wir stehen jetzt vor einem Abgrund"

Man stehe vor einem Abgrund und müsse jetzt wirklich schneller handeln, sagt der Ozeanograf und veranschaulicht die Dramatik der Situation anhand eines Rechenbeispiels.
"Ein verlorenes Jahr an Klimaschutz, wenn man einfach den nötigen 1,5 Grad-Pfad runter auf null Emissionen um ein Jahr nach hinten schiebt, sind 40 Milliarden Tonnen zusätzliches CO2 in der Luft. Die Schadenskosten durch eine Tonne liegen bei etwa 100 Euro. Dann sind das für ein Jahr vier Billionen Euro an Kosten. So viel Geld wird in diesem 'Loss and Damage Konto' wahrscheinlich niemals drin sein. Wir können das alles gar nicht bezahlen. Stattdessen müssen wir sehr schnell die Emissionen herunterfahren, um die Erwärmung zu stoppen."

Hartes Ringen auf Klimakonferenzen

Dass der sogenannte "Loss and Damage Fonds für Entschädigungen", der nach 30 Jahren in Scharm El-Scheich endlich geschaffen wurde, noch nicht festlegt, wer wieviel wann einzahlt, sei leider typisch für die UN-Klimakonferenzen. Fortschritte würden meist nur in kleinen Schritten erlangt werden.
Die Institution der Klimakonferenzen stellt Rahmstorf aber trotzdem nicht infrage. Schließlich habe es auch sehr erfolgreiche UN-Klimakonferenzen gegeben wie die in Paris 2015. Damals haben sich alle Länder zu Anstrengungen verpflichtet, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – und das, obwohl es im einstimmigen Konsensverfahren beschlossen werden musste. Auch die Länder, die vom Verkauf von Öl leben, wie Saudi-Arabien und Russland stimmten zu. Aus Sicht von Rahmstorf ein historischer Erfolg und sensationell.

Klimawandel ist bereits allgegenwärtig

Mittlerweile ist der Klimawandel fast überall auf der Welt zu spüren: extreme Hitzewellen in Indien, katastrophale Monsunniederschläge in Pakistan. Die Schadensbewältigungskosten dafür belaufen sich nach UN-Schätzungen auf zehn Milliarden Euro. Kleinen Inselstaaten im Pazifik steht das Wasser bis zum Hals.
Luftaufnahme einer ländlichen Region, die fast vollständig überflutet ist. Im Zentrum des Bildes wurden auf einer Landzunge einige Zelte errichtet.
Binnen vier Monaten starben rund 1.700 Menschen. Die Überschwemmungen im Sommer in Pakistan sind die bislang schlimmste Klimakatastrophe des Jahres 2022.© AFP / Fida Hussain
Auch Deutschland ist betroffen, sagt Stefan Rahmstorf. Beispiel sind die Ahrtalflut oder auch die Flut der Elbe 2002, als Dresden unter Wasser stand.

"Wir können nur vorausschauend handeln"

Dazu komme der sogenannten Jahrhundertsommer 2003, der europaweit 70.000 Menschenleben gekostet hat und mittlerweile nur noch auf Rang fünf der heißesten Sommer Europas rangiert. Er wurde seither also schon mehrfach übertroffen.
"Wir haben den Klimawandel schon bei uns, vor unserer Haustür", sagt Stefan Rahmstorf, der erst vor zwei Wochen Gelegenheit hatte, das Wirken des Borkenkäfers im Harz zu besichtigen: Folge der Dürre und des dadurch verursachten Waldsterbens. Er wisse nicht, was noch passieren müsse, damit die Menschen endlich das Problem so ernst nehmen, wie man es eben tun müsse, um es auch zu lösen.
"Das Problem ist, dass das Klimasystem nur träge auf unsere Maßnahmen reagiert. Wenn der Notfall einmal da ist, ist es zu spät. Man kann auch nicht die Titanic umsteuern, wenn sie den Eisberg praktisch schon berührt.“
Der Klimawandel, den wir jetzt verursachen, sei unumkehrbar. „Das verstehen viele offenbar noch nicht. Das CO2 bleibt Zehntausende von Jahren in der Luft. Wir können nicht mehr zurück, wenn es uns hier zu heiß und zu extrem geworden ist. Wir können nur vorausschauend, vorsorgend handeln."
(ik)
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