Regisseur

Unerkannt im Publikum

Von Anke Schäfer |
Er ging auf eine Waldorf-Schule, wurde dort in Handwerk und Tanz auf das Theater vorbereitet und kam dann als Regisseur zum Theater: Kay Voges. Im Stück "Das Goldene Zeitalter" spielt vor allem Improvisation eine große Rolle.
"Man kennt Rockmusiker, man kennt Schauspieler, jetzt werde ich Orchestermusiker und Sänger kennen lernen und wieder heißt es – eine neue Sprache zu kreieren. Und die Reise geht jetzt los. Das ist der erste Tag heute gewesen."
Blitzende Augen unter leicht hängenden Lidern, halblange Haare, die Zigarettenschachtel auf dem Schoß – so sitzt Kay Voges in seinem spartanisch eingerichteten Büro in einem tiefen blauen Sessel. Auf dem Schreibtisch steht raumgreifend eine Büste. Weiß und aus Gips: Goethe.
"Der Goethe, den habe ich vor 15 Jahren mal geschenkt bekommen. Eines Tages werde ich mal den Faust machen. Das steht auf meiner Liste drauf."
Aber noch ist es nicht so weit. Erstmal arbeitet er sich am „Tannhäuser“ ab und muss außerdem seine neuesten Schauspielproduktionen am Laufen halten. Was „Das Fest“ betrifft, die Adaption des Dogma-Films, ist das nicht so schwer. Ganz anders beim „Goldenen Zeitalter“. Das wurde im September uraufgeführt und immer wenn es wieder auf dem Spielplan steht, ist Kay Voges nervös.
"Es ist jedes Mal ein Experiment. Jeder Abend ist neu. Jeder Abend wird on the fly kreiiert."
Jedes Mal drei völlig neue Stunden
Acht Stunden Material haben Kay Voges und sein Dramaturg Alexander Kerlin mit den Schauspielern geprobt. Daraus werden jedes Mal neu drei Stunden destilliert. Männer wie Frauen auf der Bühne in Röcken und blonden Perücken, alle in der gleichen Schuluniform. Wie ungelenke Puppen bewegen sie sich über die Bühne. Den Rhythmus gibt ein scheinbar endloser Herzschlag vor, zu dem gezählt wird.
"Was immer diese Schuluniform-Puppenarmee tut - alles wiederholt sich..."
Doch der Clou ist: Obwohl dieser Abend aus Wiederholungen besteht, kann man nie wissen, was als nächstes kommt. Denn Kay Voges sitzt unerkannt im Publikum. Er hat ein kleines Mikrofon zur Verfügung – und greift dann und wann ins Geschehen ein. Wie Gott. Er lässt einen Schauspieler ein Zitat plötzlich vorne an der Rampe wiederholen:
„Carlos kannst Du bitte an die Rampe kommen und das da noch mal sprechen? Wir brauchen ein bisschen Licht!“
"Im besten Fall ist das eine große Jam-Session. Zwei Musiker, ein Videokünstler, sechs Schauspieler, ein Dramaturg, die Maske – all die sind im Augenblick und wissen nicht, was als nächstes passieren kann. Und wenn das zusammen kommt, dann ist das wunderbar, aber manchmal hakt es und das ist auch aufregend – sich dieses Haken, das Scheitern auch als Abenteuer zu nehmen und nicht als etwas Negatives. Sondern auch das erzählt etwas und birgt die Chancen zu Neuem – zu ungeahnten Wegen."
Er kostet Nerven, aber er ist ein Erlebnis. Dieser Abend über die Wiederholung – der improvisiert wird....
Rockstar? Fußballer? Prediger? Regisseur!
"Ich habe Angst vor der Wiederholung und der Langeweile. Deswegen sage ich, wie Goethe gesagt hat: Tue einmal täglich etwas, wovor du Angst hast, nur so kommst du weiter. Wo sind denn die Dinge, die weh tun könnten, die Angst machen, um da einen Schritt weiter zu kommen."
Kay Voges greift zur Zigarettenschachtel und zündet sich eine an. Vor dem Fenster funkelt die Thier-Galerie, Dortmunds großes Luxus- Einkaufszentrum. Das hat er ebenso zur Bühne gemacht, wie die verrufene Dortmunder Nordstadt. Es ist ihm ein Anliegen, die Stadt mit einzubeziehen.
1972 in Düsseldorf geboren, bereitete die Waldorf Schule Kay Voges mit Handwerk und Tanz auf das Theater vor – aber dass er mal Regisseur und Schauspielintendant werden würde, das war nicht unbedingt vorauszusehen. Rockstar wollte er werden, Fußballer - oder Prediger.
"Ich habe schon eine extreme religiöse Vorgeschichte. Mit 13 dachte ich, ich weiß, wie die Welt funktioniert, wie man in den Himmel kommt. Das war sehr dogmatisch. Mit 16 habe ich mit einem großen Holzkreuz in Amsterdam auf dem Marktplatz gestanden und gepredigt und versucht, der Welt zu erklären, wie man zu Gott kommt und wie nicht."
Kein Wunder, dass religiöse Motive und auch die Figur des Jesus immer wieder durch Kay Voges Inszenierungen spuken. Zum Beispiel durch „Meister und Margarita“, die Adaption des Romans des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Ein Stück, zu dem der Schweizer Paul Wallfish, der Musikalische Leiter des Schauspiels Dortmund, eine Tom-Waits-artige Musik geschrieben hat.
Kay Voges kann das: Gute Leute um sich scharen und kreativ mit ihnen arbeiten. Als er sich im Halbdunkel des Intendantenzimmer gerade die zweite Zigarette ansteckt, fragt man sich unwillkürlich, ob Jesus vielleicht genau so ausgesehen hätte, wenn er geraucht hätte? - In jedem Fall ein Glück für das Dortmunder Publikum, dass Voges den Tempel gegen das Theater ausgetauscht hat.
"Die Frucht der Erkenntnis bringt uns nicht den Tod, sondern das ewige Leben. Doch alle irdischen Dinge reifen einer großen Vervollkommenheit..."