David Rousset: "Das KZ-Universum"

Dokument eines grotesken Systems

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Das Cover zeigt zwei schwarze Vierecke auf weißem Grund. In den Vierecken stehen der Name des Autors und der Titel des Buchs.
David Roussets Buch hilft Nachgeborenen eine Ahnung von dem zu bekommen, was Menschen möglich ist, sagt Carsten Hueck. © Cover: Suhrkamp / Collage: Deutschlandradio
Von Carsten Hueck · 27.01.2020
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In Frankreich erschien "Das KZ-Universum" von David Rousset schon 1946, erst jetzt wurde es ins Deutsche übertragen. Der Autor kam als Trotzkist nach Buchenwald und beschreibt das KZ als eine Art Firma. Betriebsziel: die Vernichtung der Belegschaft.
Berichte über die Shoah und aus den Konzentrationslagern haben sich erst in den letzten Jahrzehnten als jeweils eigene literarische Genres etabliert. Vielsprachige Zeugnisse von Überlebenden gibt es aber schon länger. Wir verbinden mit ihnen große Namen: Primo Levi, Jorgé Semprun, Ruth Klüger, Imre Kertesz. Einer aber fehlte bislang in der Liste: der von David Rousset.
Rousset, 1912 geboren, französischer Trotzkist und Widerstandskämpfer gegen die Nazis, wurde im Januar 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht und später in weitere Lager überstellt, bis ihn im Mai 1945 in Woebbelin bei Schwerin allliierte Truppen befreiten.

Geschrieben in wenigen Monaten

Nur wenige Monate später hatte er "Das KZ-Universum" geschrieben, eine der ersten Darstellungen des nationalsozialistischen Lagersystems. 1946 erschien das Buch in Frankreich. Dort prägte es viele Jahre die intellektuelle Auseinandersetzung und trug maßgeblich zur Herausbildung einer "Ästhetik des Widerstandes" bei.
Ins Deutsche übersetzt wurde Roussets Standardwerk allerdings erst jetzt. Das verwundert, ist aber erklärbar. Rousset war weder Jude noch Deutscher, ein Linker, doch Antistalinist. Und schon 1946 warnt er, dass - je nach den sozialen und ökonomischen Umständen - auch andere Völker in der Lage wären, ein KZ-Unversum zu errichten.

Wie ein Fliegenschwarm auf ein Laib Brot

Rousset beschreibt seine Erfahrungen - und die anderer KZ-Häftlinge – in einer literarischen Sprache. Rhythmisch ist sie und bilderreich. Mal im Stil der neuen Sachlichkeit, mal expressionistisch, mitunter erinnert sie an die Rimbauds.
Auch inhaltliche Bezüge sind literarisch: Das Motto des Buches stammt von Alfred Jarry, dem Schöpfer des "Ubu roi", ebenso verweist Rousset auf Kafka und Céline.
Die Bilder, die er schafft, streichen das Maschinelle der Vorgänge im KZ-Universum hervor und zeigen zugleich das Groteske - wenn sich mehrere Häftlinge wie ein Fliegenschwarm auf einen Laib Brot stürzen, oder sich ein Gebiss im Essen findet, Beleg dafür, dass ein nachlässiger Koch hier Menschenfleisch zubereitet hat.

Das KZ als Firma

Der KZ-Häftling ist in Roussets Schilderungen kein Individuum, besitzt keine Identität. Er ist Teil einer Masse, setzt sich zusammen aus Funktionen innerhalb der Hierarchie, die ein System der Ausbeutung spiegelt.
Das KZ als Firma – mit vielfältigen Geschäftsbeziehungen zur Außenwelt, Vorgesetzen auf mehreren Ebenen und der psychischen und physischen Vernichtung der Belegschaft als Betriebsziel. Rousset analysiert die Strukturen des Lagersystems, klarsichtig und unsentimental. Er hat den Anspruch eines Soziologen und verfügt über das Werkzeug eines Dichters.
Einige wenige Bewohner des KZ-Universums hebt er namentlich hervor, versieht sie mit Persönlichkeit, betont ihr Festhalten an Würde, Geist und Kunst. Und zieht so am Ende seines Berichts über die Lager keine negative Bilanz. Sie böten denen, die sie überlebten, "ausgezeichnetes Rüstzeug" für weitere gesellschaftspolitische Kämpfe.

Verengter Blick auf deutsche Antifaschisten

Hier verengt sich der Blick des Autors. Gerade die "deutschen Antifaschisten, die über zehn Jahre lang interniert waren", als "wertvolle Kampfgefährten" für eine humanere Gesellschaft anzusehen, wirkt mit dem heutigen Wissen um die Unterdrückungsmechanismen in der DDR nahezu höhnisch.
Dennoch ist "Das KZ-Universum" ein einzigartiges Zeugnis, das Nachgeborenen hilft, jenseits moralischer Entrüstung und Opferverehrung, eine Ahnung zu bekommen von dem, was Menschen möglich ist.

David Rousset: "Das KZ-Universum"
Mit einem Nachwort von Jeremy Adler
Aus dem Französischen von Olga Radetzkaja und Volker Weichsel
Jüdischer Verlag, Berlin 2020
141 Seiten, 22,00 Euro

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