Culture-Clash-Komödie "Geächtet"

Vorurteile hinter intellektueller Fassade

Der Regisseur Kay Voges guckt nach oben.
Der Regisseur Kay Voges © imago/Drama-berlin.de
Von Stefan Keim |
Die Pulitzer-Preis gekrönte Komödie "Geächtet" des amerikanisch-pakistanischen Dramatikers Ayad Akhtar erobert derzeit deutsche Bühnen. Dortmunds Schauspielintendant Kay Voges macht aus dem Stück über vermeintlich säkulare und doch in Religion verstrickte Menschen mitreißendes Theater.
Ayad Akhtar ist amerikanischer Staatsbürger und Sohn pakistanischer Einwanderer. Für seine Komödie "Geächtet" oder im Original "Disgraced" bekam er 2013 den Pulitzer-Preis. Nun erobert sie die deutschen Bühnen, das Stück läuft schon in Hamburg, München und Berlin, dort im Theater am Kurfürstendamm. Von Dortmunds Intendant Kay Voges war eine ungewöhnliche Perspektive zu erwarten. Und die Besucher in der Ausweichspielstätte "Megastore" in Dortmund-Hörde wurden nicht enttäuscht.
Amir schnaubt. Denn er ist kein Muslim, schon längst nicht mehr, er hat der Religion, in der er aufgewachsen ist, abgeschworen. Den Koran findet Amir dumm und menschenverachtend. Er will ganz Amerikaner sein und träumt davon, dass ihn die Anwaltskanzlei, in der er seit vielen Jahren arbeitet, zum Partner macht. Seine Frau, die weiße Christin Emily hingegen hat ein positives Bild vom Islam. Sie ist Malerin und arbeitet in der traditionellen Formensprache arabischer Kunst. Was wiederum Isaac (Frank Genser mit lässiger Präzision) sehr interessiert. Der jüdische Kunstkurator hat großen Einfluss in der New Yorker Kulturszene. Isaacs Frau Jory (Merle Wasmuth) wiederum ist Afroamerikanerin und Anwältin, eine Kollegin und – wie sich heraus stellt – Konkurrentin von Amir.
Voges sprengt die Grenzen des Edelboublevards
Ayad Akhtar versammelt Menschen auf der Bühne, die ihre religiösen Prägungen längst hinter sich gelassen haben. Oder das zumindest glauben. Denn wenn die coole Intellektuellenfassade bröckelt, kommen doch wieder Vorurteile, Hass und Angst zum Vorschein. Neben den beiden Paaren gibt es noch einen Neffen Amirs, einen jungen Pakistaner, der plötzlich eine Vorladung vom FBI bekommt. Der junge Merlin Sandmeyer zeigt erst eine irre Breakdance-Nummer und dann immer größere Verstörtheit.
"Geächtet" ist ein gut gebautes Dialogstück. Wie sich die Handlung entwickelt, ist allerdings vorhersehbar, richtig böse Satire traut sich Autor Ayad Akhtar nicht. Dortmunds Schauspielintendant Kay Voges sprengt in seiner Inszenierung die Grenzen des Edelboulevards. Die großartigen Schauspieler sind weiß geschminkt, tragen rote Kontaktlinsen und silbrige Perücken im Stil von Andy Warhol. Die Dialoge bleiben zivilisiert, die Körpersprache ist enthemmt. Bettina Lieder kriecht und winselt als Künstlerin Emily vor dem mächtigen Kurator, ständig präsentiert sie sich in immer neuen Posen. Während Carlos Lobo als Amir Machogehabe zelebriert. Videos zitieren die amerikanische, pakistanische und israelische Flagge im verfremdeten Stil der "white flag" von Jasper Johns. Mit grotesken Choreografien und überraschenden Musikeinsätzen treibt Kay Voges die Aufführung in die Nähe der Farce. Doch nie darüber hinaus, die Schauspieler verkörpern Menschen, deren Verzweiflung steigt. So wird aus einem mittelmäßigen Stück ein mitreißender Theaterabend.
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