Mutmaßliche Kriegsverbrechen in Butscha

"Sauberer Krieg ist eine Illusion"

08:40 Minuten
Zerstörte russische Militärfahrzeuge in Buschta bei Kiew
Auch Panikreaktionen beim Abzug könnten zu Kriegsverbrechen von russischen Soldaten geführt haben, sagt Wolfgang Richter. © IMAGO/i Images
Wolfgang Richter im Gespräch mit Dieter Kassel · 05.04.2022
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Bilder und Berichte aus Butscha deuten auf mögliche Kriegsverbrechen russischer Soldaten hin. Der Militärexperte Wolfgang Richter ist für eine gründliche Aufklärung. Dass das Völkerrecht einen Krieg ohne zivile Tote ermögliche, sei aber eine Täuschung.
Auf verstörenden Bildern aus Butscha und vereinzelt auch aus anderen Orten rund um Kiew sind tote Zivilisten zu sehen: Männer und Frauen, deren Hände auf dem Rücken gefesselt sind und denen in den Kopf geschossen wurde. Menschen, die tot über ihren Fahrrädern zusammengesunken sind, teilweise noch mit Einkaufstüten in der Hand.
Die Vermutung liege nahe, dass es sich bei den getöteten Zivilisten in Butscha bei Kiew um Kriegsverbrechen russischer Soldaten handeln könnte, sagt Wolfgang Richter. Er ist Oberst a.D. der Bundeswehr, war unter anderem an der OSZE-Mission in Georgien beteiligt und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zu verschiedenen Bereichen der internationalen Sicherheitspolitik, auch zum Kriegsrecht.

Völkerrecht verbietet, Zivilisten zu töten

Es gebe ein klares Verbot, zivile Ziele anzugreifen und Zivilisten zu töten, erklärt Richter. Das gebiete das humanitäre Völkerrecht. Zudem gelte es im Gefecht die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Militärische Zwecke müssten in einem vernünftigen und auch menschlich verantwortbaren Verhältnis zu den sogenannten Kollateralschäden stehen, die der Einsatz verursacht.

„Es ist ein klares Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn man Nichtkombattanten mit Absicht erschießt.“

In Butscha deute vieles daraufhin, dass auch Gefangene erschossen worden seien, sagt Richter. Geklärt werden müsse auch, inwiefern gefangene Zivilisten der ukrainischen Territorialverteidigung angehört haben könnten: „Diejenigen, die, obwohl sie Zivilisten sind, in den Kampf einsteigen. Sie sind vorher bewaffnet worden und verschwinden dann möglicherweise wieder in der Menge der anderen Zivilbevölkerung – aber auch die sind zu schützen.“

Internationale Untersuchung gefordert

Bisher gebe es die Bilder der Toten, Erläuterungen und einige Zeugenaussagen. Viele Hinweise deuteten darauf hin, dass es sich um beabsichtigte Gräueltaten handele. Dies müsse sehr sorgfältig aufgeklärt werden. Es fehle noch eine internationale Untersuchung. Er unterstütze die Forderung nach einer solchen, so Richter. Nur damit könne ein Kriegsverbrechen bewiesen werden:
„Forensische Untersuchungen, gerichtsmedizinische Untersuchungen, etwa welcher Art die Verletzungen waren – ob es Splitter von Gefechtshandlungen oder ob es Kopfschüsse waren – aber auch die Untersuchung des Kontextes.“
Auffallend sei, dass es in Butscha viele zerstörte Waffen und gepanzerte Fahrzeuge der Russen gebe, was auf ein Gefecht hindeute. Die Taten gegen Zivilisten könnten auch im Zusammenhang einer Art Panikreaktion russischer Soldaten während des Rückzugs stehen.

Krieg ist immer grausam

Dass das humanitäre Völkerrecht einen Krieg ohne zivile Tote schaffen könne, sei eine große Täuschung: "Ein sauberer Krieg ist eine Illusion." Menschen handelten emotional, Vorgaben würden im Kampf an Bedeutung verlieren, auch wenn Soldaten in Europa nach OSZE-Vorgabe das Völkerrecht eindringlich gelehrt werde, sagt Richter.
Zudem gebe es in Gefechten auch Unvorhersehbares, das zu einer Verletzung des Völkerrechts führen könne. Wie etwa 2009 in Afghanistan, als durch einen Aufklärungsfehler mehr als 100 Zivilisten unbeabsichtigt durch einen Luftangriff getötet wurden.
"Wenn die Politik entscheidet, in einen Krieg zu gehen, muss sie wissen, dass im Nebel des Krieges immer auch fürchterliche Dinge passieren", sagt Richter. "Das ist unvermeidbar."

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