Debatte um DDR als Unrechtsstaat

Kampfbegriff oder historische Tatsache?

09:46 Minuten
Porträts von Bodo Ramelow und Manuela Schwesig.
Bodo Ramelow (Die Linke) und Manuela Schwesig (SPD) wehren sich gegen den Begriff "Unrechtsstaat". © imago images/Metodi Popow/Karina Hessland
Silke Hasselmann und Henry Bernhard im Gespräch mit Nicole Dittmer · 07.10.2019
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War die DDR ein Unrechtsstaat? Ausgelöst durch Äußerungen von Manuela Schwesig und Bodo Ramelow ist über den Begriff nun erneut eine Debatte entbrannt. Auch zwei unserer Landeskorrespondenten sind in der Frage gespalten.
Heute vor 70 Jahren, am 7. Oktober 1949, wurde die DDR gegründet. Ein Überwachungs-Staat, der Zeit seines Bestehens viel Leid über die Menschen brachte. Die Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow (Die Linke) und Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), wollen trotzdem nicht von einem "Unrechtsstaat" sprechen – und sorgen mit ihren Aussagen für viel Wirbel.
Silke Hasselmann, Landeskorrespondentin des Deutschlandfunk Kultur in Mecklenburg-Vorpommern, hält die Debatte für eine Phantom-Diskussion: "Unrechtsstaat ist ein Kampfbegriff. Mit der führenden Rolle der SED und der ‚Diktatur des Proletariats‘ war die DDR zwar aus juristischer Sicht durchaus als Unrechtsstaat angelegt. Aber natürlich hat nicht jeder DDR-Bürger die extreme Ausprägung erlebt, ob als Opfer oder als Täter. Und nicht alles, was von staatlicher Seite passierte, ist Unrecht gewesen." Deshalb habe Bodo Ramelow auch nicht Unrecht, wenn er die Formulierung zurückweise – und damit eine Gleichsetzung der DDR mit dem Unrechtsstaat der Nazis, so Hasselmann.

Leben durch Kritik für unwertig erklärt

Henry Bernhard, Landeskorrespondent für Deutschlandfunk Kultur in Thüringen, erkennt in dem Begriff hingegen keinen Vergleich mit dem Nazistaat. Er findet ihn als Bezeichnung für die DDR vielmehr durchaus angemessen. "Angeblich waren in der Verfassung der DDR Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit garantiert. Aber der Staat hat die von ihm selbst aufgestellten Regeln mit Füßen getreten. Es gab auch Gesetze, aber all das hat nichts gegolten, wenn man ins Visier der Stasi geriet", so Bernhard.
Trotz des offenkundigen, durch das SED-Regime verübten Unrechts reagieren manche ehemaligen DDR-Bürger noch heute sehr emotional auf den Begriff. Diese Menschen verknüpften ihr höchstpersönliches Leben mit der Etikettierung der DDR als Unrechtsstaat, so Silke Hasselmann. "Als wenn man so zugleich die Lebensleistung dieser Menschen aberkennt." Dabei würden deren Leben durch die Kritik am Staat keineswegs für unrecht und wertlos erklärt, sagt Hasselmann.

Die Linken: Keinen Schritt weiter

Dass diese Diskussion nun wieder geführt wird, liege in den Augen von Henry Bernhard vor allem am 70. Jahrestag der DDR. Denn eigentlich habe man diesen Kampf schon vor fünf Jahren ausgefochten, während der Koalitionsverhandlungen zwischen der Linken, der SPD und den Grünen. Bodo Ramelows Aussagen seien ein Beweis dafür, dass die Linke in den letzten Jahren keinen Schritt weiter gekommen sei, so Bernhard.
Aber warum wagt sich auch Manuela Schwesig vor in das Feld, das als Domäne der Linken gilt? Silke Hasselmann tippt auf taktisches Kalkül. Schwesig habe bereits die Wahl in zwei Jahren im Kopf, sagt Hasselmann: "In den letzten Umfragen hat die SPD eine extreme Klatsche bekommen. Manuela Schwesig schielt schon auf das linke Wählerklientel – mit ungewissem Ausgang."
(rod)
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