Eine Frau in Deutschland. Der Fall der Christiane K.
© Hanser Berlin
Die Frau und Mutter als Mörderin

Prune Antoine
Aus dem Französischen von Theresa Benkert
Eine Frau in Deutschland. Der Fall der Christiane K. Hanser, Berlin 2025256 Seiten
25,00 Euro
Der Fall einer Mutter, die ihre fünf Kinder tötete, wird von Prune Antoine als Mischung zwischen Fakten und Fiktion aufbereitet. Die französische Journalistin will damit auch die Diskriminierung von Frauen in Justiz und Psychiatrie thematisieren.
Im September 2020 tötet Christiane K. in Solingen fünf ihrer sechs Kinder. Im anschließenden Prozess wurde sie wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Journalistin Prune Antoine hat dieser Fall nicht losgelassen. Sie begann zu recherchieren, schrieb eine Reportage, die es auf die Shortlist des True-Story-Awards schaffte – und legt nun mit „Eine Frau in Deutschland“ ein Buch nach.
Gesellschaftliche Erwartungen an Mütter
Christiane K. steht für Prune Antoine stellvertretend für die übersteigerten gesellschaftlichen Erwartungen, die an eine Mutter gestellt werden. Sie beeinflussten – so ihre These – die mediale Berichterstattung über diesen Fall, den Verlauf des konkreten Prozesses, Christiane K.s Selbstbild und zeigten sich zudem in den Diskriminierungen von Frauen, insbesondere Müttern, im Strafrecht und der Psychiatrie. So gelten psychiatrische Beurteilungskriterien als universell, richten sich aber nach Männern – obwohl sie beispielsweise bei einer Depression oft andere Symptome zeigen als Frauen. Diese Ausführungen verknüpft Prune Antoine mit ihren eigenen Erfahrungen und Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als Mutter.
Um all diese grundsätzlich interessanten Themen aufzugreifen, hat sie ihr Buch als "Narrative Non-Fiction" angelegt: Die Journalistin schildert den Fall mithilfe der Erzähltechniken eines Romans. So nimmt sie – nicht immer stringent – die Perspektiven anderer Personen ein, beispielsweise die eines forensischen Psychiaters oder des überlebenden Kindes, mischt Fakten mit Fiktionen und Empathie – das Wort fällt oft in diesem Buch –, um der „Komplexität" des Falls „ein Stück näherkommen“ zu kommen.
Die Frage nach der Heimtücke als Mordmerkmal
Prune Antoines eigene Position bleibt unklar. Sie will dem Gericht keine Fehler nachweisen – hier wäre die Mischung aus Fakt und Fiktion auch hinderlich – und auch nicht Christiane K.s Unschuld beweisen. Jedoch bleibt die Journalistin stets so nah an dem konkreten Fall, dass die systemischen Aspekte in den Hintergrund treten. Auch weil sie oftmals nicht ausreichend mit Argumenten und Fakten außerhalb des Falls unterfüttert sind.
Ein Beispiel: Schon seit Jahren weisen Juristinnen darauf hin, dass Heimtücke als Mordmerkmal Frauen benachteilige. Aufgrund körperlicher Unterlegenheit greifen Frauen häufiger zu Methoden, bei denen die Opfer arg- und wehrlos sind. Der Fall einer Frau, der vorgeworfen wird, ihre Kinder im Alter von acht Jahren und 18 Monaten mit Medikamenten betäubt und dann ertränkt zu haben, unterstützt dieses Argument nicht: Sie sind ihr körperlich nicht überlegen.
Frauen und Mütter als Täterinnen werden anders beurteilt
Ein erzählendes Sachbuch ist keine juristische oder kriminologische Untersuchung. Die Autorin dieses Buches aber verlangt, dass man ihren oft emotionalisierenden Schlussfolgerungen folgt. Und auch ihre entrüstete Feststellung, dass eine Jugendstrafe von zehn Jahren beispielhaft für Deutschlands Nachsicht gegen Rechtsextreme sei, lässt sich kaum teilen, wenn man weiß, dass zehn Jahre die Höchststrafe sind, die das Jugendstrafrecht vorsieht.
"Narrative Non-Fiction" hat sehr viele Stärken, die hier nicht ausgespielt werden. Die Verbindung zwischen dem konkreten Fall und den übergeordneten Fragen gelingt letztlich zu selten und das ist schade. Denn es sind wichtige Themen, auf die Prune Antoine hier zu sprechen kommt: Frauen und vor allem Mütter als Täterin werden immer noch anders beurteilt.