Buddhismus, Christentum & Co.

"Vielfalt gibt es innerhalb jeder großen Religion"

11:27 Minuten
Drei Figuren unterschiedlicher Glaubensrichtungen, Hinduismus, Buddhismus und Christentum, stehen auf einem Autodach. Der Hintergrund ist verschwommen grün.
Hinduismus, Buddhismus und Christentum haben mehr gemeinsam, als es scheint. © Getty Images / EyeEm / Emily Gyselinck
Perry Schmidt-Leukel im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 04.12.2022
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Buddhismus und Christentum haben nichts gemeinsam? Stimmt nicht, sagt der interkulturelle Theologe Perry Schmidt-Leukel. Gottessohn oder Lehrer, Gnade oder Selbsterlösung, persönlicher Gott oder unpersönlicher: Alles gibt es in beiden Religionen.
Kirsten Dietrich: Annäherungen an den Buddhismus, das ist heute unser Thema. Dabei möchte ich jetzt ein bisschen interreligiös schauen. Auch wenn da eigentlich alles klar zu sein scheint: Buddhismus und Christentum haben nichts miteinander gemeinsam – so heißt es jedenfalls meistens. Mehr noch: Verschiedener geht es eigentlich nicht, wenn es um Religionen geht.
Aber wer das sagt, hat einfach nicht genau genug hingeschaut, das sagt zumindest der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel. Er forscht an der Universität Münster zu Interkultureller Theologie. „Zwischen dem Buddhismus und dem Christentum gibt es keine Ähnlichkeiten“ – an dieser Aussage, sagen Sie, ist so ziemlich alles falsch, vor allem aber die bestimmten Artikel?
Perry Schmidt-Leukel: Genau, das ist der Punkt. Alle großen Religions-Gemeinschaften, wie wir sie kennen – Christentum, Buddhismus, Islam, Hinduismus –, sind in sich außerordentlich vielschichtig. Sie haben eine große innere Vielfalt, die es fast verunmöglicht, von diesen Religionen so zu sprechen, als hätten wir es hier mit homogenen, in sich stimmigen Einheiten und Systemen zu tun.

Unterschiede auf den zweiten Blick

Dietrich: Aber von den theologischen Grundlagen liegen doch Welten dazwischen, oder? Also als Beispiele: Im Buddhismus gibt es Selbsterlösung. Erlösung im Christentum dagegen funktioniert durch göttliche Gnade. Im Buddhismus gibt es keinen persönlichen Gott. Gott als Person ist ganz zentral im Christentum. Die Liste lässt sich noch verlängern. Das sind doch alles ganz massive, klare Unterschiede.
Schmidt-Leukel: Das ist insofern richtig, als man gelegentlich den Eindruck gewinnt, dass bestimmte religiöse Auffassungen dominant sind. Aber wenn man genauer hinsieht in den Religionen, so lässt sich oft feststellen: Das, was große Religionen voneinander unterscheidet, lässt sich auch innerhalb einer jeden Religion wiederfinden.
Gerade das von Ihnen genannte Beispiel, die Auffassung, dass die letzte Wirklichkeit ein personaler Gott ist, oder eben, dass wir es bei letzter Wirklichkeit mit einer eher impersonalen Kraft oder impersonalen Wirklichkeit zu tun haben: Es gibt beides in beiden Religionen.
Der Theologe Perry Schmidt-Leukel trägt ein graues Sakko und ein offenes kariertes Hemd und lächelt freundlich in die Kamera.
Vermeintliche Unterschiede zwischen Religionen finden sich bei genauer Betrachtung innerhalb jeder Glaubensrichtung wieder, sagt der Theologe Perry Schmidt-Leukel.© privat
Das heißt, im Buddhismus dominiert vielleicht die Vorstellung von einer nicht personalen letzten Wirklichkeit, eben dem Nirwana oder was auch als Dharma-Körper bezeichnet wird, gleichzeitig gibt es im Buddhismus aber auch verbreitet die Vorstellung von einem ewigen Buddha. Das heißt, diese unpersönliche oder nicht persönliche Wirklichkeit nimmt persönliche Formen an.
Im Christentum auf der anderen Seite gibt es auch viele nicht personale Metaphern und Aussagen, die auf die göttliche Wirklichkeit bezogen werden. Denken Sie nur an Thomas von Aquin, einen der einflussreichsten Theologen im christlichen Mittelalter. Er hat gesagt, die Aussage, die am ehesten auf Gott zutrifft, ist die, dass Gott das Sein selbst ist. – Das ist nun nicht gerade eine personale Vorstellung.

Das Große spiegelt sich im Kleinen

Dietrich: Sie bezeichnen diese Vielschichtigkeit der Religionen als fraktale Strukturen. Nach dem Mathematiker Benoît Mandelbrot sind das Muster, die das Große im Kleinen wiederholen: dass zum Beispiel die Form der Krone eines Baumes sich im Muster der Adern auf jedem einzelnen Blatt wiederholt. Was heißt das für den Vergleich von Religionen?
Schmidt-Leukel: Solche fraktalen Muster, also bestimmte Strukturen, die sich in jeder Komponente der Struktur wiederholen, finden wir vielfach in der anorganischen Natur. Sie lassen sich aber auch im Verhältnis der Kulturen zueinander beobachten und im Verhältnis der Religionen.
Vereinfacht gesagt: Die Unterschiede zwischen den großen Religionen, das, was religiöse Vielfalt eigentlich im Kern ausmacht, diese Unterschiede treten unter anderen Namen, mit anderen Schwerpunktsetzungen innerhalb der Vielfalt einer jeden einzelnen Religion wieder auf.
Sie finden sich sogar in der kleinsten religiösen Einheit: dem einzelnen gläubigen Menschen. Auch hier ist religiöse Identität oder Religiosität nicht immer homogen. Viele Menschen verbinden in ihrer persönlichen Frömmigkeit, ihrer Spiritualität durchaus ganz unterschiedliche, teilweise gegensätzlich wirkende Motive – entweder gleichzeitig oder häufig auch im Laufe eines Lebens.

Glaube wandelt sich

Das heißt, die Religiosität wandelt sich. Wenn wir genauer hingucken, wie sie sich wandelt, dann finden wir hier wieder jene Unterschiede, die auch die innerreligiöse Vielfalt kennzeichnen und die globale religiöse Vielfalt.
Dietrich: Aber werden damit die übergreifenden Inhalte dann völlig egal? Macht es im Prinzip keinen Unterschied mehr, ob man seinen jeweiligen Bereich des Fraktals als Buddhistin oder als Christin bewohnt?
Schmidt-Leukel: Es gibt natürlich nach wie vor Unterschiede zwischen den Religionen, die das kulturelle Gepräge betreffen. Oder sie betreffen den jeweiligen Zeitraum, in dem wir nun auf eine bestimmte Religion blicken. Diese Ähnlichkeiten sind struktureller Natur, also nichts ist jemals vollkommen identisch.
Aber in der Tat kann es überraschende Ähnlichkeiten geben zwischen, sagen wir mal, einem Buddhisten der Richtung des "Reines-Land-Buddhismus" im japanischen Mittelalter und etwa einem protestantischen Christen. Das ist auch schon den ersten katholischen Missionaren aufgefallen, den Jesuiten-Missionaren, als sie im 16. Jahrhundert nach Japan kamen.

Teufelswerk im fernen Japan

Sie haben dann voller Verblüffung nach Europa zurückberichtet, der Teufel habe dieselbe Irrlehre, die er dem Luther eingegeben habe, auch den Japanern eingegeben in Gestalt des "Reines-Land-Buddhismus". Das heißt, sie sind hier auf jene doch sehr frappierende Ähnlichkeit gestoßen.
Dietrich: Ist dann diese besondere Struktur, diese fraktale Struktur von Religion selber etwas Göttliches?
Schmidt-Leukel: Oh, so weit würde ich ehrlich gesagt nicht gehen. Das ist zunächst einfach mal eine religionswissenschaftliche Beobachtung, die etwas gegen den Zeitgeist geht. Denn es hat in den letzten Jahrzehnten eine starke philosophische Bewegung gegen den Strukturalismus gegeben. Die Kritik war: Wenn man versucht, in einer Vielfalt von Phänomenen bestimmte Strukturen zu erkennen, dann werde man der Besonderheit des Einzelnen nicht mehr gerecht. Und so hat man strukturalistische Ideen vielfach verworfen.

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Aber ich glaube, die berechtigte Kritik hängt damit zusammen, dass ältere strukturelle Beobachtungen mit zu groben Strukturmustern vorgegangen sind. Gerade die fraktale Geometrie zeigt sich als sehr erfolgreich, um Strukturen zu verstehen, die sich bei scheinbar chaotischen Phänomenen zeigen, wie etwa Wolkenbewegungen, Rauchentwicklungen, Schaumkronen auf Wasser. All so etwas kann man heute mit der fraktalen Analyse sehr gut strukturell erfassen.

Ähnliche Wege zum Transzendentalen

Das scheint nun auch für den Bereich der Religionen zuzutreffen. Der Grund hierfür ist vermutlich in den Eigenarten des menschlichen Geistes oder der menschlichen Psyche zu suchen.
Dietrich: Das heißt, menschliche Psyche findet, egal unter welchen historischen Bedingungen, egal unter welchen Lebensbedingungen, ähnliche Wege, um sich dem Transzendentalen, dem Überweltlichen zu nähern.
Schmidt-Leukel: Das trifft es, denn diese fraktalen Strukturen der Religionen bilden sich ja erst im historischen Prozess aus. Das heißt, Religionen entwickeln sich weiter, und wir sehen dann, dass Religionen sich in ihrer Weiterentwicklung von ihren Entstehungsgründen her immer stärker verzweigen.
Schon in diesem Bild der Verzweigung finden wir eben den Gedanken der fraktalen Struktur. So wie wir ihn auch bei Bäumen beobachten können, wo letztlich jede Verzweigung die Struktur des ganzen Baumes widerspiegelt.
Das heißt, religiöse Vielfalt ist nicht chaotisch, sie ist nicht rein zufällig, sie ist nicht rein willkürlich. Sondern in ihr spiegeln sich Möglichkeiten des menschlichen Geistes wider. Theologisch können wir die dann natürlich so deuten, dass mit der Vielfalt der Menschen selbst auch notwendigerweise eine Vielfalt echter Gottes- oder Transzendenzerfahrung verbunden ist.

Suche nach spiritueller Expertise

Dietrich: Wenn eine Familie keine Migrationsgeschichte hatte, dann wächst man – in Deutschland jedenfalls – in der Regel nicht in den Buddhismus rein, sondern man entscheidet sich ganz bewusst dafür. Wenn ich Ihren Überlegungen jetzt folge, dann wäre das eigentlich gar nicht nötig.
Wenn ich mich zum Beispiel gerne meditativ einem göttlichen unpersönlichen Grund annähern möchte, dann könnte ich das auch in christlichen Traditionen finden oder in philosophischen, je nachdem, wo ich herkomme. Ich müsste nur genau hingucken. Sind dann solche Religionswechsel eigentlich überflüssig, oder steckt hinter der Sehnsucht ausgerechnet nach dem Buddhismus auch noch etwas anderes?
Schmidt-Leukel: Ja und nein. Es ist doch durchaus so, dass Religionen in bestimmten Bereichen eine stärkere Expertise, eine stärkere Kompetenz entwickeln. In einer anderen Religion gibt es auch diese Ansätze, aber sie sind nicht so vielfältig.
Am Beispiel der Meditation: Der Buddhismus hat eine große Vielfalt an meditativen Techniken entwickelt. Das Christentum kannte in seiner Geschichte auch eine sehr breite Vielfalt kontemplativer Übungen, die aber heute vielfach verkümmert sind. Wir können zurzeit beobachten, dass im Christentum Meditation und Kontemplation wieder stärker zunimmt, angeregt durch buddhistische Ansätze.

Religionen können voneinander lernen

Das heißt, für einen einzelnen Menschen kann es durchaus von seiner oder ihrer jeweiligen Biografie her sinnvoll sein, zu einer anderen Religion zu konvertieren. Und zwar dann, wenn der entsprechende Mensch dort einen besseren Weg zum Verständnis des Lebens und zum Verständnis auch der letzten Wirklichkeit findet als in der Form der Religion, in der er persönlich bisher groß geworden und sozialisiert worden ist.
Aber auf das Ganze gesehen stellen wir dann doch global fest, dass Religionen voneinander lernen, sich gegenseitig beeinflussen und darin ihre Vielfalt im Grunde genommen weiter zunimmt, aber auch ihre Überlappungen weiter zunehmen.
Dietrich: Wenn man die fraktale Grammatik religiöser Phänomene ernst nimmt, sind sich Buddhismus und Christentum gar nicht so fremd, wie es auf den ersten Blick scheint. Das sagt der Religionswissenschaftler und interkulturelle Theologe Perry Schmidt-Leukel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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