Carlo Lucarelli: "Der schwärzeste Winter"

Zwischen den Fronten

03:45 Minuten
Das Schwarzweißfoto auf dem Cover des Bildes blickt aus einem schwarzen Inneren eines Gebäudes durch ein großes Tor auf eine alte Kirche. Im Tor befindet sich eine Gruppe Fahrradfahrer.
© Folio Verlag

Carlo Lucarelli

Karin Fleischanderl

Der schwärzeste WinterFolio, Wien/Bozen 2021

316 Seiten

22,00 Euro

Von Thomas Wörtche · 19.11.2021
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Commissario de Luca im Widerstand gegen sich selbst: Mit „Der schwärzeste Winter“ setzt Carlo Lucarelli seine großartige und zugleich unbehagliche Serie mit Kriminalromanen aus dem faschistischen Italien fort
„Der schwärzeste Winter“ ist der sechste Roman einer Serie, die im faschistischen Italien die Geschichte des Commissario de Luca erzählt, der eigentlich nur ein guter Kriminalpolizist ist, aber durch die Zeitläufe zu zunehmend ekelhaften Kooperationen gezwungen wird.

Die Wehrmacht, die Resistenza und drei Leichen

Im Dezember 1944 arbeitet er für eine faschistische Spezialeinheit, die hauptsächlich Aktionen gegen die Partisanen der Resistenza durchführt. Weil er aber ein brillanter Mordermittler ist, weckt er auch die Begehrlichkeiten anderer Dienststellen, darunter auch die Wehrmacht - und die SS, die in Bologna auf die große Offensive der Alliierten warten, die allerdings erst im Frühjahr kommen wird. Bis dahin terrorisieren die Faschisten und die Deutschen die Bevölkerung.
De Luca hat es plötzlich mit drei Leichen zu tun, an denen die unterschiedlichsten Parteien die unterschiedlichsten Interessen haben, darunter auch der Widerstand. De Luca, angewidert von sich selbst, hat ein Kalkül: Der Krieg wird zu Ende gehen, die Alliierten werden gewinnen und insofern wird es nicht schlecht sein, seine Sünden abzubüßen, in dem er den Widerstand unterstützt.
Aber, naja, es handelt sich um einen sehr schwarzen Roman ….

Erbarmungslos kaltes Bologna

De Luca ist eine vielfach gebrochene, eine extrem opake Gestalt, manchmal gesteuert von eisiger Indolenz, dann wieder von heftigen Anfällen von Empathie und Sentiment, immer innerlich zerrissen, unfähig zu Zufriedenheit, gar Glück. Eine Figur, die deutlich in der Tradition von Giorgio Scerbanencos „Held“ Duca Lamberti steht.
Bemerkenswert an diesem Roman ist auch die intensive und eindrückliche Schilderung von Bologna. Es ist erbarmungslos kalt, die Stadt ist zerbombt und gleichzeitig Auffangbecken von Flüchtlingen, die vor der Front davonlaufen.
Lebensmittel sind knapp, ebenso Brennmaterial, die Straßen sind unsicher, Feuergefechte zwischen den einzelnen Parteien sind schon fast normal, Grausamkeiten aller Art an der Tagesordnung. In der Tat ist dieser Winter schwarz.

Ein obsessiver Ermittler

De Luca ruht nicht eher, bevor jedes einzelne Puzzleteil, das er bei seinen Mordermittlungen findet, am richtigen Fleck sitzt. So bieten sich immer wieder zwar plausible Aufklärungsresultate an, die De Luca aber wegen irritierender Details nicht akzeptieren kann.
So bohrt er weiter, bis sich immer wieder neue Dimensionen, neue Verwicklungen und neue Dimensionen auftun, die er dann wiederum präzise und fugenlos zusammensetzt. Auch wenn ihm das Ergebnis nicht gefällt und auch wenn es nicht unbedingt juristische Folgen hat. De Luca interessiert sich nur für das „wie“.

Meisterlich umgesetztes Unbehagen

Diese Obsession setzt Lucarelli literarisch meisterhaft um – während man sich während der Lektüre moralisch windet. So wie De Luca selbst, mit dem sein Autor nicht gerade nett umgeht.
Großartig unbehaglich.
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