Dave Goulson:
Wenn der Nagekäfer zweimal klopft. Das geheime Leben der Insekten
Übersetzt von Sabine Hübner
Hanser Verlag, München 2016
319 Seiten, 21,90 Euro
Über die wahren Herrscher der Welt
Der britische Biologe Dave Goulson nimmt die Welt der Insekten unter die Lupe. Wie bedeutend sind Insekten etwa für unser globales Ökosystem? Machen Libellen gerne Liebe? Warum sind Schmetterlinge eigentlich schön? Goulson deckt die Geheimnisse der Krabbeltiere auf.
Insekten sind die wahren Herrscher dieser Erde. Keine Tiergruppe konnte so erfolgreich sämtliche ökologische Nischen besetzen wie sie. Insekten fressen alles, von staubtrockenen Strickjacken über Blut und Kadaver bis hin zum duftenden Blütennektar. Manche Wespen sind nicht größer als der Punkt hinter diesem Satz, manche Schmetterlinge wandern jährlich 8000 Kilometer. In seinem neuen Buch "Wenn der Nagekäfer zweimal klopft" widmet sich Dave Goulson der wundersamen Welt der Kriech- und Krabbeltiere, wobei sein Titelheld zu den eher langsamen Gesellen gehört: Nagekäfer fräsen sich zehn Jahre lang als kleine weiße Larven durch totes Holz, bevor sie - träge, unbeholfen, fast blind und ohne Geruchssinn - ihres kurzes Erwachsenendasein beginnen. In ihrer lichtlosen Holzwelt finden Männchen und Weibchen zueinander, indem sie ihre Köpfe gegen die Balken stoßen. Dadurch spüren sie in ihren Füßen die Vibrationen und bewegen sich, unendlich langsam, aufeinander zu.
Insekten auf einem abgelegenen Hof
Handlungs- und Beobachtungsort dieser Tiergeschichten ist ein heruntergekommener, abgelegener Hof in Frankreich. Dave Goulson erstand ihn, als seine Universität in Sussex den Hof samt Wiesen als Baugrund verscherbelte. Wiesen, auf denen er ökologische Forschung betrieb. Nach dem Kauf verlagerte Goulson seine Arbeit ganz in die französische Einsamkeit und stellt in diesem Buch nun vor, was um sein Anwesen kreucht, fleucht, blüht und beißt. Dabei gewinnt der Biologe der gewöhnlichen Stubenfliege so viel Dramatik ab, dass es einen förmlich in den Lesesessel presst. In den Mägen von Fliegen, berichtet der Autor genüsslich, wimmelt ein Cocktail giftiger Viren und Bakterien. Die Kulturfolger können Würmer, Milzbrand, Tuberkulose, Cholera und Salmonellen übertragen, wobei sie der unappetitlichen Angewohnheit frönen, erst auf Fäkalien oder Tierkadavern und dann auf menschlichen Lebensmitteln zu speisen. Dabei entleeren sie regelmäßig ihren Mageninhalt und saugen ihn wieder auf – herrlich.
Am eigenen Ast sägen
Nach seinem Erfolgsbuch über das Leben und Sterben der Hummeln legt der britische Biologieprofessor nun also nach und erweist sich einmal mehr als wunderbarer Sachbuchautor. Mit Ironie, Tiefgang und überraschenden Wendungen bietet er großes Kino auf dem neuesten Stand der Forschung. In den Hauptrollen: lahme Käfer, gewalttätige Libellen, erbrechende Stubenfliegen, grundlos schöne Schmetterlinge – und das fragile Gewebe des Lebens. Dave Goulson wäre kein begeisterter Ökologe, würde er nicht auch den Niedergang des Artenreichtums beklagen, das weltweite Verschwinden der Insekten und die Zersiedelung der Landschaft, die zu immer kleineren Habitaten und darin zu Inzucht und kranken Tierpopulationen führt. Viel Hoffnung hat Dave Goulson nicht, dass wir Menschen aufhören werden, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Doch er selbst geht mit gutem Beispiel voran: Kampflos überlässt er den hölzernen Dachstuhl seines Hofes dem aussterbenden Nagekäfer. Etwa hundert Jahre, so schätzt er, wird es dauern: Dann haben die blinden Tierchen das Haus mit ihrem Klopfen und Schaben zum Einsturz gebracht.