Cemile Sahin: "Alle Hunde sterben"

Die ganze Brutalität des Krieges

11:36 Minuten
Porträt der Autorin Cemile Sahin.
In ihrem Debütroman "Taxi" erzählt Cemile Sahin humorvoll von einer vom Militarismus und Nationalismus geprägten Türkei. Ihr aktuelles Buch ist deutlich ernster. © Aufbau Verlag / Paul Niedermayer
Moderation: Frank Meyer · 09.09.2020
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Cemile Sahins zweiter Roman "Alle Hunde sterben" unterscheidet sich stark von ihrem Debütroman "Taxi". Wieder spielt Militarismus in der Türkei eine Rolle, jedoch eine andere Facette. Daher habe sie auch einen anderen Stil gewählt, sagt die Autorin.
Ihren Roman "Alle Hunde sterben" wolle sie nicht als Geschichte über die Unterdrückung der Kurden in der Türkei verstanden wissen, sagt Cemile Sahin. Sie habe vielmehr über Menschen schreiben wollen, die in Ländern mit einer ausgeprägten militärischen Tradition lebten. Und als ginge es darum, explizit zu unterstreichen, dass nicht die Kurden gemeint seien, lautet der erste Satz des Buches: "Wir sehen ein Hochhaus im Westen der Türkei."
Dieses Hochhaus sei für sie der Ort, wo alle Protagonistinnen der Handlung zusammenkommen. Alle haben Gewalt, Verlust oder Vertreibung erfahren.
"Es geht darum, dass Krieg nicht linear ist", sagt Sahin, "es ist nicht so, dass man in Kriegsgebieten ständig von Bombardements oder Terror und Hass betroffen ist. Es gibt auch Normalität. Diese unterschiedlichen Aspekte wollte ich beleuchten. Vor allem, wie man die Gewalt darstellen kann."

Die Zivilbevölkerung kommt nie zu Wort

Die beschriebenen Gewaltszenen habe sie sich nicht ausgedacht, sondern, wer sich mit dem Nahen Osten beschäftigt, komme zwangsläufig mit solchen Geschichten in Berührung. "Mir ging es beim Schreiben darum, dass die Zivilbevölkerung nie zu Wort kommt. Ich wollte die andere Seite des Krieges erzählen, von den Personen, die darin gefangen sind und kaum Gehör finden." Es gebe einen gewissen "Täterfetisch". Sie habe den Fokus bewusst nicht auf die Täter legen wollen.
Und so schreibt sie von den Familien, die durch den Konflikt getrennt werden. Als Erstes versuchen Familien in solchen Situationen, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie habe zwar selbst keine Kinder, aber sie stelle sich das als besonders schwierig vor, seine Kinder wegzugeben. Daher habe sie das auch immer wieder thematisiert.
"Wir sehen das auch in solchen Camps wie Moria, wo die Kinder vorgeschickt werden und die Eltern bleiben zurück. Das ist ein so großer Horror, der viel zu wenig beachtet wird und einfach eine Konsequenz von Kriegsschauplätzen ist."

Keine historischen Bezüge

Um welchen Krieg oder Konflikt es im Buch gehe, erfährt der Leser nicht. Daher bleibt auch unklar, in welcher Zeit der Roman spielt. Sahin betont, sie habe beim Schreiben Aspekte verschiedener Konflikte aus unterschiedlichen Zeiten miteinander verwoben.
Sie nehme die Geschichte ihres Buches wie einen Film wahr. Sie lasse sich in die Geschichte hineinziehen und erlebe die in diesem Augenblick. Auch das Hochhaus ganz am Anfang des Romans stelle sie sich wie in einem Querschnitt vor, bei dem man auf einen Blick alle Handlungen sehen könne, die in den verschiedenen Räumen geschehen.
(nis)

Cemile Sahin: "Alle Hunde sterben". Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2020
239 Seiten, 20 Euro

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