Die Kunst, ein Gedicht zu übersetzen

Man übersetzt viel mehr als nur Worte

56:14 Minuten
Amanda Gorman bei der Inaugurationsfeier für US-Präsident Joe Biden.
Selten fand ein Gedicht so viel Aufmerksamkeit wie Amanda Gormans "The Hill We Climb" zur Amtseinführung von Joe Biden. Selten fand die Arbeit von Übersetzerinnen mehr Aufmerksamkeit. © picture alliance / Associated Press | Patrick Semansky
Von Insa Wilke · 15.08.2021
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Lyrik zu übersetzen, war nie einfach. Diskussionen über Rassismus und Postkolonialismus lassen manches in neuem Licht erscheinen. Zum Beispiel die Frage: Wer ist am besten geeignet, Amanda Gormans "The Hill We Climb" ins Deutsche zu übersetzen?
Amanda Gormans Auftritt bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden ging um die Welt. Man staunte über die Präsentation der jungen Poetin, auch über die weihevolle Rolle der Literatur. Deutlich hitziger wurde die Diskussion über die Frage, wer "The Hill We Climb" übersetzen sollte.
In den Niederlanden hatte der Verlag Marieke Lucas Rijneveld als Übersetzerin ausgewählt, eine prominente Autorin mit weißer Hautfarbe. Die Journalistin und Aktivistin Janice Deul nannte das eine "verpasste Chance".
Rijneveld stimmte Deuls Kritik an der strukturellen Ungerechtigkeit im Literaturbetrieb zu und gab den Übersetzungsauftrag zurück.

Ein diverses Trio

In deutschen Medien wurde der Vorfall verfälschend auf die Frage zugespitzt, ob nur Schwarze Übersetzerinnen und Übersetzer Schwarze Autorinnen und Autoren übersetzen dürfen. Inzwischen ist die Erregung ein wenig abgeflaut und die deutsche Übersetzung durch ein divers besetztes Trio liegt vor. Viele Übersetzerinnen und Übersetzer haben sich nicht nur über das Interesse an der sonst im stillen Kämmerlein stattfindenden Tätigkeit gefreut, sondern ihre Positionen und Arbeitsweisen noch einmal überdacht.
Insa Wilke hat sich mit den Übersetzerinnen von "The Hill We Climb" – Hadija Haruna-Oelker, Kübra Gümüşay und Uda Strätling – über Diversität und Multiperspektivität unterhalten, aber auch Steffen Popp, Uljana Wolf, Katharina Narbutovič, Lea Schneider sowie Stefan Weidner gefragt, wie sie es denn halten mit Empathie und Distanz, Vertrautheit und Fremdheit, Kooperation und Nachdichtung.

Ein schwer übersetzbares Wort

Das Übersetzungshandwerk braucht offenbar viele Fähigkeiten, die Übersetzerkunst darf das Unübersetzbare nicht scheuen, und eine ganz und gar nicht unwichtige Rolle scheint etwas zu spielen, was man – ein nur im Deutschen, vielleicht noch im Ungarischen denkbares Wort, sicher schwer übersetzbar – eine zuweilen datenbasierte, für Machtverhältnisse sensibilisierte Spürnasenassoziationsfähigkeit nennen könnte.
(pla)
Das Manuskript zur Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Frauke Poolmann, Joachim Schönfeld
Ton: Christiane Neumann
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Redaktion: Jörg Plath

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