Das Sound-Shirt

Konzerterlebnis für Gehörlose

Sound-Shirt
Toningenieur Alexander Dietze erklärt das Sound-Shirt. Die Jungen Symphoniker Hamburg haben einen Prototyp der Jacke für gehörlose Menschen im Einsatz. © Foto: Junge Symphoniker Hamburg
Von Sebastian Witte · 14.07.2016
Die Jungen Symphoniker Hamburg haben gehörlose Menschen in ein Konzert eingeladen. Mit einem so genannten Sound-Shirt sollten sie die Musik am Körper als Vibrationen fühlen. In das Kleidungsstück sind 16 kleine Motoren eingebaut, die Klänge am Körper spürbar machen.
Die Musiker der Jungen Symphoniker Hamburg proben gerade noch. Tontechniker Alexander Dietze macht letzte Einstellungen an den Mikros, die auf der Bühne aufgebaut sind. Die acht Mikros sind mit dem Sound-Shirt verbunden. Jedes Mikro steuert einen anderen Teil der Jacke an. In einem Computer-Programm werden die Instrumente den Bereichen zugewiesen.
"Wir haben hier die Geigen auf dem Oberarm, auf dem linken Unterarm sind die Bratschen, am Rücken haben wir die Bläser. Das fühlt sich ganz gut an. Ist eine schöne Massage."
Erklärt Tontechniker Alexander Dietze. Für die "Massage" sorgen 16 kleine Motoren, die in die Jacke eingebaut wurden. Ein Computer wandelt den Ton von den Mikros in Signale um, die die Jacke dann zum Vibrieren bringen. Hohe Töne sind so an den Armen spürbar und der Bass vor allem an Bauch und Rücken. Das Sound-Shirt sieht aus wie eine Taucherjacke aus Neopren und fühlt sich auch so an. Im Nacken laufen alle Drähte zusammen und empfangen kabellos die Informationen des Computers. Kleine LEDs blinken sobald Musik erklingt. Die Lämpchen dienen allerdings nur dem futuristischen Look, erklärt Dietze.
Zwei Gehörlose sollen heute das Shirt anziehen und so Musik wahrnehmen, die sie nicht hören können. Ob das ein erfüllendes Erlebnis ist? Die erste Testerin zieht die Jacke an. Roswitha Rother trägt ein Cochlea Implantat. Damit kann die 48-Jährige eingeschränkt hören. Schaltet sie es aus, hört sie nichts. Für das Konzert macht sie es zuerst aus und später an.
"Das war eine sehr beeindruckende Erfahrung. Das hat das Emotionale in der Musik irgendwie auch spürbarer gemacht. Ein bisschen ist es zu vergleichen, wenn man in der Disco neben einem Lautsprecher steht."

400 Anfragen für Shirttest

Die Idee, so eine Jacke zu bauen, stammt von der Werbeagentur Jung von Matt. Mit dem Sound-Shirt bewirbt die Agentur die jungen Symphoniker und sich selbst direkt mit. Für den Test gab es schon 400 Anfragen von gehörlosen Menschen. Sie wollten alle einmal die Jacke testen. Aber ist das Erlebnis, das das Sound-Shirt bietet, überhaupt mit dem tatsächlichen Hören von Musik gleichzusetzen?
"Ich glaube nicht, dass das mit einem Höreindruck zu vergleichen ist, weil einfach nur Vibrationen vermittelt werden. Vibrationen haben ja nichts mit dem Hören zu tun. Nur der Tastsinn wird angesprochen."
Erklärt René Scheuern. Der Kölner Akustikmeister für Hörgeräte ist skeptisch. Das Sound-Shirt würde für Gehörlose nur in einem Konzert ein Erlebnis bieten. Es sei eben wichtig…
"…dass das gleichzeitig auch visuell gesehen wird, wenn jemand auf die Pauke schlägt und dass dann in einem Bereich eine Vibration stattfindet oder wenn die Geigen einsetzen, dass dann in einem anderen Körperteil, die Vibration aktiviert wird."
Bei den Wagner-Stücken kommen viele Pauken und Bläser zum Einsatz. Das Sound-Shirt vibrieret beim Konzert der jungen Symphoniker dementsprechend viel und intensiv. Aber könnte man mit dem Kleidungsstück auch Musikstile voneinander unterscheiden, wenn man die Musiker nicht vor sich hat? Fühlt sich Techno wie Rock an? Oder Wagner wie Brahms? Sind überhaupt Melodien zu erfühlen?
"Jeder, der ein Handy in der Hand hat und da geht der Vibrationsalarm los, da kann man unterschiedliche Intensitäten einstellen, unterschiedliche Längen einstellen. Da ist dann vielleicht eine gewisse Melodie erspürbar."
Ob gehörlose Träger der Jacke wirklich Melodien damit fühlen können, bleibt offen. Die Erfinder Jung von Matt haben nach eigener Aussage beim Entwurf und bei der Entwicklung des Sound-Shirts keinen Kontakt zu Gehörlosen gesucht. Das Projekt habe sie einfach gereizt, erklärt das Unternehmen.
"Music should be for everyone."

Wer bezahlt die Weiterentwicklung?

Heißt es im professionell gedrehten Werbeclip für das Shirt. Gehörlose Menschen sind in Deutschland online eng miteinander vernetzt. Viele von ihnen teilen das Video in den sozialen Medien und schreiben Blogeinträge zum Sound-Shirt. Sie hoffen, dass die Jacke demnächst in vielen Konzerthäusern hängt. Jung von Matt hat den Prototypen jetzt an das Hamburger Orchester übergeben. Aber wie geht es jetzt weiter? Die Technik könnte weiter entwickelt werden, erklären die Musiker. Es könnten mehr Jacken produziert werden. Aber wer übernimmt die Kosten dafür? Die jungen Symphoniker sind ein Laienorchester, das sich über Eintrittspreise selbst am Leben erhält. Und würden Konzerthäuser die Tontechniker bezahlen, die vor den Konzerten die Musiker mikrophonieren und das Sound-Shirt richtig einstellen?
In Hamburg beginnt die zweite Konzerthälfte. Jetzt trägt Asha Rajashekhar das Sound-Shirt. Beim Konzert lacht die gehörlose Testerin und bewegt ihren Köper teilweise im Rhythmus der Musik. Danach übersetzt eine Gebärden-Dolmetscherin für sie.
"Das war total überwältigend. Ich konnte die verschiedenen Instrumente hören an den verschiedenen Körperstellen. Ich würde es am liebsten mitnehmen!"
Unabhängig davon, wie adäquat das Sound-Shirt ein musikalisches Erlebnis für Gehörlose übersetzen kann, verspricht es eine stärkere gesellschaftliche Teilhabe. Ein Versprechen, das, hoffentlich, nicht enttäuscht wird.
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