Debütroman

Ein Fest der Sprache und der Fantasie

Sonnenaufgang im Winter
Sonnenaufgang im Winter © imago/blickwinkel
Von Verena Auffermann · 22.06.2015
Mensch und Natur, Stärke und Schwäche, Soll und Haben. Das sind die übergeordneten Themen in "Winters Garten" der Österreicherin Valerie Fritsch. Eigentlich geht es aber um Fantasie und Sprachgewalt. Ein beachtliches Debüt.
Das Debüt der 26-jährigen Grazerin Valerie Fritsch "Winters Garten" erzählt von einem verwunschenen Haus in einer Gartenkolonie. Dort leben manchmal 20, manchmal sogar 30 Personen. Umgeben ist das Haus von einem großen Garten. Die Generationen, die darin existieren, quälen sich nicht mit den kleinen Dingen des Alltags. Sie lassen die Natur gewähren. Pflanzen ranken sich bis in die Zimmer, Gemüsestauden wuchern wild. Die Föten der ungeborenen Kinder stehen in dunklen Gläsern auf dem Schrank. Hauptpersonen sind die Großeltern von Anton Winter. Als der Großvater stirbt, gibt es auch für seine Frau kein Leben mehr.
Man weiß in Valerie Fritsch' Traumwelt nicht, ob die Pflanzen oder die Menschen die Köpfe hängen lassen und wessen Natur eigentlich die stärkere ist. Aber um die Realitäten von Soll und Haben geht es in diesem schlanken Roman nicht. Valerie Fritsch feiert ein Fest der Sprache, der Allegorien, der Fantasie. Da sie ihren Text keine Zeit zuordnet, erlaubt sie sich eine gegenwartsuntypische Üppigkeit. Jeder Satz ist geprägt von einem überbordenden Erfindungsgeist. Zum Beispiel so: "Die Welt prahlte mit ihrer Größe, und die Himmel jagten über die kleinen Köpfe so lange, bis man sich an sie gewöhnt hatte..."
Am Ende Sodom und Gomorrha
Ein sich ankündigendes Unheil liegt über der Szenerie. Bevor der Garten unter seinen eigenen Früchten begraben wird, zieht Anton in die Stadt, um auf dem Dach eines Hochhauses Vogelzüchter zu werden. Anton lebt nur in der Gesellschaft seiner Vögel, beobachtet sie in ihren Volieren, und da die Tiere mit ihrem Zwitschern und Trillieren ihm das Sprechen ersetzen, sitzt er stumm da und beobachtet sie, bis eine Frau über die Feuerleiter in seine Einsamkeit kommt. Friederike und Anton lieben sich mit dem wahnsinnigen Eifer der Einsamen. Alles erinnert an den fantastischen Realismus, an ausschweifende Bilder, auch an das Hörspiel Ingeborg Bachmanns "Der gute Gott von Manhattan". Bis Leander auftaucht, Antons seit der Kindheit vergessener Bruder, und kein Zweifel mehr möglich ist, dass Valerie Fritsch sich das Paradies erfunden hat, es mit Kain und Abel bevölkert, Werden und Vergehen bildmächtig in den Mittelpunkt stellt und in einem großen Schlussbild Sodom und Gomorrha aufflammen lässt. Das Fernglas an die Augen gepresst, sieht Anton wie die große Stadt in der Ferne von den Flammen verschluckt wird und sich die Feuerwolke auf ihn zubewegt. Das Schlussbild schwillt zu einem apokalyptischen Traumbild an. Aus der Zeitlosigkeit ist eine Gegenwartsbeschreibung geworden. Ein Schreckensbild.
Ein beachtliches, fantasie- und sprachstarkes Debüt, das im zweiten Teil in seiner überbordenden und forcierten Dichte an Kraft verliert. Doch wird es sich lohnen, die weitere Entwicklung von Valerie Fritsch zu beobachten und erst einmal zuhören, was sie beim diesjährigen Klagenfurter Ingeborg Bachmann Wettbewerb vorlesen wird.

Valerie Fritsch: Winters Garten
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
154 Seiten, 16,95 Euro

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