Dialekte, Soziolekte und Defekte

Wie die „Salzgürke“ die deutsche Literatursprache aufmischte

32:49 Minuten
Tomer Gardi bei der Veranstaltung zur Vorstellung seines Buches im Literarischen Colloquium Berlin. Er steht vor in einem bunten Hemd vor einer gekachelten Wand und schaut in linke obere Bildecke.
Der Titel ist Programm: In „Broken German“ erzählt der Schriftsteller Tomer Gardi in gebrochenem Deutsch. © picture alliance / dpa / Carsten Koall
Von Katharina Teutsch · 13.01.2023
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Deutschsprachige Romane sind längst nicht mehr nur in reinem Hochdeutsch geschrieben. Auch preisgekrönte Gegenwartsliteratur ist im zunächst fehlerhaft wirkenden migrantischen Deutsch verfasst. Ist das Empowerment oder Integrationsverweigerung?
In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geht es immer bunter zu. Wer zu einem neueren Roman greift – einem Roman, der mit einem hoch angesehenen Preis ausgezeichnet wurde, kein unbekanntes Werk! – findet auf dessen Seiten zuweilen nicht mehr die literarische Hochsprache vor. Ja, nicht einmal mehr die Umgangssprache, mit der Autorinnen und Autoren schon seit längerer Zeit dem Leben und dem Alltag hinterherjagen. Sondern eine Sprache, die nicht zufällig einen englischen Namen trägt: „Broken German“. Es ist das Deutsch des Israelis Tomer Gadi.

Von der "Kanak Sprak" zum "Broken German"

Dialekte und Soziolekte, also die Ausdrucksweisen regionaler und sozialer Kollektive, haben schon länger Einzug in die Literatur gehalten. Dann kam das auf den ersten Blick fehlerhafte Deutsch der Immigranten hinzu, das Feridun Zaimoglu schon mal „Kanak Sprak“ nannte und nun eher "Broken German" heißt. Dialekte, Soziolekte und Defekte mischen die deutsche Literatursprache auf. Sie ist endgültig in der globalisierten Welt angekommen.
„Broken German“ ist der Titel des ersten Buches von Tomer Gardi. Der Israeli erzählt von einem Israeli, der gemeinsam mit anderen Migranten das eine oder andere Abenteuer in Berlin erlebt. Ein Kapitel aus dem Roman hat Gardi 2016 beim renommierten Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Lesewettbewerb vorgetragen. Nach der Lesung wird jeder Text von einer Fachjury diskutiert, was sich der Autor ohne Gegenwehr anhören muss. So geschah es auch mit „Broken German“, und die Jurorin Meike Feßmann artikulierte ihre Verunsicherung deutlich.

 „Für mich war's schon beim stillen Lesen, aber jetzt auch wieder, so, dass man sich natürlich fragt, (...) ich formuliere es mal sehr deutlich: Wie sind die Einwanderungsbedingungen in die Sprache? Gibt es sozusagen einen Liberalismus des Sprachgebrauchs, dass man sagt: ‚Wir freuen uns, Tomer Gardi ist da! Er nimmt als Israeli an dem Wettbewerb teil, es macht aber nichts aus, dass er nicht so gut Deutsch spricht.‘ Oder ob man sagt: ‚Bei 'nem Literaturwettbewerb sollte eigentlich die Grundvoraussetzung die Beherrschung der Sprache sein.‘“

Nun steht in der Literatur nicht anders als in der Auto- oder Topfproduktion die Innovation hoch im Kurs. Im Kern kreisen ästhetische Diskussionen immer um die bewusstseinsfördernde Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten – und um die Entscheidung, ob es sich nun um Virtuosität oder Dilettantismus handelt. Politisch-moralisch gewendet: Ist „Broken German“ oder „Kanak Sprak“ Empowerment oder Integrationsverweigerung?

Literatur als einigendes Band

Im Deutschen werden diese Fragen erbitterter verhandelt als im Englischen, wo man schon seit Jahrhunderten die divergierenden Sprech- und Schreibweisen von Nichtmuttersprachlern erträgt – als zuweilen unerfreuliche Nebenwirkung der einst zahlreichen Kolonien. Vor allem aber, weil die Kultur, die Sprache, die Literatur den Deutschen lange als einigendes Band dienen musste. Die politische Einigung im Nationalstaat ließ nämlich bis 1871 auf sich warten.
Das ist inzwischen eine Weile her. Tomer Gardi, Feridun Zaimoglu, Wolf Haas, Roland Reichen und viele andere betreiben mit ihren Büchern (auch) nationale Lockerungsübungen. Ohne Widerstände geht das nicht ab.
(pla)
Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Eva Meckbach, Robert Frank
Ton: Jan Fraune
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Jörg Plath

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