"Die Show" im Schauspiel Dortmund

Ein Millionenspiel um Leben und Tod

Russisches Roulette: Eine Pistole, in der nur eine Patrone steckt
Nach allen siegreich bestandenen Prüfungen, muss der Kandidat in der Show auch noch "Russisch Roulette" spielen. © imago/Science Photo Library
Von Michael Laages · 24.08.2015
Die fiktive TV-Show "Das Millionenspiel" um eine mörderische Jagd auf einen Menschen schlug in den 70ern hohe Wellen. Einige hielten das Spiel für real - und beteiligten sich daran. Jetzt zeigt das Schauspiel Dortmund eine trashige Theaterfassung des Stoffs.
Die Zeit spielt nicht mehr mit. Leider. Vor 45 Jahren hatte "Das Millionenspiel" enorm viel Potenzial, der Blick in eine noch recht ferne Zukunft war pure Provokation – und darum ein Ereignis, das Mediengeschichte schrieb. Mittlerweile (und spätestens seit dem Start privater Fernseh-Anbieter Mitte der 80er-Jahre) sind wir, das Publikum, für das Fernseh-Unterhaltung ja kreiert wird, über "Tutti Frutti" und "Big Brother" bis ins "Dschungelcamp" gelangt und halten das für ganz normal. Was soll uns da noch schocken?
Die "Die-Show" also, die in Dortmund strukturell kaum anders funktioniert als das "Millionenspiel" vor 45 Jahren – einer lässt sich jagen, sich bekämpfen auf Leben und Tod, um am Ende eine Million zu ergattern und ein anderes Leben zu erkämpfen. Wie sagt Bernhard Lotz, der Mann aus einer Dortmunder Bäckerei?
Dafür muss Lotz harte Proben überstehen, die ihm das Killer-Kommando setzt – erst mit rotem Tütü rund um den Dortmunder Borsig-Platz wandern, sich dann von drei scharfen Hunden in dunklen U-Bahn-Schächten anfallen lassen, stundenlang auf Eisblöcken stehen, bis die Zehen Beulen schlagen, gegen Motorradfahrer mit Elektroschockern kämpfen, vor allem immer wieder vor den Gewehr-Salven des Kommandos flüchten und die Freundin in einem Horror-Mietshaus aus deren Fängen befreien.
Als Lotz auf der Flucht eine Pistole ergattert, nimmt er einen jungen Disco-Besucher als Geisel, um weiter zu fliehen – der Junge stirbt. Halb so wild – nur muss er halt jetzt (weil er sich bewaffnet hat und so die Spielregeln brach) zum Schluss, nach allen siegreich bestandenen Prüfungen, auch noch "Russisch Roulette" spielen – und da erwischt ihn die Kugel. Das Killer-Kommando trägt die Million nach Hause.
Anleihen an die Tricks von Reality Shows
Was aber sagt das Volk dazu?
Fiktive Befragungen zur "Die-Show" sind das, das Dortmunder Ensemble agiert in der Fußgängerzone ... die Inszenierung von Schauspiel-Chef Kay Voges nutzt alle medialen Tricks der Reality-Show: Film- und Video-Sequenzen (die "wie live" aussehen, aber natürlich sorgsam vorproduziert sind vom Ko-Regisseur Voxi Bärenklau), pfiffig montierte Trailer und Animationen, singende Showstars weit jenseits jeder Kitsch- und Geschmacksgrenze. Und sogar die bedauernswerte Mutter des immerzu flüchtenden Lotz sitzt tragisch in der Show-Kulisse herum – geflohen aus der DDR, wo sie noch ein Mann war ... Nichts ist abstrus genug für dieses lange Lied vom Töten im Namen der Volksbelustigung.
Und kaum noch etwas gibt’s ja auch, was uns, das trash-verwöhnte Publikum, aus der Reserve lockt - wie die dressierten Mäuse jubelt halb Dortmund mit, bloß weil wieder mal das "Applaus"-Schild aufleuchtet für irgendeinen Käse. Und Dortmunder Zutaten (etwa über den wieder siegreichen BVB) werden längst genauso mit Klatschmarsch bedacht wie die schlimmsten Widerwärtigkeiten – da nutzt es auch nichts, wenn die Dortmunder Autoren den flüchtenden Lotz immer mal wieder mit den aktuell nach Deutschland Flüchtenden in Verbindung setzen. Auch das nimmt niemand ernst.
Fernsehen, wie es uns hier, im Theater, als Fantasie von vorgestern vorgeführt wird, ist längst so unerhört von hier und heute, das keine kritische Distanz mehr denkbar ist. Einmal immerhin wird sie formuliert: im Kritiker-Gespräch, das aber auch nur Teil der Show ist und letztlich nichts als eine Werbe-Plattform für die Kritiker:
Gut gesagt. Und schnell vergessen – wie jeder andere, überaus wünschenswerte kritische Ansatz in dieser Dortmunder "Die-Show". Das Theater hat sich hier ganz dem Charme der televisionären Müll-Produktion ergeben. Und wer wird sich da noch wundern, wenn eine Schreckensshow wie diese irgendwann tatsächlich mal um Einschaltquoten konkurriert?
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