Inklusion

Musik in Gebärdensprache übersetzt

Ein Frau spricht Gebärdensprache.
Ein Frau spricht Gebärdensprache. © picture alliance / dpa
Von Sandra Ketterer · 27.06.2014
Ob Sinfonie-Orchester, Rockkonzert oder in der Disko - die meisten Menschen, die Konzerte besuchen, können hören. Aber auch Gehörlose wollen Musik erleben. Laura M. Schwengber hilft ihnen dabei – indem sie Songtexte und Instrumentalmusik in Gebärdensprache übersetzt.
"Schönen guten Abend, hier ist das Keimzeit Akustik Quintett Plus... wir wollen gut unterhalten."
Freitagabend in einer Konzerthalle in Berlin-Köpenick. Der Raum ist voll mit Menschen, mindestens 200 Zuhörer sind bekommen, um das Keimzeit Akustik Quintett zu hören, zu sehen und mit den fünf Musikern zu feiern. Jetzt wippen alle im Takt mit den Köpfen und hören dem Gesang und der Musik zu. Und sie schauen auf die junge Frau links von den Musikern. Neben dem Bassisten steht sie, wippt im Takt, schwenkt den Körper vor und zurück, hebt und senkt die Arme, bewegt Finger und Lippen:
"Und ladies first, es ist mir ein Vergnügen, vorstellen zu können, Gebärdendolmetscherin Laura!"
Laura Schwengber ist an diesem Abend quasi das sechste Mitglied der Band. Sie macht Wellenbewegungen mit dem Körper, wenn die Sänger vom Meer singen, deutet Tränen an bei einem traurigen Liebeslied und Partytanz, wenn es fröhlich wird. Mit ihren Händen, Armen, Beinen, ihrem Gesicht - einfach dem ganzen Körper übersetzt sie die Texte und drückt die Stimmung der Songs aus. Laura Schwengber will als Gebärdendolmetscherin die Stücke der Band auch für diejenigen Fans verständlich machen, die wenig oder sogar gar nichts hören:
"Wir spüren Musik ja, wir hören sich auch, jeder natürlich ein bisschen anders und wir sehen Musik aber auch ganz oft, zum Beispiel in Musikvideos, und genau diesen visuellen Kanal nutze ich aus, um die Musik, die wir hören, und vor allem die Emotionen, die wir dabei haben, noch mehr zu unterstützen. Das heißt, ich nehme zum einen den Text und übersetze ihn in Gebärdensprache. (...) Aber Musik macht ja vor allem den Rhythmus aus und den Ausdruck und den versuche ich dann mit Hilfe meines restlichen Körpers darzustellen, das heißt es ist schon eine sehr tänzerische, hörerische Form der Übersetzung."
Die 23-Jährige will eigentlich später mal unterrichten, studiert an der Humboldt-Universität in Berlin Deaf Studies, also Sprache und Kultur von Gehörlosen, sowie Audio- und Gebärdensprachpädagogik - mit dem Ziel, Gehörlose in Englisch zu unterrichten. Außerdem hat sie ihre Ausbildung als Gebärdensprachdolmetscherin abgeschlossen. Und seit einigen Monaten steht sie auf der Bühne:
"Keimzeit wurden angesprochen von einem ertaubten Fan, das heißt, sie konnte das früher selber hören, die Konzerte, und ist mit ihren Freunden dorthin gegangen und dann kamen neue Lieder raus und da war auch keine Melodie und kein Text mehr klar, weil es war etwas, was erschienen war, nachdem sie einfach nichts mehr gehört hat. Also musste ein Dolmetscher her, weil sie hatte inzwischen Gebärdensprache gelernt, und so ist die Idee entstanden."
Schon am späten Nachmittag ist Laura Schwengber im Konzertsaal. Soundcheck, der Techniker schraubt auf einer meterhohen Leiter an den Lampen an der Decke. Schwengber hat sich in Schale geworfen, langer schwarzer Rock, schwarzes Oberteil - passend zum dunklen Outfit der Band. Um ihre Handgelenke hat sie Wärmepflaster gebunden, die sie unter Stulpen versteckt. Die Pflaster trägt sie schon den ganzen Tag, damit ihre Hände später flexibel genug zum Dolmetschen sind. Schwengber hat Lampenfieber:
"Schon ziemlich. Also, im Kopf rattert immer so ein bisschen irgendein Songtext mit, ob man den schon kann, ob man den nicht vergessen hat, wollte man nicht noch irgendeine Vokabel nachgucken, hat man alle Sachen eingepackt, die man gleich braucht, sind die Finger schon warm ... es geht einem schon sehr viel noch durch den Kopf, aber das wird schon, das ist gleich alles weg, wenn es dann losgeht."
Zur Gebärdensprache ist Laura Schwengber über ihren besten Freund gekommen:
"Als ich Eddie kennengelernt habe, hatte er schon ein bisschen einen Hörschaden und ein bisschen einen Sehschaden, aber es ging noch so gut, dass er laut gesprochenes gut verstanden hat und auch, wenn man Sachen sehr groß aufgeschrieben hat, sehr gut lesen konnte, damit haben wir auch noch lang kommunizieren können, ganz schnell war es mir aber auch einfach egal, weil ich irgendwie an ihm als Person sehr interessiert war. Er war irgendwie total lustig und wir hatten irgendwie den gleichen Humor, der trägt auch bis heute sehr gut ... "
Also hat Laura mit den Fingern sprechen gelernt. Denn Eddie versteht sie nur, wenn sie mit den Fingern auf seine Hand tippt. Am Ende der Schulzeit war ihr klar: Entweder wird sie Musikerin oder sie arbeitet mit Gebärdensprache. Sie hat sich für letzteres entschieden, auch weil ihr eine Zukunft in der Musikbranche zu unsicher erschien. Bei den Konzerten schafft sie es, beides zu kombinieren:
"Das Gefühl, auf so einer Bühne zu stehen, mit unglaublich professionellen Musikern, die wissen, also ich habe immer das Gefühl, die wissen genau, was sie machen in dem Moment, da so ein Teil davon zu werden, das ist schon ein sehr schönes Gefühl, und dann hat man da Publikum, die da stehen und einem das Gefühl geben, es ist total gut, was man da jetzt macht, das hat man ja so nicht jeden Tag, das ist schon - dafür lohnt sich jede Stunde, die man in die Vorbereitung investiert."
Dass Keimzeit ausgerechnet auf sie kam, war kein Zufall. Zuvor hat sie für einen Radiosender Videoclips deutscher Bands gedolmetscht. Mehr als 20 Videos könnten Fans inzwischen bei Youtube abrufen. Das tun sie zu Zehntausenden:
"Was mich besonders persönlich berührt, sind so die ganz, die ganz kleinen Geschichten, so wenn Leute kommen und sagen, ey, ich fand Musik schon immer total blöd, ich hatte einen total blöden Musiklehrer bei mir in der Schule oder, ah, mein Hörgerät war noch nie so programmiert, dass irgendwie Musik für mich spannend war, aber meine Schwester hat mich immer damit genervt und meine Eltern waren immer auf Konzerten von dem-und-dem und jetzt, durch die Videos, finde ich es das erste Mal auch irgendwie spannend - oder dass dann tatsächlich Familien dieselben Lieder hören können, weil eben die einen mit den Augen hören und die anderen über die Ohren."
Ihr Lehramtstudium will Laura Schwengber trotzdem beenden. Auch wenn es unter den vielen Nebenbeschäftigungen doch manchmal leidet. Vielleicht, so sagt sie, kann sie beides einmal kombinieren. Bis dahin wird sie vermutlich öfter mit Keimzeit auftreten. Der Applaus, den sie erhält, kommt übrigens eindeutig nicht nur von tauben Zuschauern. Ihr Auftritt kommt bei allen an.
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