Mehr Internet, weniger Bürokratie

Moderation: Hanns Ostermann · 22.04.2008
Hildegard Müller, Staatsministerin im Bundeskanzleramt, spricht sich für einen weiteren Bürokratieabbau in deutschen Ämtern und Behörden aus. Besonders der Online-Zugang zu allen staatlichen Angeboten des Bundes solle weiter ausgebaut werden, sagte die CDU-Politikerin, die innerhalb der Regierung den Bürokratieabbau koordiniert.
Hanns Ostermann: Deutsche Verwaltungsvorschriften können es in sich haben. Noch vor kurzem hieß es da: "der Tot stellt aus versorgungsrechtlicher Sicht die stärkste Form der Dienstunfähigkeit dar". Oder: "stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet". Und ein letztes Beispiel: "besteht ein Personalrat aus nur einer Person, dann erübrigt sich die Trennung nach Geschlechtern". Der Amtsschimmel hat in den vergangenen Jahren aber nicht nur für so manche Stilblüte gesorgt; er kostet auch Zeit und Geld – uns Bürger, die Wirtschaft, den Staat.
Zum elften Mal bereits ist heute in Berlin der effiziente Staat Thema des deutschen Verwaltungskongresses. Grund genug, mit Hildegard Müller von der CDU über den Bürokratieabbau in Deutschland zu reden. Sie ist Staatsministerin im Bundeskanzleramt und zuständige Koordinatorin. Guten Morgen Frau Müller!

Hildegard Müller: Guten Morgen Herr Ostermann!

Ostermann: Wann haben Sie sich das letzte Mal über ein Gesetz, über eine Vorschrift geärgert?

Müller: Oh, ich glaube gestern noch.

Ostermann: Können Sie auch verraten, wollen Sie verraten, worüber genau?

Müller: Nein. Ich will natürlich nicht verraten worüber genau, aber man stößt natürlich an vielen Ecken und Kannten immer wieder auf ein Überflüssiges an Bürokratie. Deshalb hat diese Bundesregierung sich ja das Programm für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung gegeben. Zu den Stilblüten, die Sie gerade am Anfang schon hatten: wir haben zum Beispiel auch im BMJ – im Justizministerium – ein Pilotprojekt jetzt gestartet, um die Rechtsprache einfach auch zu verbessern. Manchmal möchte man es zu perfekt machen und das hat dann für die Bürger und die Wirtschaft viele Nachteile zur Folge.

Ostermann: Bei uns in Deutschland überprüft der Normenkontrollrat Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Was hat dieses unabhängige Expertengremium bereits erreicht?

Müller: Zunächst einmal hat es das Thema Bürokratieabbau in der Öffentlichkeit auch weiter mit befördert, aber nicht nur indem es als Mahner und als ich sage mal als ein Gremium zur Verfügung steht, was die Bundesregierung berät, sondern indem es ganz konkret für die Bürger auch zu Entlastungen geführt hat. Hier haben wir Millionen Erfolge erzielt – zum Beispiel Entlastungen der Wirtschaft von fast 800 Millionen Euro, die auf Verbesserungsvorschläge des Normenkontrollrates zurückgegangen sind. Also eine große Erfolgsbilanz!

Ostermann: Frau Müller ich frage mich, wie kommt man zu solchen Zahlen? Sie sprachen von 800 Millionen Euro. Wie zuverlässig sind diese Zahlen? Wie werden sie überhaupt errechnet?

Müller: Das ist auch das Neue an dem Verfahren. Wir haben diesmal eine Messmethode, mit der wir wirklich der Ursache und den Kosten auf die Spur gehen können: das so genannte Standardkostenmodell. Das ist eine Erfahrung, die wir aus anderen Ländern übernommen haben. Die Niederländer haben vor Jahren dieses Projekt gestartet. Wir haben das auf unsere Verhältnisse angepasst und jetzt die Kosten für die Wirtschaft gemessen. Wir sind zurzeit bei knapp 30 Milliarden Euro an Belastungen aus Berichts- und Informationspflichten für die Wirtschaft. Mit diesem Messverfahren ist es zum ersten Mal möglich, Transparenz zu schaffen und damit natürlich auch einen Mentalitätswechsel auch in den Ministerien herbeizuführen. Da steht dann jetzt nicht mehr "Kosten keine", sondern es werden genau auch die Auswirkungen auf die Bürger, auf die Wirtschaft errechnet.

Ostermann: Wie dick sind diese Bretter, die Sie gerade in den Ministerien bei den entsprechenden Beamten bohren müssen?

Müller: Wir stoßen wirklich auf große Offenheit. Es sitzt ja keiner in den Ministerien und überlegt sich, wie er die Bürger oder die Wirtschaft quälen kann, sondern es ist aus dem Anspruch heraus geboren, einfach immer alles richtig, alles gut, alles hundertprozentig zu machen. Und an Politik wird ja auch die Erwartungshaltung herangetragen, immer alles perfekt zu machen. Aber mit der letzten Einzelfallgerechtigkeit schleichen sich natürlich dann auch viele Ausnahmeregelungen und viele andere Dinge ein. Hier müssen wir auch mal abwägen. Hier müssen wir sagen, wollen wir den Staat aktiv zurücknehmen. Das ist auch ein Ansatz, den ich ganz aktiv verfolge in dieser Diskussion. Deshalb ist die Bereitschaft da. Dieses Standardkostenmodell, was die Ressorts jetzt automatisch mit durchführen, führt einfach zu einem anderen Bewusstsein bereits in der Entstehung von Gesetzesentwürfen. Das ist nach vorne gerichtet. Aber wir haben uns auch den ganzen Rechtsbestand einmal vorgenommen, ihn vor Augen genommen und überlegt, was können wir jetzt an Vereinfachungsmaßnahmen mit diesen Kostenbelastungen durchführen.

Ostermann: Nun entstehen Verwaltungskosten nicht zuletzt in den Ländern. Bürokratieabbau könnte ja durchaus ein Mittel sein, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Sie nannten es einmal Wettbewerbsföderalismus. Gibt es den schon?

Müller: Das ist völlig richtig, dass Sie das sagen. Beim Bürger, bei der Wirtschaft kommt Bürokratie natürlich gefühlt in der Summe an. Da ist es völlig egal, ob es die EU ist, ob es der Bund ist, das Land, die Kommune. Deshalb versuchen wir, auf allen Ebenen für diese Idee auch Interesse zu gewinnen – zum Beispiel in Brüssel mit der Stoiber-Gruppe -, aber wir sind auch mit den Ländern im Gespräch. Das war ja die Zielrichtung Ihrer Frage. Ich kann mir sehr gut auch durch die Möglichkeiten der Föderalismusreform, die wir geschaffen haben, Wettbewerbsföderalismus vorstellen. Ich weiß, dass viele Länder auch an Pilotprojekten hier arbeiten und wir wollen mit ihnen jetzt auch weiter das Verfahren diskutieren. Es nützt nichts, wenn es nur der Bund alleine macht, aber es ist auf jeden Fall wichtig, dass wir vor unserer eigenen Türe kehren.

Ostermann: Nicht die Bürger sollen laufen, sondern die Daten. Sie sprachen gerade von dem Kehren vor der eigenen Tür. So sieht es ja zumindest das Unionsregierungsprogramm vor. Alle staatlichen Angebote des Bundes sollen online zur Verfügung stehen. Wie weit sind wir von diesem Ziel noch entfernt?

Müller: Wir sind einen großen Schritt weiter gekommen.

Ostermann: Aber noch nicht am Ziel?

Müller: Nein, natürlich noch nicht am Ziel. Die Technik entwickelt sich ja auch in diesen Bereichen. Wir sind zum Beispiel dabei, eine einheitliche Behördenrufnummer mit der 115 zu entwickeln, damit der Zugang einfach leichter ist, das Meldewesen zu vereinfachen. Aber natürlich auch die ganze Frage von Abwicklung von technischen Fragen, von eGovernment, die wollen wir gerade umstellen. Elektronische Personalausweise, um nur einige von diesen Beispielen zu nennen. Da sind Rechtsfragen zu klären. Da ist die Technikfrage zu klären. Wichtig ist aber, dass sich die Bundesregierung dieses Gesamtziel vorgenommen hat, und dem dient ja auch der Kongress heute.

Ostermann: Genau. Der befasst sich mit Sicherheit bei der digitalen Kommunikation. Vor welchen Herausforderungen steht da der Staat, der vor allem einen vertraulichen Umgang mit den Daten sichern muss?

Müller: Die Herausforderung haben Sie damit schon perfekt beschrieben. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertraulichkeit gewahrt ist, der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Auf der anderen Seite wollen wir die neuen Möglichkeiten der Technologien nutzen, die Verfahren zu vereinheitlichen, zu verschlanken, Papierberge abzubauen und hier wirklich zu Möglichkeiten kommen, einfache Zugänge zu machen, damit man das aus jedem Unternehmen heraus sieht, dass der Bürger von zu Hause aus Dinge auch machen kann und wie zum Beispiel bei einer Kontoeröffnung Dinge in Zukunft online machen kann und nicht mehr zu Behörden gehen muss.