Der Fall "Familien in der Krise"

Über die Grenze zwischen Lobbyarbeit und Manipulation

13:56 Minuten
Illustration von Händen, die einige Spielfiguren mit einem Rechen über ein Brett schieben.
Im Netz kann leicht der Eindruck einer Massenbewegung generiert werden, auch wenn hinter einer Initiative nur wenige Personen stehen. © imago images / Ikon Images / Elly Walton
Christoph Bieber im Gespräch mit Jenny Genzmer und Dennis Kogel · 20.02.2021
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Die Initiative "Familien in der Krise" macht sich für Eltern stark – und wird damit in kurzer Zeit medial sehr präsent. Zu präsent, meinen einige. Zwei Newsportale untersuchen deshalb die Gruppe. Doch die Ergebnisse werfen andere Fragen auf.
Eine Gruppe von Eltern ist nicht einverstanden mit der pandemiebedingten Schließung von Schulen und Kitas. Man gründet eine Aktionsgruppe "Familien in der Krise", ist in den Sozialen Netzwerken aktiv und bekommt sehr schnell die Gelegenheit, in der Talkshow "hart aber fair" die Forderung nach einer zügigen Öffnung der Schulen vorzubringen.
Man trifft Ex-Familienministerin Kristina Schröder, jetzt Botschafterin der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), zur Zoom-Konferenz und wird zur beliebten Anlaufstelle für Medien auf der Suche nach Interviewpartnern zur Situation von Eltern in der Coronakrise.

Nur Einzelinteressen?

Ist das einfach nur ein Beispiel für erfolgreichen Aktivismus? Oder ein Fall von Astroturfing, also dem Vortäuschen einer Basisbewegung, während in Wahrheit lediglich Einzelinteressen hinter der Initiative stehen? Dieser Verdacht steht im Raum, doch die Recherchen von "Übermedien" oder "t-online" können das nicht bestätigen. Trotzdem widmen die beiden Portale der Gruppe zwei ausgiebige Beiträge.
Doch zeigt der Fall damit nicht vor allem, dass es schwierig geworden ist, zu durchschauen, welche Interessen und Gruppen hinter einem Hashtag oder einer Facebook-Gruppe stehen? Dass man fragen muss, ob Gruppen mit einer großen Netz- und Medienpräsenz auch tatsächlich eine breite Verwurzelung in der Gesellschaft haben? Und dass die Grenzen zwischen Lobbying, PR-Arbeit und der gezielten Manipluation der öffentlichen Meinung fließend sind?
"Es gibt einige Spuren, die darauf hinweisen, dass im Netz einiges passiert ist, dass man dort die richtigen Twitter-Handles bedient hat und sich in dort laufende Kommunikation eingeklinkt hat", sagt der Politikwissenschaftler und Experte für Medienkommunikation, Christoph Bieber. "Aber es gibt ja doch offensichtlich auch eine sehr gute analoge Vernetzung dieser Gruppierung, die eben dann dazu beigetragen hat, die Kommunikation aus dem digitalen Raum in die traditionellen Medien und vielleicht auch analogere Kommunikationszusammenhänge zu bringen."
Das sei aber durchaus ein Kennzeichen moderner politischer Kommunikation, so Bieber weiter. "Insofern muss man vermutlich sagen, handwerklich ist das nicht schlecht gewesen. Unlauter ist dann vielleicht das Ausnutzen von Kontakten mit dem Ziel, dort den öffentlichen Diskurs zu bestimmen und vor allen Dingen eben auch eine Grundierung, eine Verwurzelung dieser Initiative in der Breite anzuzeigen. Und da scheint es ja zu haken."

Hinter die digitalen Kulissen schauen

Vor dem Hintergrund solcher Fälle müssen Medien dann lernen, was eine "wirkliche" Bewegung ist und was nur ein aufgebauschter Scheinriese. Da gebe es allerdings gerade im Netz gute Möglichkeiten, findet Bieber. Wie sich Netzwerke entwickeln und möglicherweise auch, woher diese ihre Größe und Reichweite herbekämen, lasse sich digital recht gut nachverfolgen.
"Das passiert ja auch in der aktuellen Factchecking-Bewegung, wenn man so will, dass man immer genauer hinter die digitalen Kulissen schaut und es ist zu einem gewissen Grad tatsächlich auch möglich."
Voraussetzung dafür sind allerdings die notwendigen Fertigkeiten und ein Bewusstsein für dieses Problem. Das sieht Bieber derzeit eher "in den neueren Flügeln der Medienlandschaft" als in den klassischen Medienhäusern. Auch dort lerne man dazu. "Aber es ist vielleicht noch nicht überall verbreitet", so der Medienexperte.
"Es gehört eigentlich eine auf große Breite angelegte Medienkompetenz hinzu, die dann eben auch verschiedene Winkel der digitalen Kommunikationsräume erfasst. Und da fehlt es eben nicht nur im professionellen Medienbereich, sondern auch bei den einzelnen Nutzern."
(uko)
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