"Das Management ist sklerotisch geworden"
Vor lauter Evaluation kommt der öffentliche Dienst nicht mehr zur eigentlichen Arbeit, kritisiert Christoph Bartmann, Leiter des Goethe-Instituts in New York. Er plädiert für mehr Bürokratie der alten Schule. Alle 20 bis 30 Jahre müsse die herrschende Büroordnung überdacht werden.
Dieter Kassel: In modernen Amtsstuben wird evaluiert, gebrieft und gebrainstormt. Und bei diesen Sekundärtätigkeiten kommt man kaum noch zu den Primärtätigkeiten, sagt Christoph Bartmann, Autor des heute erscheinenden Buches "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten". Um diese Begriffe gleich zu erklären: Das, was er in diesem Zusammenhang Primärtätigkeiten oder Primärarbeit nennt, ist wahrscheinlich das, was die meisten Laien überhaupt erst als Arbeit erkennen würden. Und genau ist das Problem und deshalb sagt Christoph Bartmann im Buch auch ganz klar: Die schöne neue Bürowelt, die wir uns durch den sogenannten Bürokratieabbau geschaffen haben, die ist so schön nicht. Er sagt aber auch, das ist ganz wichtig an dieser Stelle: Ich bin selber Angestellter im öffentlichen Dienst und ich bin es ganz gerne. Er ist zurzeit ganz konkret der Leiter des Goethe-Instituts in New York, und dort in New York sitzt er jetzt für uns im Studio. Schönen guten Tag, Herr Bartmann!
Christoph Bartmann: Guten Tag!
Kassel: Machen wir es mal ganz praktisch, die Arbeitswoche fängt ja heute erst an, gerade bei Ihnen, mit der Zeitverschiebung, aber in der letzten Woche: Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit haben Sie mit diesen sekundären Tätigkeiten verbracht und wie viel Prozent mit den primären?
Bartmann: Ach, gute Frage! Also, ich habe jetzt nicht nachgerechnet, aber es hängt auch ein bisschen davon ab, ob ich diese Sekundärtätigkeiten ausführen will oder wie geschickt ich im Umgang mit diesen Sekundärtätigkeiten bin. Mein Ziel war immer, unter 20 Prozent Sekundär zu gelangen. Das gelingt aber mal besser, mal weniger gut, das ist auch ein bisschen saisonal unterschiedlich.
Kassel: Aber wenn wir bei so etwas wie Evaluieren bleiben: Das war doch alles irgendwann mal sehr gut gemeint, gerade die Leute im öffentlichen Dienst, die Beamten gar, sollen nicht mit dem Spruch "Das haben wir immer schon gemacht" alles so machen wie bisher, sondern auch mal darüber nachdenken, ob es gut oder schlecht ist?
Bartmann: Ja, natürlich. Ich glaube, es gibt immer so eine Phase der Hoffnung und des Neubeginns in Verwaltungen und dann gibt es eine Phase der Sklerose und der Verkrustung. Also, die alte Bürokratie, die der berühmte Soziologe Max Weber so gut wie niemand sonst beschrieben hat, war ja angetreten - ich zitiere mal eben, also -, "an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verlässlichkeit schlechthin nicht zu überbieten zu sein". Und irgendwann mal hat diese tolle behörden- und aktenmäßige Verwaltung etwas an Effizienz eingebüßt und dann kam als nächstes großes Ding eben die amerikanische Idee des Managements in den 50er-Jahren und hat ihren Siegeszug angetreten. Und ich würde denken, dass wir heute in einer Phase leben, wo das Management genau so sklerotisch geworden ist wie vor 30, 40, 50 Jahren die alte Bürokratie.
Kassel: Aber was Sie gerade getan haben, kann man ja heute eigentlich gar nicht mehr tun: Man kann ja nicht Bürokratie sagen und meint das nicht als Schimpfwort. Wie ist das überhaupt gekommen?
Bartmann: Die Bürokratie hat ihren Job dann halt doch nicht ganz so gut gemacht, wie Max Weber sich das vorgestellt hat. Die Bürokratie hat sich im Lauf der Jahrzehnte eben auch diskreditiert. Oder es liegt wahrscheinlich in der Natur von Bürokratien, dass sie Fett ansetzen oder Speck, dass sie irgendwie übergewichtig und unbeweglich werden und dass die Staatsdiener dann eben doch nicht unbedingt jeweils ein Ausbund an Präzision, Stetigkeit und Disziplin sind. Vielleicht ist es ja auch so, dass nicht immer die besten Leute in den Staatsdienst gehen. Das war vielleicht zu Max Webers Zeiten auch noch anders. Also, von daher wohnt dieser ganzen Idee der Behörde auch ein bisschen die Idee oder der Trend zur Dekadenz inne. Und dann wird es Zeit, innezuhalten und sich zu fragen, wie gut ist die Behörde, wie gut ist auch die managerisierte Behörde und was könnten wir anders machen?
Kassel: Aber wann ist es schiefgegangen? Ich komme noch mal darauf zurück: Evaluierung, in Maßen ja nichts Schlechtes, das heißt eigentlich nichts anderes als, wir gucken mal, was und wie wir machen und ob man's besser machen kann. Zum Beispiel, wenn wir über die kundenfreundliche Behörde reden, dass die mit den Bürgern, für die sie zuständig ist, öfter und freundlicher redet, ist nichts Schlechtes. Dass man sogar mal guckt, kann man genau die gleiche Arbeit mit weniger Ausgaben machen, dadurch effizienter werden, ist doch eigentlich auch nichts Schlechtes. Wann ist das alles plötzlich in die falsche Richtung abgebogen?
Bartmann: Also, das ist vielleicht auch eine Meinung, die nicht alle teilen, vor allem nicht alle Manager. Also, wenn Sie bei der Bundesagentur für Arbeit, wie sie jetzt heißt, nachfragen, ob die sich nicht vielleicht anders besser organisiert hat, nachdem sie nicht mehr Bundesanstalt ist, würden sie wahrscheinlich hören, dass das eine ganz erfreuliche Entwicklung ist. Es ist schwer, ein genaues Datum zu bestimmen. Was ich problematisch finde an Evaluation, ist der Umstand, dass es sich immer um eine Delegation, also ein Abgeben oder Abtreten sozusagen von eigener Urteilskraft und Urteilsvermögen handelt.
Ich weiß von meinen Projekten beispielsweise meistens ganz gut, wie gut und wie schlecht die sind. Und dann wird für 30.000 Euro eine Firma angestellt, die mir unter Umständen sagt, das Projekt war gut, selbst dann, wenn ich es schlecht finde. Und wir sind ja auch in Vertragsverhältnissen mit den Evaluatoren, die wollen wieder beschäftigt werden und die werden uns ganz bestimmt keine schlechten Noten ausstellen, wenn sie Anschlussaufträge von uns wollen. Von daher, ich habe zwei Worte dafür: Das eine ist Transaktionskosten, das heißt, diese ganze Vermessung und Betrachtung der Arbeit ist einfach zu teuer. Und das zweite Stichwort heißt Korruption, das heißt, es gibt einfach auch da zu viel menschliche Kommunikation mit menschlichen Schwächen, die dafür sorgt, dass diese vermeintlich objektiven Messinstrumente eben doch getürkt sein können.
Kassel: Funktioniert sicher umgekehrt - Sie haben jetzt beschrieben, wie eventuell das Unternehmen, das die Evaluierung durchführt, das sagt, was der Chef der Behörde hören will -, aber gibt es nicht inzwischen längst Mitarbeiter nicht mehr so machen, dass sie objektiv oder auch subjektiv gut ist, sondern, dass sie für die Evaluierungsfirmen gut aussieht?
Bartmann: Absolut. Ich meine, wir reden so viel von Kreativität und Fantasie und Innovation, aber ich glaube, dass dieser Trend zur Evaluation im Gegenteil eigentlich den Konformismus fördert: Ich werde bloß noch die Arbeit machen, von der ich weiß, dass ich dafür gute Noten bekomme. Und der Mut zum Risiko und die Bereitschaft, auch mal was schiefgehen zu lassen und für die Folgen geradezustehen, wird durch dieses Evaluationswesen eher gemindert.
Kassel: Was sagt das über die Chefs? Weil, ich habe oft die Erfahrung gemacht - ich nehme jetzt natürlich nicht das Deutschlandradio Kultur, aber bei anderen Sendern -, wenn dann ein Coach zum Beispiel kommt, der einem was beibringen soll, oder ein Berater von außen, dann steht der Chef oft gerne mal da und guckt den an wie den lieben Gott. Und da habe ich immer den Eindruck, na ja, so stelle ich mir einen Chef nicht vor!
Bartmann: Ja, also, ich bin ja ganz allgemein gegen die Abtretung von zu viel Kompetenz an die Externen. Und es gibt aber in dieser so etwas mit sich selbst hadernden Behörde unserer Tage ganz stark die Tendenz, die Kritik und das Urteil und die Bewertung abzutreten an Dritte in der Hoffnung, dass dieses Urteil dann mehr Autorität besitzt. Ich bin aber im Zweifelsfall der Meinung, dass die Autorität von den Chefs selbst kommen müsste.
Kassel: Kann man das denn überhaupt noch zurückdrehen? Ich meine, wir haben doch hier eine Entwicklung, die doch, sagen wir mal, so mindestens ... ich kann auch keinen Zeitpunkt nennen, wenn Sie das schon nicht können, aber seit 20 Jahren vor sich hintreibt und ...
Bartmann: ... ja, weil Sie mich gefragt haben: Also, ich habe in meinen fast 25 Berufsjahren mindestens seit 20 Jahren das Gefühl, dass es Management-Schulen und -Moden gibt, die alle mehr oder weniger ergebnislos an uns vorbeirauschen. Also, mindestens seit Anfang der 90er-Jahre, würde ich sagen, ist die Sache richtig aus dem Ruder gelaufen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christoph Bartmann, ein Angestellter im öffentlichen Dienst und einer, der seinen Job gerne macht. Sein Job ist die Leitung des Goethe-Instituts in New York und er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten". Ich habe mich beim Lesen des Buchs, Herr Bartmann, eins so ein bisschen mit einem Grummeln im Bauch gefragt: Was wäre in Ihren Augen eine zumindest theoretisch mögliche Lösung? Sie haben ja schon ein Loblied der alten Bürokratie gesungen. Wenn es denn ginge, würden Sie denn dahin gerne zurückkehren?
Bartmann: Also, natürlich wird man jetzt die Uhren nicht zurückdrehen können. Aber es ist interessant, dass es gerade in Großbritannien, wo ja diese ganze Idee des "new public management", des neuen öffentlichen Managements angefangen hat, in den letzten Jahrzehnten eine richtig starke, große Literatur gibt mit der Idee einer, ich sage mal, Rehabilitation der alten und in Verruf geratenen Bürokratie. Man sollte sich noch mal genauer anschauen, was an dieser Bürokratie, der alten von Max Weber gemeinten, positiv gemeinten Bürokratie gut ist, und sehen, wie man das Beste von dieser alten Bürokratie vielleicht auch für die Zukunft nutzen kann.
Kassel: Was wäre da zum Beispiel das Beste?
Bartmann: Also, ich finde, um noch mal diese Weberschen Begriffe - Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit, Verlässlichkeit, hohe Fachkompetenz, Rationalität -, das finde ich alles ganz, ganz toll, und ich habe das Gefühl, dass wir im Moment viel zu sehr durch irgendwelche komischen Seminare, weiß ich nicht, Abenteuerurlaube, Überlebenstrainings, sonstigen Incentives getrieben werden, die uns aber diesem Ideal überhaupt nicht näherbringen, sondern uns eher von ihm entfernen. Also, ich würde mir insgesamt mehr Sachlichkeit und mehr Seriosität in unseren Büros wieder wünschen.
Kassel: Aber natürlich wissen Sie auch, wenn jemand sagt, wenn ein Deutscher sagt, ich möchte die alte Bürokratie wieder, dann stehen so manch einem die Haare zu Berge. Wie wollen Sie denn verhindern, dass mit den positiven Seiten auch die negativen wieder einziehen?
Bartmann: Ach, ich bin ganz sicher, dass die negativen wieder einziehen! Ich glaube ja, dass, wie vorhin schon gesagt, wir sowieso alle 20, 30 Jahre dann wieder einen Zustand erreicht haben, wo die jeweils herrschende Büroordnung dringend überdacht werden muss. Und solange das gewährleistet ist und solange wir dabei vernünftig vorgehen und uns wirklich genau anschauen, was die Schwächen unserer Verwaltung sind, solange bin ich gar nicht dagegen, wenn wir uns in einem ständigen Reformprozess befinden.
Kassel: Wenn Sie das nun aber so sagen, dann müssen Sie am Schluss doch noch das erklären, was ich über Sie nun die ganze Zeit so locker-lässig behauptet habe: Wenn man sich zurücklehnen muss und sagen, ich kann eh nicht viel machen, ich warte die Moden ab und vieles gefällt mir nicht, warum sind Sie gerne öffentlicher Angestellter?
Bartmann: Weil ich es liebe, in Organisationen zu arbeiten, ich liebe es auch, in Non-Profit-Organisationen zu arbeiten, ich liebe es auch, sozusagen im Staatsdienst zu sein, weil ich diesem Staat gerne zuarbeite. Und ich bin überhaupt nicht verzweifelt, weil wir hier im Büro das ein oder andere möglicherweise falsch machen und das ein oder andere uns auf die Nerven geht. Ich möchte einfach registrieren, was mit mir passiert, während ich diesem neobürokratischen Regime ausgesetzt bin.
Kassel: Und ein Protokoll dieses Registrierens und noch viel mehr als das findet man ab heute in den deutschen Buchhandlungen: "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten" heißt das Buch von Christoph Bartmann, im Hanser-Verlag ist es erschienen. Herr Bartmann, ich danke Ihnen sehr für's Gespräch!
Bartmann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christoph Bartmann: Guten Tag!
Kassel: Machen wir es mal ganz praktisch, die Arbeitswoche fängt ja heute erst an, gerade bei Ihnen, mit der Zeitverschiebung, aber in der letzten Woche: Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit haben Sie mit diesen sekundären Tätigkeiten verbracht und wie viel Prozent mit den primären?
Bartmann: Ach, gute Frage! Also, ich habe jetzt nicht nachgerechnet, aber es hängt auch ein bisschen davon ab, ob ich diese Sekundärtätigkeiten ausführen will oder wie geschickt ich im Umgang mit diesen Sekundärtätigkeiten bin. Mein Ziel war immer, unter 20 Prozent Sekundär zu gelangen. Das gelingt aber mal besser, mal weniger gut, das ist auch ein bisschen saisonal unterschiedlich.
Kassel: Aber wenn wir bei so etwas wie Evaluieren bleiben: Das war doch alles irgendwann mal sehr gut gemeint, gerade die Leute im öffentlichen Dienst, die Beamten gar, sollen nicht mit dem Spruch "Das haben wir immer schon gemacht" alles so machen wie bisher, sondern auch mal darüber nachdenken, ob es gut oder schlecht ist?
Bartmann: Ja, natürlich. Ich glaube, es gibt immer so eine Phase der Hoffnung und des Neubeginns in Verwaltungen und dann gibt es eine Phase der Sklerose und der Verkrustung. Also, die alte Bürokratie, die der berühmte Soziologe Max Weber so gut wie niemand sonst beschrieben hat, war ja angetreten - ich zitiere mal eben, also -, "an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verlässlichkeit schlechthin nicht zu überbieten zu sein". Und irgendwann mal hat diese tolle behörden- und aktenmäßige Verwaltung etwas an Effizienz eingebüßt und dann kam als nächstes großes Ding eben die amerikanische Idee des Managements in den 50er-Jahren und hat ihren Siegeszug angetreten. Und ich würde denken, dass wir heute in einer Phase leben, wo das Management genau so sklerotisch geworden ist wie vor 30, 40, 50 Jahren die alte Bürokratie.
Kassel: Aber was Sie gerade getan haben, kann man ja heute eigentlich gar nicht mehr tun: Man kann ja nicht Bürokratie sagen und meint das nicht als Schimpfwort. Wie ist das überhaupt gekommen?
Bartmann: Die Bürokratie hat ihren Job dann halt doch nicht ganz so gut gemacht, wie Max Weber sich das vorgestellt hat. Die Bürokratie hat sich im Lauf der Jahrzehnte eben auch diskreditiert. Oder es liegt wahrscheinlich in der Natur von Bürokratien, dass sie Fett ansetzen oder Speck, dass sie irgendwie übergewichtig und unbeweglich werden und dass die Staatsdiener dann eben doch nicht unbedingt jeweils ein Ausbund an Präzision, Stetigkeit und Disziplin sind. Vielleicht ist es ja auch so, dass nicht immer die besten Leute in den Staatsdienst gehen. Das war vielleicht zu Max Webers Zeiten auch noch anders. Also, von daher wohnt dieser ganzen Idee der Behörde auch ein bisschen die Idee oder der Trend zur Dekadenz inne. Und dann wird es Zeit, innezuhalten und sich zu fragen, wie gut ist die Behörde, wie gut ist auch die managerisierte Behörde und was könnten wir anders machen?
Kassel: Aber wann ist es schiefgegangen? Ich komme noch mal darauf zurück: Evaluierung, in Maßen ja nichts Schlechtes, das heißt eigentlich nichts anderes als, wir gucken mal, was und wie wir machen und ob man's besser machen kann. Zum Beispiel, wenn wir über die kundenfreundliche Behörde reden, dass die mit den Bürgern, für die sie zuständig ist, öfter und freundlicher redet, ist nichts Schlechtes. Dass man sogar mal guckt, kann man genau die gleiche Arbeit mit weniger Ausgaben machen, dadurch effizienter werden, ist doch eigentlich auch nichts Schlechtes. Wann ist das alles plötzlich in die falsche Richtung abgebogen?
Bartmann: Also, das ist vielleicht auch eine Meinung, die nicht alle teilen, vor allem nicht alle Manager. Also, wenn Sie bei der Bundesagentur für Arbeit, wie sie jetzt heißt, nachfragen, ob die sich nicht vielleicht anders besser organisiert hat, nachdem sie nicht mehr Bundesanstalt ist, würden sie wahrscheinlich hören, dass das eine ganz erfreuliche Entwicklung ist. Es ist schwer, ein genaues Datum zu bestimmen. Was ich problematisch finde an Evaluation, ist der Umstand, dass es sich immer um eine Delegation, also ein Abgeben oder Abtreten sozusagen von eigener Urteilskraft und Urteilsvermögen handelt.
Ich weiß von meinen Projekten beispielsweise meistens ganz gut, wie gut und wie schlecht die sind. Und dann wird für 30.000 Euro eine Firma angestellt, die mir unter Umständen sagt, das Projekt war gut, selbst dann, wenn ich es schlecht finde. Und wir sind ja auch in Vertragsverhältnissen mit den Evaluatoren, die wollen wieder beschäftigt werden und die werden uns ganz bestimmt keine schlechten Noten ausstellen, wenn sie Anschlussaufträge von uns wollen. Von daher, ich habe zwei Worte dafür: Das eine ist Transaktionskosten, das heißt, diese ganze Vermessung und Betrachtung der Arbeit ist einfach zu teuer. Und das zweite Stichwort heißt Korruption, das heißt, es gibt einfach auch da zu viel menschliche Kommunikation mit menschlichen Schwächen, die dafür sorgt, dass diese vermeintlich objektiven Messinstrumente eben doch getürkt sein können.
Kassel: Funktioniert sicher umgekehrt - Sie haben jetzt beschrieben, wie eventuell das Unternehmen, das die Evaluierung durchführt, das sagt, was der Chef der Behörde hören will -, aber gibt es nicht inzwischen längst Mitarbeiter nicht mehr so machen, dass sie objektiv oder auch subjektiv gut ist, sondern, dass sie für die Evaluierungsfirmen gut aussieht?
Bartmann: Absolut. Ich meine, wir reden so viel von Kreativität und Fantasie und Innovation, aber ich glaube, dass dieser Trend zur Evaluation im Gegenteil eigentlich den Konformismus fördert: Ich werde bloß noch die Arbeit machen, von der ich weiß, dass ich dafür gute Noten bekomme. Und der Mut zum Risiko und die Bereitschaft, auch mal was schiefgehen zu lassen und für die Folgen geradezustehen, wird durch dieses Evaluationswesen eher gemindert.
Kassel: Was sagt das über die Chefs? Weil, ich habe oft die Erfahrung gemacht - ich nehme jetzt natürlich nicht das Deutschlandradio Kultur, aber bei anderen Sendern -, wenn dann ein Coach zum Beispiel kommt, der einem was beibringen soll, oder ein Berater von außen, dann steht der Chef oft gerne mal da und guckt den an wie den lieben Gott. Und da habe ich immer den Eindruck, na ja, so stelle ich mir einen Chef nicht vor!
Bartmann: Ja, also, ich bin ja ganz allgemein gegen die Abtretung von zu viel Kompetenz an die Externen. Und es gibt aber in dieser so etwas mit sich selbst hadernden Behörde unserer Tage ganz stark die Tendenz, die Kritik und das Urteil und die Bewertung abzutreten an Dritte in der Hoffnung, dass dieses Urteil dann mehr Autorität besitzt. Ich bin aber im Zweifelsfall der Meinung, dass die Autorität von den Chefs selbst kommen müsste.
Kassel: Kann man das denn überhaupt noch zurückdrehen? Ich meine, wir haben doch hier eine Entwicklung, die doch, sagen wir mal, so mindestens ... ich kann auch keinen Zeitpunkt nennen, wenn Sie das schon nicht können, aber seit 20 Jahren vor sich hintreibt und ...
Bartmann: ... ja, weil Sie mich gefragt haben: Also, ich habe in meinen fast 25 Berufsjahren mindestens seit 20 Jahren das Gefühl, dass es Management-Schulen und -Moden gibt, die alle mehr oder weniger ergebnislos an uns vorbeirauschen. Also, mindestens seit Anfang der 90er-Jahre, würde ich sagen, ist die Sache richtig aus dem Ruder gelaufen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christoph Bartmann, ein Angestellter im öffentlichen Dienst und einer, der seinen Job gerne macht. Sein Job ist die Leitung des Goethe-Instituts in New York und er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten". Ich habe mich beim Lesen des Buchs, Herr Bartmann, eins so ein bisschen mit einem Grummeln im Bauch gefragt: Was wäre in Ihren Augen eine zumindest theoretisch mögliche Lösung? Sie haben ja schon ein Loblied der alten Bürokratie gesungen. Wenn es denn ginge, würden Sie denn dahin gerne zurückkehren?
Bartmann: Also, natürlich wird man jetzt die Uhren nicht zurückdrehen können. Aber es ist interessant, dass es gerade in Großbritannien, wo ja diese ganze Idee des "new public management", des neuen öffentlichen Managements angefangen hat, in den letzten Jahrzehnten eine richtig starke, große Literatur gibt mit der Idee einer, ich sage mal, Rehabilitation der alten und in Verruf geratenen Bürokratie. Man sollte sich noch mal genauer anschauen, was an dieser Bürokratie, der alten von Max Weber gemeinten, positiv gemeinten Bürokratie gut ist, und sehen, wie man das Beste von dieser alten Bürokratie vielleicht auch für die Zukunft nutzen kann.
Kassel: Was wäre da zum Beispiel das Beste?
Bartmann: Also, ich finde, um noch mal diese Weberschen Begriffe - Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit, Verlässlichkeit, hohe Fachkompetenz, Rationalität -, das finde ich alles ganz, ganz toll, und ich habe das Gefühl, dass wir im Moment viel zu sehr durch irgendwelche komischen Seminare, weiß ich nicht, Abenteuerurlaube, Überlebenstrainings, sonstigen Incentives getrieben werden, die uns aber diesem Ideal überhaupt nicht näherbringen, sondern uns eher von ihm entfernen. Also, ich würde mir insgesamt mehr Sachlichkeit und mehr Seriosität in unseren Büros wieder wünschen.
Kassel: Aber natürlich wissen Sie auch, wenn jemand sagt, wenn ein Deutscher sagt, ich möchte die alte Bürokratie wieder, dann stehen so manch einem die Haare zu Berge. Wie wollen Sie denn verhindern, dass mit den positiven Seiten auch die negativen wieder einziehen?
Bartmann: Ach, ich bin ganz sicher, dass die negativen wieder einziehen! Ich glaube ja, dass, wie vorhin schon gesagt, wir sowieso alle 20, 30 Jahre dann wieder einen Zustand erreicht haben, wo die jeweils herrschende Büroordnung dringend überdacht werden muss. Und solange das gewährleistet ist und solange wir dabei vernünftig vorgehen und uns wirklich genau anschauen, was die Schwächen unserer Verwaltung sind, solange bin ich gar nicht dagegen, wenn wir uns in einem ständigen Reformprozess befinden.
Kassel: Wenn Sie das nun aber so sagen, dann müssen Sie am Schluss doch noch das erklären, was ich über Sie nun die ganze Zeit so locker-lässig behauptet habe: Wenn man sich zurücklehnen muss und sagen, ich kann eh nicht viel machen, ich warte die Moden ab und vieles gefällt mir nicht, warum sind Sie gerne öffentlicher Angestellter?
Bartmann: Weil ich es liebe, in Organisationen zu arbeiten, ich liebe es auch, in Non-Profit-Organisationen zu arbeiten, ich liebe es auch, sozusagen im Staatsdienst zu sein, weil ich diesem Staat gerne zuarbeite. Und ich bin überhaupt nicht verzweifelt, weil wir hier im Büro das ein oder andere möglicherweise falsch machen und das ein oder andere uns auf die Nerven geht. Ich möchte einfach registrieren, was mit mir passiert, während ich diesem neobürokratischen Regime ausgesetzt bin.
Kassel: Und ein Protokoll dieses Registrierens und noch viel mehr als das findet man ab heute in den deutschen Buchhandlungen: "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten" heißt das Buch von Christoph Bartmann, im Hanser-Verlag ist es erschienen. Herr Bartmann, ich danke Ihnen sehr für's Gespräch!
Bartmann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.