Vor 90 Jahren

Comedian Harmonists entdeckten den swingenden Jazz für Europa

Comedian Harmonists (Ensemble): Ari Leschnikoff (1. Tenor) Erich A. Collin (2. Tenor), Harry Frommermann (3. Tenor), Roman Cycowski (Bariton), Robert Biberti (Bass), Erwin Bootz (Pianist) lehnen lächelnd am Flügel
Die Comedian Harmonists stießen in Berlin sofort auf große Resonanz. © imago
Von Peter Kaiser · 06.04.2018
Kometenhaft stiegen die Comedian Harmonists einst mit "Mein kleiner grüner Kaktus" oder "Ein Freund..." weltweit in den Showhimmel auf. Noch heute klingeln Fans in der früheren Mansarde in Berlin-Friedenau, wo vor 90 Jahren das Casting für die A-Capella-Gruppe stattgefunden hat.
Marina Seeger-Holle: "Guten Tag. Sind Sie Tenor? Oder Bass? Aber Sie sind 90 Jahre mindestens zu spät!"
Harry Frommermann: "1926 war ich noch ein junger Schauspielanfänger unter Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne. Eines Tages stellte er mich Asta Nielsen, der Diva des Stummfilms, und ihrer Tochter Jesta vor. Jesta Nielsen und Kramer schwärmten in jenen Tagen für ein aufsehenerregendes Gesangsquartett, die amerikanischen Revelers, für die ich mich auch sofort begeisterte. Ich entschloss mich, ein solches Ensemble hier in Deutschland aufzubauen."
Berichtete Harry Frommermann, der keinerlei Gesangs- und Musikausbildung hatte, von den Gründungszeiten der A-Capella-Gruppe "Comedian Harmonists".
"Ich gab eine Annonce im Berliner Lokalanzeiger auf. ´Achtung. Selten. Schöne Stimmen gesucht. Tenöre und Bässe für neuartiges Gesangsensemble.` Es kamen und sangen ungefähr 70 Menschen, die eine Schlange von der 5. Etage bis auf die Straße bildeten."

Casting im Haus Nummer 47 in Berlin-Friedenau

Die Straße ist die Stubenrauchstraße in Berlin-Friedenau. Im Haus Nummer 47 dort bewohnte zum Jahreswechsel 1927/1928 Harry Frommermann eine kleine Mansarde im 5. Stock. Dort lebt heute Marina Seeger-Holle mit ihrem Mann und den Kindern. Auch wenn die Mansarde nicht mehr so ist, wie noch vor 90 Jahren, als Harry Frommermann die Suchanzeige im Berliner Lokalanzeiger aufgab. Doch Frau Seeger-Holle kennt noch den Urzustand…
"Also ich weiß, dass das nur ein kleines Atelier war, mit ungefähr 55 Quadratmetern, und das, was Sie jetzt hier sehen, die Treppe hoch, da war ein kleiner Kohlenverschlag auf dem Dachboden, und mehr gehörte nicht dazu. Bad? Da gab´s ein kleines Waschbecken, und ansonsten war ein Kohleofen hier in der Ecke, und in der Küche, in der Ecke."
Harry Frommermann, Ari Leschnikoff, dann Erich A. Collin, Roman Cycowski, Robert Biberti und Erwin Bootz. Sie waren die "glorreichen Sechs", die "Comedian Harmonists".


Marina Gordienko ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Staatsbibliothek, Stabi. Hier lagert – im Safe verwahrt – der Nachlass der Comedian Harmonists. Noch heute, sagt Marina Gordienko, ist der damalige kometenhafte weltweite Aufstieg der A-Capella-Gruppe am Showhimmel beeindruckend.
Robert Biberti, ehemaliges Mitglied der Comedian Harmonists
Robert Biberti, ehemaliges Mitglied der Gesangsgruppe Comedian Harmonists, im Februar 1985© imago/teutopress
Die Comedian Harmonists hatte ja eine Gattung entdeckt, die weitgehend unbekannt war in Europa, nämlich die des swingenden Jazz. Die natürlich mit ihrer energetischen Ausstrahlung, mit ihrem Witz und Charme das Publikum begeisterte. Und sofort in Berlin auf große Resonanz gestoßen ist.

Das letzte Konzert am 1. Mai 1943

Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war das das Ende der "Comedian Harmonists".
Am 1. Mai 1934 gab die Gruppe ihr letztes Konzert. Dann mussten Harry Frommermann, Roman Cykowski und Erich A. Collin die Gruppe verlassen, da sie Juden waren. Doch Marina Seeger-Holle meint, die Auflösung der Gruppe wäre sowieso nicht mehr fern gewesen.
Marina Seeger-Holle: "Na, es ist schon so... dass die Gruppe in sich sehr inhomogen war… und dass ganz viel, denke ich, das Geld damals geglättet hat."
Alle sechs "Glorreichen" überlebten die NS-Zeit, doch die "Comedian Harmonists" fanden nie wieder zusammen. Doch ihr Mythos lebt, bis heute. Das merkt auch Marina Seeger-Holle in ihrer Mansarde in der Stubenrauchstraße 47. Denn noch immer klingeln Fremde bei ihr.
"Die wollen hier eigentlich nur gucken, ach, hier war der drin, und hier haben die Leute sich beworben. Hier ist das gegründet worden. Und dann kennen sie meistens ´Mein kleiner grüner Kaktus`und diese Lieder, und singen die auch manchmal vor, und… ich glaube, das ist einfach so das Gefühl, da ist Geschichte passiert."
Mehr zum Thema