Gün Tank "Die Optimistinnen"

Die unerzählten Geschichten der Arbeitsmigrantinnen

09:45 Minuten
Fallback Image
© Deutschlandradio
Gün Tank im Gespräch mit Andrea Gerk · 12.09.2022
Audio herunterladen
Während die deutschen Frauen im Dorf Kopftuch tragen und zu Hause bleiben, gehen die Arbeitsmigrantinnen der 70er tagsüber in die Fabrik und abends im Minirock aus. Mutig kämpfen sie für bessere Bezahlung: Gün Tanks Debütroman entreißt sie dem Vergessen.
Mit 22 Jahren kommt Noa in den 1970er-Jahren nach Deutschland und lebt in einem Wohnheim in der Oberpfalz. Sie ist eine der vielen Arbeiterinnen dieser Jahre in Deutschland, die aus Spanien, Italien, Griechenland, Jugoslawien oder der Türkei kamen.
Sie sind es, die im Minirock ausgehen und täglich in die Fabrik stiefeln, während viele der oberpfälzischen Frauen im Dorf Kopftuch tragen und Hausfrauen sind. Weil die Arbeitsbedingungen in der Fabrik schlecht sind und die Entlohnung nicht gerecht, kämpfen die Frauen.

Die Geschichte der Generation ihrer Mutter

Die Autorin Gün Tank erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte der Generation ihrer Mutter, einer Gruppe von Migrantinnen, die als Erste kamen, also vor den Männern. Dieser Fakt allerdings ist wenig bekannt und genau darüber habe sie sich "gewundert", sagt Gün Tank und sich darum "auf den Weg gemacht".

Ich habe mir das genau angeschaut, gerade in der Zeit, wo es anfing, über muslimische Frauen zu diskutieren, dass sie unselbstständig seien und sich nicht integrieren und unterdrückt sein würden: Frauengeschichten.

Gün Tank, Autorin

Sie selbst sei groß geworden in einem Frauenkreis, der divers und kämpferisch war und musste feststellen, dass sie "eben nicht die einzige" war, die in einem solchen Kreis groß geworden ist und dass es hier sehr viele unerzählte Geschichten gibt.
Am Anfang standen für sie dann Gespräche mit Frauen, zunächst aus Interesse und später dann "mit Diktiergerät und konzentriert", wie Gün Tank erzählt. Ein Drittel der Arbeitsmigranten in dieser Zeit waren Frauen: "Sie sind allein gekommen und waren praktisch die Ernährerinnen."
Ihre Mutter sei für sie dann aber nicht nur in dieser Rolle eines der Vorbilder für ihre Arbeit, sondern auch in ihrer Rolle als politische Aktivistin: "Für den Roman habe ich diese verschiedenen Frauen, die ich gehört habe, die ich kannte, mit denen ich Interviews geführt habe, dort verarbeitet."

Frauen der ersten Generation bekommen eine Stimme

Grundlage der Geschichten über die Proteste der Frauen in ihrem Buch sei natürlich Fiktion, aber auch der Streik in Pierburg 1973 u.a. gegen die ungerechte Bezahlung der Frauen in der sogenannten "Leichtlohngruppe".
"Pierburg war einer der ersten Betriebe, die die Leichtlohngruppe aufheben mussten aufgrund des Drucks dieser Frauen", sagt Gün Tank über eine der Arbeitsauseinandersetzungen eben in Pierburg aus dieser Zeit und aus ihrem Roman.
Ihr Roman als Geschichte über das Leben und die Auseinandersetzungen der Frauen sei ein Versuch, diese Zeit "spürbarer zu machen". Frauen dieser ersten Generation von Migrantinnen hätten ihr in Reaktion auf ihren Roman und die Geschichte gesagt:
"'Endlich bekommen wir eine Stimme, eine lautere Stimme.' Aber nicht nur bei den migrantischen Frauen. Ich habe in Erlangen auf dem Poetenfest eine deutsche Frau erlebt, die zu mir kam und sehr emotional war und sagte: 'Dankeschön, dass du auch darauf aufmerksam gemacht hast, dass damals Anfang der 70er-Jahre wir deutschen Frauen abhängig waren von unseren Ehemännern und er entscheiden konnte, ob ich arbeiten durfte oder nicht. Ich war eine von ihnen.'"
(sru)

Gün Tank: "Die Optimistinnen"
Verlag S. Fischer
Frankfurt, 2022

Mehr zum Thema