Dark Patterns

Wieso wir manchmal gegen unsere Interessen handeln

06:14 Minuten
Ilustration eines Smartphones auf dem eine Mausefalle liegt.
"Dark Patterns" steuern das Verhalten von Nutzern © imago / Panthermedia / rogistok
Von Hagen Terschüren · 13.06.2020
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Viele nerven sie, einigen fallen sie nicht einmal auf: Designtricks in Apps und Webseiten, die ihre eigenen Nutzer manipulieren sollen. Der Trend ist so groß, dass er sogar einen Namen hat: "Dark Patterns".
Nehmen wir einmal an, dass wir ein Podcast-Startup sind. Eine der wichtigsten Sachen, die wir dann bräuchten, wäre eine eigene Webseite. Doch da liegt schon das erste Problem: EU-Recht. Versierte Cyberspacesurfer kennen es: Beim Besuch einer neue Seite müssen erstmal alle Cookies angenommen werden.
Doch mit der Datenschutzgrundverordnung hat sich etwas geändert. Wir müssen unseren Nutzern jetzt die Option geben, sie nicht zu tracken. Dabei ist das überhaupt nicht in unserem Interesse.
Userdaten sind eine wichtige Einkommensquelle für unser Startup. Und was ist mit den ganzen Analytics, die wir zur Optimierung nutzen könnten? Oder mit personalisierter Werbung?

Absichtlich negative Erfahrungen, die sich gegen die User richten

Glücklicherweise kennen User-Experience-Designer Trick dafür. Das sind die Designer, die gestalten, wie wir die Seite nutzen. Damit die User das anklicken, was wir wollen, kommen die die sogenannten Dark Patterns, versteckte Muster, ins Spiel. Die Londoner Videospiel-UX-Designerin Anisa Sanusi beschreibt die Situation in einem Talk auf der Games Developer Conference so:
"Ein Dark Pattern ist ein Muster, das absichtlich von von Entwicklern benutzt wird, um negative Erfahrungen zu erzeugen, die gegen das Interesse der User und meist ohne Einwilligung geschehen."
Also bauen wir auf unsere Seiten einen großen grünen Button, mit dem unsere Nutzer alle Cookies annehmen können. Freiwillig natürlich. So, wie es die DSGVO vorschreibt. Und für die paar Leute, die ihr Recht kennen und nicht getrackt werden wollen, bauen wir einfach einen kleinen grauen Text ein, auf den sie klicken können, um dagegen zu stimmen – wenn sie ihn finden.

Der Warenkorb-Trick

Doch von den paar Userdaten können wir keine neue Folge finanzieren und weitere Einnahmemöglichkeiten müssen her. Das Gute ist: Wir haben treue Hörer, die bestimmt gerne Podcast-Merch kaufen wollen. Einen flauschigen Hoodie zum Beispiel! Also bauen wir auch noch einen Webshop auf unsere Seite ein.
Wobei es natürlich auch irgendwie schön wäre, wenn wir mehr als nur einen Hoodie verkaufen könnte. Glücklicherweise haben wir einen Vortrag von Harry Brignull gehört – der Person, die sich die Bezeichnung "Dark Patterns" überhaupt ausgedacht hat. Auch, wenn er sie damit eigentlich an den Pranger stellen wollte, statt uns dabei zu helfen, User hinters Licht zu führen.
"Hier haben wir eine Seite, auf der man ein Tablet kaufen kann. Man legt sich das Tablet also in seinen Warenkorb und wenn du bezahlen willst … schwupps, siehst du, dass da etwas liegt, das du nicht mitbestellt hat. Eine Hülle für 30 Pfund – aus dem Nichts. Sie behaupten dann, dass sie damit in deinem Interesse handeln würden. Schließlich schützt du so dein Table von Macken und Kratzern. Ist ja eine nette Idee, aber wenn es ihnen wirklich wichtig wäre, wäre die Hülle gratis."

Online geht, was offline zu Protesten führen würde

Wie wäre es also, wenn beim Einkauf eines Hoodies einfach noch eine Fusselrolle mit im Warenkorb liegen würde? Das sind nur zwei Euro mehr und der Pulli soll ja auch schön aussehen. Das ist fast schon ein Service!
Klar, irgendwie ist das ein bisschen so, als würde das Personal im Supermarkt Dinge in den Einkaufswagen schmuggeln, die man nicht braucht. Aber online ist das halt gängige Praxis.

Notification-Spam

Jetzt stehen wir vor einem weiteren Problem: Niemand hört Podcast direkt über Webseiten, also brauchen wir noch eine App. Und wenn unser Publikum eh schon eine App installiert hat, könnten wir vielleicht auch einfach ab und zu Notifications schicken, die auf unseren Store hinweisen? Auch wenn Sanusi komplett dagegen ist:
"Ich stelle bei jeder App und jedem Spiel, das ich mir runterlade, als erstes die Notifications aus. Weil sonst kommen nur so ‘Oh nein, sie sterben, komm zurück’-Notifications und ich sag dann nur ‘Halt die Klappe’ – ja, ich sage wirklich ‘Halt die Klappe’ zu meinen eigenen Notifications"

"Eigentlich ist es Gaunerei"

Und irgendwie hat Sanusi schon Recht.: Games betteln um Aufmerksamkeit, genauso wie Shops und Nachrichtenseiten. Alles, weil "Dark Patterns" eben so gut funktionieren. Laut Brignull liegt das vor allem an intensiven Tests:
"Vermutlich haben sie das wirklich in einen A/B-Test gegeeben und festgestellt, dass dieses Design am besten funktioniert. Es liefert die beste Konvertierungsrate, weil die meisten Leute halt mitmachen. Eigentlich ist es Gaunerei, wenn man drüber nachdenkt."

Die großen machen es vor

Doch diese Gaunerei, wie Brignull es nennt, ist zur Standard-Designsprache von großen Unternehmen und auch Nachrichtenmedien geworden.
"Die Masse an Marken, die sowas machen, ist faszinierend. Das hier ist eine Liste von Firmen, die ich auf darkpatterns.org gelistet habe. Ihr seht einige große Namen darauf: Hotels.com, Nike, Orbitz, Facebook – natürlich ist Facebook dabei. Aber Fakt ist: Die ganzen großen Marken geben den kleinen Startups dadurch quasi grünes Licht. Im Grunde sagen sie: Wenn du groß und erfolgreich sein willst, dann musst du es genau so machen. Das ist der übliche Weg."
Und da liegt das Problem. Wenn wir eine Chance mit unserem Podcast-Startup haben wollen, müssen wir auf "Dark Patterns" setzen. Schließlich machen das sogar die großen Unternehmen und auch Medien wie der "Spiegel" und die "Zeit" mit ihren Abo-Modellen. Um die psychologische Manipulierung unserer Hörer kämen wir also vermutlich nicht drumherum. Darum hilft laut Harry Brignull nur eins:
"Ich glaube wir brauchen Ethikregeln. Die müssen nicht mal lang oder kompliziert sein. Aber eine klare Liste von Mustern, die wir eben nicht benutzen dürfen."
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