"Strike Germany"

Warum Künst­ler die CTM boy­kot­tie­ren

Auf dem Foto sind als Umrisse zwei Gestalten mit Hut hinter einem Pult zu sehen. Hinter ihnen an der Wand ist eine Lichtinstallation.
Zu Gast bei der CTM 2024: umatic & telematique © Ute Härting / CTM
26.01.2024
Kurz vor Start des Musikfestivals CTM in Berlin haben viele Künstler ihren Auftritt abgesagt. Was hat das mit der Boykott-Bewegung „Strike Germany“ zu tun?
Seit 25 Jahren lotet das CTM-Festival die Grenzen zwischen Klubkultur und gesellschaftlichem Diskurs aus. Doch kurz vor Beginn der Jubiläumsausgabe sagten über ein Dutzend Künstler ab. Der Grund: Deutschlands Haltung im Gaza-Krieg. Das Festival-Motto „Sustain“, das man auch mit „etwas zulassen“ oder „etwas aushalten“ übersetzen kann, scheint ungewollt passend.

Wer sagt ab und weshalb?

Den Anfang machten die Londoner DJs Manuka Honey und Jyoty. Beide sollten den ersten Spieltag des Festivals am 26. Januar im Berghain eröffnen. Doch am 12. Januar sagten sie ihre Teilnahme ab. Dabei beriefen sie sich auf die Kampagne „Strike Germany“. Die ruft dazu auf, deutsche Kultureinrichtungen zu boykottieren, weil in Deutschland ihrer Ansicht nach die Meinungsfreiheit in Gefahr sei: Kritik an Israel würde durch Entlassungen und offene Zensur „wirkungsvoll zum Schweigen gebracht.“
Seitdem haben über ein Dutzend weiterer Künstlerinnen und Künstler ihre Teilnahme am Festival abgesagt. Unklar ist, ob alle Künstler „Strike Germany“ unterstützen. Einige äußern öffentlich lediglich Kritik an einer Antisemitismusklausel des Berliner Senats. Gemäß der Klausel sollten Empfänger von öffentlichen Fördergeldern zu einem Bekenntnis gegen Antisemitismus verpflichtet werden. Grundlage dafür sollten eine Antisemitismus-Definition der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) sowie eine Ergänzung dieser Definition durch die Bundesregierung sein.
Mittlerweile wurde die Klausel wegen „juristischer Bedenken“ zurückgenommen, heißt es aus dem Senat.

Was fordert „Strike Germany“?

Die Klausel zu kippen, war eine Teilforderung des Aufrufs. Doch „Strike Germany“ holt noch weiter aus: Aus Angst, ihre öffentliche Förderung zu verlieren, würden Kulturinstitutionen Mitarbeiter auf ihre Gesinnung im Israel-Palästina-Konflikt überprüfen. Konkrete Beispiele für diese „versteckte Form des Racial Profiling“ nennt die Kampagne jedoch nicht.
Außerdem fordert „Strike Germany“ eine Rücknahme der BDS-Resolution des Bundestags. Diese verweigert Initiativen eine finanzielle Förderung durch den Bundestag, wenn sie "zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen". In der Resolution appelliert der Bundestag außerdem an Länder, Kommunen und "alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure", sich dieser Haltung anzuschließen.

Wer steckt hinter „Strike Germany“?

Wer genau hinter „Strike Germany“ steckt, ist unklar. Auf der Website der Kampagne findet sich kein Impressum. Neben der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux und Philosophin Judith Butler teilen außerhalb der Clubszene kaum namhafte Künstler den Aufruf.
Auch die offizielle Unterstützerliste gibt wenig Aufschluss. Dort tauchen die besagten DJs, die ihre Teilnahme am CTM abgesagt haben, nicht auf. Dafür aber seltsamerweise Name wie der des verstorbenen NS-Kriegsverbrechers Klaus Barbie oder des ebenfalls verstorbenen islamistischen Terroristen Mohammed Atta.

CTM-Boykott: Passt das zusammen?

Zu den Unterstützern von „Strike Germany“ zählten vor allem marginalisierte Kulturschaffende wie das Dweller-Festival für afroamerikanische Klubmusik, sagt DJ und Journalist:in Hengameh Yaghoobifarah. Doch der Boykott deutscher Klubs treffe die Falschen. Denn: „Einen Olaf Scholz interessiert es herzlich wenig, ob im Berghain noch eine Dweller-Nacht stattfindet oder nicht. Aber für schwarze Communities in Berlin macht das schon einen Unterschied.“
Dass ausgerechnet das CTM-Festival zum Ziel von Boykotten wurde, verwundert schon, denn: Die Festival-Leitung kritisierte die Antisemitismusklausel in einem Statement mit anderen Kulturinstitutionen bereits als „rechtsunsicher“. Unabhängig von „Strike Germany“ schlägt sie vor, die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA) zu nutzen. Wenige Tage nach dem Statement setzte Kultursenator Joe Chialo die Klausel aus. Trotzdem folgten danach weitere Absagen für die CTM.
Außerdem versteht sich das Festival als Plattform für politischen Diskurs. Es bucht viele Künstler aus Ländern, die sonst auf westlichen Festivals unterrepräsentiert sind. Und es gibt immer wieder palästinensischen DJs eine Bühne.
Ein Blick auf das diesjährige Line-Up zeigt: Auch dieses Jahr treten dort viele Künstler auf, die öffentlich Solidarität mit Palästina zeigen. 

Wie geht das CTM-Festival damit um?

Die Absagen wirbeln die Programmplanung zur CTM gehörig durcheinander, sagt Jan Rohlf, der künstlerische Leiter des Festivals: „Natürlich ist das eine herausfordernde Situation für uns, in so kurzer Zeit, so kurz vor dem Festival, jetzt einen Teil des Programms neu aufstellen zu müssen. Und wir arbeiten quasi rund um die Uhr daran, jetzt ein vollständiges Festivalprogramm weiterhin bieten zu können. Insofern trifft uns das natürlich schon, keine Frage.“
Doch er betont zugleich, dass die CTM die Entscheidung der Künstler für eine Absage respektiere. Im Gespräch verweist Rohlf darauf, dass die CTM einen Raum schaffen wolle, „in dem man sich begegnet, in dem man voneinander was lernt, in dem man voneinander etwas erfährt. Und daran halten wir natürlich auch absolut fest. In dem Sinne sind wir nicht für Boykott, sondern wir sind dafür, dass man sich gegenseitig begegnet und auch die Widersprüche versucht auszuhalten und darüber auch einen Dialog zu führen."
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