Neuübersetzung von „Tausendundeine Nacht"

"Ich übersetze immer mit der Priorität des Klangs"

14:27 Minuten
Claudia Ott liest im Übersetzungsprozess einer kleinen Gruppe von Interessierten vor.
Claudia Ott hat Liebesgeschichten aus "Tausendundeiner Nacht" neu übersetzt. Ein Ritual: Sie stimmt sich ein, indem sie eine Schilfrohrflöte spielt. © Blind Photographie
Claudia Ott im Gespräch mit Andrea Gerk · 18.07.2022
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Claudia Ott ist Arabistin, Musikerin und Übersetzerin. In ihrer Neuübersetzung von vier Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" fügen sich diese Talente glücklich zusammen. "Das Buch der Liebe" lässt ahnen, warum die Sammlung oft auf dem Index stand.
"Tausendundeine Nacht" ist die wahrscheinlich berühmteste Sammlung von Geschichten. Die schlaue Schahrasad erzählt darin buchstäblich um ihr Leben spannende Geschichten, denn sobald sich ihr Gegenüber, der grausame König Schahriyar, langweilt, droht ihr der Tod.
Die Arabistin, Musikerin und Übersetzerin Claudia Ott hat daraus schon einige Geschichten ins Deutsche übersetzt. Jetzt hat sie die vier Liebesgeschichten “Das Buch der Liebe“ in ein durchaus modernes Deutsch gebracht. „Jedes Werk der Weltliteratur darf von Zeit zu Zeit wieder in die zeitgenössische Literatur eingespeist werden", sagt sie zu ihrer Wahl, ein Deutsch von heute zu nutzen.
Der zweite Grund liege im Original: „Das sind ja die ältesten arabischen Quellen von ‚Tausendundeiner Nacht‘, und die waren in ihrer Zeit total zeitgenössisch. Die klangen kein bisschen abgestanden oder märchenhaft, sondern das waren Texte aus dem prallen Leben.“ So sollte also auch die Übersetzung sein.

Einstimmung mit der Flöte aus Schilfrohr

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Eine Besonderheit: Sie stimmt sich darauf ein, indem sie die Rohrflöte spielt. „Ich übersetze immer mit der Priorität des Klangs“, sagt Ott. „Ich möchte gerne, dass meine Übersetzung so klingt, wie das Arabische geklungen hat oder klingen soll – vor allem bei den zahlreichen Gedichten in diesem Text.“
Die Texte seien unheimlich musikalisch und immer zum Vortragen gedacht gewesen. „‘Tausendundeine Nacht‘ war nie ein Buch nur zum stillen Lesen. Es gehörte immer vors Publikum. Es gehörte immer in die Mündlichkeit zurückversetzt – und es gehörte auch immer in die Gesanglichkeit zurück. Deswegen möchte ich gerne so viel wie möglich von dieser Klanglichkeit des Originals in die Übersetzung einbringen.“
Dabei hilft ihr das schlichte, aus einem Schilfrohr gemachte Instrument.

Übersetzen aus Originalhandschriften

Zudem liest sie ihre erste Rohfassung einer Gruppe von Zuhörerinnen und Zuhörern vor, die ihr Feedback geben. Das Vorlesen, nicht das Erzählen steht dabei im Vordergrund. Damit bewege sie sich in einer alten Tradition, macht Ott deutlich:
"Wir haben hier keine frei improvisierten Erzählungen vor uns, sondern eine Kette schriftlich überlieferter Literatur. Diese wurde einzig unter diesem wirklich genialen Kriterium gesammelt, dass sie so spannend und aufregend sein muss, dass sie die Neugier des Sultans jede Nacht aufs Neue fesselt, sodass er die Erzählerin immer eine Nacht länger am Leben lässt. Das ist das einzige Kriterium. Und wenn das erfüllt ist, konnte jede Geschichte in 1001 Nacht hineinkommen."

Bildung rettet Leben, das ist die Botschaft von ‚Tausendundeiner Nacht‘.

Claudia Ott, Arabistin, Musikerin und Übersetzerin

Diese Geschichten habe Schahrasad weder selber erlebt, noch habe sie sich diese Geschichten erzählen lassen: "Sondern – das sagt sie selbst in der Rahmengeschichte – sie hat diese Geschichten aus Büchern gelesen. ‘Tausendundeine Nacht‘ ist das Werk, in dem das Bücherwissen als Lebensrettung dargestellt wird." Sogar die allerältesten Handschriften zeigten ganz deutlich die Spuren von schriftlichen Vorlagen, erläutert Ott.
Damit verweist sie indirekt auf eine weitere Besonderheit in ihrem Arbeitsprozess: Sie arbeitet beim Übersetzen mit den Originalmanuskripten – Handschriften, wie sie etwa in Bibliotheken aufbewahrt werden. Eine davon liegt in der Staatsbibliothek Berlin. "Eine Handschrift, die seit Langem bekannt war, die sich aber noch nie jemand genauer angeschaut hatte."

Erotik auf dem Index

Auch Gedichte sind in ihrer Übersetzung enthalten: „Auf diese Gedichte wartete das arabische Originalpublikum wie auf die Arien in einer Oper.“ Frühere Übersetzer hätten sie aber oft weggelassen, da sie die Handlung nicht vorwärtsbringen würden. „Aber in meiner Übersetzung sind das die Perlen. Das ist das Schönste vom ganzen Text.“
"Tausendundeine Nacht" enthält erotische Passagen, was dazu führte, dass die Sammlung immer wieder indiziert wurde. Ott vermutet aufgrund der „Unbefangenheit, mit der uns in ‚Tausendundeiner Nacht‘ solche Themen entgegenkommen: Die hat heutige und auch frühere Sittenwächter immer befremdet bis erschreckt.“
Bis in moderne Zeit habe man diese Geschichten nicht offiziell lesen dürfen, erzählt sie. „Das ist eigentlich auch ein Geheimnis ihrer Beliebtheit: Sie waren immer verboten. Deswegen wurden sie umso lieber gelesen.“
(mfu)

"Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe"
Übersetzt von Claudia Ott, mit Illustrationen von Mustafa Emary
C. H. Beck, München 2022
543 Seiten, 32 Euro

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