Der Pianist Guy Mintus

"Gershwin ist Teil meiner DNA"

09:16 Minuten
Ein Porträt des Pianisten Guy Mintus.
Umtriebig, weltgewandt, kaum zu bremsen: der Pianist Guy Mintus. © imago images / Müller-Stauffenberg
Von Katrin Wilke · 08.01.2021
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Guy Mintus ist eine große Hommage an George Gershwin gelungen. Die Tiefe seiner Verbundenheit mit dem Komponisten beweist der jüdische Pianist auf einem neuen Album.
"‘Rhapsody in Blue‘ wurde Teil meiner DNA. Dubi Lenz, eine wichtige Figur in der Musikszene Israels, Promotor, Radiomann und Leiter des Red Sea Festival, lud mich ein, ein Programm für ein Trio zu gestalten und es im Shablul Jazz Club in Tel Aviv aufzuführen - ein komplett Gershwin gewidmetes Programm! Wir spielten das Repertoire und es war ein herrliches Gefühl, es hinterließ eine starke Erinnerung. Es hat definitiv viel zu tun mit Gershwin als New Yorker, als Jude, der das jüdische Musikerbe weitergetragen hat. Mit Gershwin entstand ein unmittelbarer Funke, eine unmittelbare, sehr starke Verbindung. So beschlossen wir, daraus ein Album zu machen."
Guy Mintus’ neuerliche Beschäftigung mit Gershwin begann mit "Rhapsody in Blue". Das ist auch der ausuferndste der neun Tracks auf dem Album "A Gershwin Playground", das über 65 Minuten mal instrumental, mal mit Gesang versehen ist. Alles begann mit einer Mission des Kammerorchesters der Bayerischen Philharmonie, zu der man den damals noch in New York lebenden Musiker 2017 am Rande eines Auftritts in München einlud.
"‘Rhapsody in Blue" spielte Leonard Bernstein 1948 in einem historischen Konzert im Displaced-Persons-Lager in Feldafing, Süddeutschland. Dort hatten jüdische Schoah-Überlebende ein Orchester mit gefundenen Instrumenten etabliert. Als Bernstein davon hörte, beschloss er, sich auf die weite Reise zu machen und mit ihnen ein Konzert zu geben.
"Ich hatte die Chance, 70 Jahre später bei einem Gedenkkonzert mitzuwirken - in Landsberg, in der gleichen Gegend also. Mit dabei waren Nachfahren der Orchestermitglieder aus aller Welt. Ich habe meine Fassung von 'Rhapsody in Blue' auf dem Album jenen historischen Konzerten und dem Displaced Persons Orchestra gewidmet", erzählt Guy Mintus.
Es sei damals – so Mintus - etwas Lebensbejahendes für all diese Menschen gewesen, mit einem jüdisch-US-amerikanischen Dirigenten und Musical-Komponisten zu arbeiten. Leonard Bernstein war zum Zeitpunkt seines allerersten Deutschlandaufenthaltes nach dem Zweiten Weltkrieg genauso alt wie er.
Der 29-Jährige, mittlerweile wieder in seiner Heimatstadt Tel Aviv lebende Musiker kennt Gershwins Songs seit früher Kindheit – durch das Porgy and Bess-Album von Ella Fitzgerald und Lewis Armstrong. Jene 1959 erschienene Aufnahme inspiriert den Klassik- und Jazz-sozialisierten, zunehmend auch singenden Pianisten bis heute.

Mintus verbindet Leichtigkeit und Tiefgang

"'It Ain’t Necessarily So' ist in seinem Arrangement sehr beeinflusst von dem Ella-und-Louis-Album. Die Interpretation ist jedoch sehr persönlich. Für mich dreht sich der Song ums Anzweifeln, das nicht immer selbstverständlich und wörtlich Nehmen von Dingen. Sondern auch mit einem Augenzwinkern - fähig, darüber zu lachen. Das halte ich für allgemein sehr wichtig, gerade jetzt, wo so viel passiert, es so viele Herausforderungen und Meinungen gibt. Da ist es wichtig, sich zu erinnern, nicht alles so schwer zu nehmen. Denn das kann einen echt verrückt machen, ist auf Dauer ungesund. Deshalb ist dieses Lied das perfekte Heilmittel."
Diese heitere Leichtigkeit geht bei Guy Mintus persönlich wie künstlerisch mit viel Tiefgang und Reife einher. Gedanken- und kunstvoll, mal feinnerviger, mal wilder, stets experimentierfreudig ist sein gesamtes Tun als Musiker und Komponist. Und selbst wenn er sich wie diesmal und wohl auch in nächster Zukunft dem Werk anderer widmet – die Rede ist da unter anderem von einem Beethoven-Projekt – lässt der charismatische Sympathieträger nie den eigenen kreativen Einfallsreichtum vermissen.
Angenehm anders dieses zwischen Afro-Arabo und Latin lustwandelnde "Summertime" – Schlusspunkt und Highlight des Albums. Hört man Mintus' anmutigen, raffiniert mit Melismen ausgestalteten Gesang, in dem diverse Einflüsse und Backgrounds mitschwingen, wohl auch die seiner marokkanischen Vorfahren, kann man sich kaum die anfängliche Scheu vor dem Singen vorstellen.
Doch irgendwann in den USA begann er bei Konzerten hier und da zu singen: etwa Charly Chaplins "Smile", sein ultimatives Lieblingslied. Die sieben Jahre in New York, wohin der Pianist zum Jazz-Studium gegangen war, beförderten eine große Stil- und Weltoffenheit. Etwas, das Guy Mintus wiederum zu George Gershwin brachte.

Black Lives Mattered Always

"Diese jüdisch-afroamerikanische Verbindung nachzuerleben, von der Gershwin auf starke und vielfache Weise Botschafter war. Er brachte Jazz, afroamerikanische Musik in die Opern- und Klassikwelten, verschaffte ihr somit viel Respekt. Dabei war das in jener Zeit ja kaum möglich wegen des damaligen Rassismus. Für mich als israelisch-jüdischer Mensch, der in New York gelebt hat, hat das einen großen Widerhall. Dadurch, dass ich Jazz studiert, mich in ihn verliebt habe und von der New Yorker Jazzszene so wunderbar aufgenommen wurde, fühlt es sich gut an, diesen ganzen Verdienst Gershwins nachhallen zu lassen - heute so viele Jahre später."
Mit Erstaunen hätte er herausgefunden – so liest man im CD-Booklet - dass Gershwin sich weigerte, Porgy & Bess an der Metropolitan Opera uraufzuführen, weil man dort damals keine schwarzen Darsteller akzeptierte. Eine für Guy Mintus wichtige, von ihm vollends unterstützte Geste. So wäre wohl auch umgekehrt einem George Gershwin das Tun des genauso weltgewandten Pianisten sympathisch gewesen. Der ist selbst in widrigen Zeiten wie diesen kaum zu bremsen in seinen Aktivitäten. Der umtriebige Israeli lässt in den vielen Monaten ohne Konzerttouren nahezu ununterbrochen von sich hören: Er konzertiert allein oder in Begleitung von zuhause aus und tritt – natürlich überwiegend virtuell - bei diversen Festivals und anderen Gelegenheiten weltweit auf.
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