Geistliche Führer im Buddhismus

Ist der Dalai Lama Stellvertreter Buddhas?

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Der Dalai Lama unscharf im Vordergrund, neben einem Buddha.
Im Westen glauben viele, der Dalai Lama sei Stellvertreter Buddhas - ist er aber nicht, erklärt die Buddhistin Carola Roloff. Und auch nicht Oberhaupt aller Buddhisten. © imago / BrunoPress
Von Mechthild Klein · 18.07.2021
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Er ist das bekannteste Gesicht des Buddhismus im Westen: der Dalai Lama. In seiner Funktion als geistliches Oberhaupt der Tibeter vergleichen ihn manche sogar mit dem Papst. Aber ist er auch Stellvertreter Buddhas auf Erden?
Um es einmal klar zu sagen: Der Dalai Lama ist nicht Stellvertreter des Buddha hier auf Erden. Und er ist auch nicht das Oberhaupt aller Buddhisten – "sondern wenn, dann nur das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Das heißt, wie der Papst in der katholischen Kirche eben auch nicht der Papst aller Christen ist, ist auch der Dalai Lama jetzt nicht das buddhistische Oberhaupt aller Buddhisten." Das sagt Carola Roloff, buddhistische Nonne und Professorin für Buddhismus an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.

Unterschiedliche Oberhäupter je nach Orden

Soweit die Grundaussage. Wohl alle religiösen Schulen kennen religiöse Oberhäupter. Roloff verweist auf die verschiedenen Ordensstrukturen in den Ländern, in denen sich der Buddhismus innerhalb von 2500 Jahren ausgebreitet und weiter aufgefächert hat. Jedes Kloster habe Äbte oder Äbtissinnen und jede Schule habe höchste Repräsentanten der Orden.
Schließlich gibt es Entscheidungen zu treffen, wie die Ordensregeln heute zu verstehen sind, erklärt Roloff: "Zum Beispiel gibt es eben in Thailand den Sangha Raja. Das ist das Oberhaupt des Sangha, der höchste Mönch im Land. Übersetzt heißt Raja: König." Und Sangha ist die Gemeinde. Damit ist der Sangha Raja sozusagen der König der buddhistischen Gemeinschaft.

Buddha bestimmte seine Lehre zum ‚Nachfolger‘

"Und das ist eine interessante Entwicklung, die das historisch genommen hat, weil der Buddha selber hat eben zu seinen Lebzeiten gesagt, dass er keinen Nachfolger bestimmt", sagt Roloff. Eine weise Entscheidung des Buddha. Kein Nachfolger bedeutet keine Dynastie oder Erben, die streiten, wer der höchste Lehrer sei. In der Theorie zumindest. Buddhas Entscheidung war so wichtig für seine Mönchsgemeinde, dass sie auch in die frühesten Schriften eingegangen ist, in die Lehrreden, auf Pali: Suttas. Dort heißt es, dass der Buddha diesen Entschluss auf seinem Sterbebett verkündete.
"Das kann man nachlesen in dem Mahaparinibbana Sutta, also in dem Sutta, der Lehrrede, die von dem Tod des Buddha berichtet, wie er gestorben ist", erzählt Roloff. "Da heißt es: Dann richtete der Erhabene an den ehrwürdigen Ananda – das war sein Lieblingsschüler, der ihn begleitet hat – die Worte: ‚Ananda. Es könnte euch vielleicht der Gedanke kommen, der Lehrer, der uns das Wort verkündete, ist dahin gegangen. Wir können uns nun auf keinen Lehrer mehr berufen. Aber so dürft ihr die Sachen nicht ansehen, Ananda. Die Lehre und die Regel, die ich euch gepredigt und vorgezeichnet habe, die sind eure Lehrer nach meinem Ende.‘ Also da hat der Buddha deutlich gesagt, dass der Vinaya, die Ordensregeln, und eben der Dharma, seine Lehre, seine Nachfolger sind."
Wenn man Buddhist wird und Zuflucht zum Buddha nimmt, gibt es ein kleines Ritual. In ihm wird der persönliche Lehrer in seiner Lehrfunktion als Buddha gesehen. Man verbeugt sich dabei drei Mal vor einer Buddhastatue und dann drei Mal vor dem Lehrer oder der Lehrerin. Roloff warnt aber davor, aus diesem Geschehen falsche Schlüsse zu ziehen: "Wenn man das zu wörtlich nimmt und damit meint, dass jeder Lehrer ein Buddha ist, dann wird die Fehlbarkeit des Lehrers ausgeblendet. Und das soll natürlich auf keinen Fall geschehen."

Auch der Dalai Lama ist fehlbar

Übrigens: Auch der Dalai Lama ist fehlbar. Dennoch – wenn er Lehrunterweisungen gibt, dann wird er in gewisser Weise wie ein lehrender Buddha angesehen. Ähnlich beurteilt es Jens Schlieter, der das religionswissenschaftliche Institut in Bern leitet. Der Dalai Lama, sagt er, gilt auch als Verkörperung des Bodhisattva des Mitgefühls. Bodhisattvas sind Wesen, die auf dem Weg zum Erwachen, zur Erleuchtung besonders weit fortgeschritten sind.
"Als Bodhisattva hat er eben das Gelübde auf sich genommen, solange wiederzukehren in diese Welt, bis allen leidenden Wesen aus der Welt des Leidens herausgeholfen worden ist", sagt Schlieter. "Und in dieser Hinsicht, kann man sagen, ist er vielleicht der Stellvertreter der Idee, wie ein Buddha in der Welt wirken soll, aber nicht Stellvertreter des Buddha."

Suche nach der nächsten Reinkarnation

Im tibetischen Buddhismus hat sich ein System etabliert, in dem angenommen wird, dass sich hohe Würdenträger wiederverkörpern können, um ihren Schülern auf dem Weg zur Erleuchtung beizustehen. Das gilt auch für den derzeit XIV. Dalai Lama. Nach seinem Tod werden sich Suchkommissionen auf den Weg machen, um die nächste Reinkarnation als drei- oder vierjähriges Kind aufzufinden und dann in der Tradition zu erziehen.
Auch wenn der Dalai Lama immer gerne betont, dass er nur ein einfacher Mönch sei, erklärt Schlieter: "Einer, der sich entschieden hat für einen ganz bestimmten Lebenswandel. Er möchte Rat geben. Er möchte auch sicher das Amt beeinflussen in der Hinsicht, dass er ja deutlich gemacht hat, dass er Einmischungen in die Suche des nächsten Dalai Lama seitens der chinesischen Administration ablehnt."

Inkarnation in mehreren Teilen?

Ob und wie der nächste Dalai Lama wiedergeboren wird, darüber gibt es verschiedene Aussagen. Das geht so weit, dass es auch mehrere Teil-Inkarnationen geben könne, auch außerhalb von Tibet. Die Schwierigkeit des zukünftigen Dalai Lama als Amtsträger wird dann sein, alle Erwartungen zu erfüllen. Die Erwartungen der Tibeter in der autonomen Region als Teil Chinas – und die der Exil-Tibeter in Nordindien und der westlichen Welt. Doch bis es soweit ist, rezitieren seine Anhänger viele schutzverheißende Mantras. Für ein langes Leben des amtierenden Dalai Lama.
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