Brexit für Frankreich

Der Weinhandel wird nervös

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Das Bild zeigt mehrere Weinberge und das Château Angelus in Saint-Émilion in der Nähe der Stadt Bordeaux im Südwesten Frankreichs.
Die Region um Bordeaux mit ihren Weinbergen: Der Brexit wird dort wohl einiges verändern. © picture alliance / dpa / Christian Guy
Von Anne Françoise Weber · 24.01.2019
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Je näher der 29. März rückt, desto wahrscheinlicher wird ein harter Brexit ohne Abkommen. Das hätte auch Auswirkungen auf die französische Weinexport-Region um Bordeaux, die kulturell und historisch eng mit Großbritannien verbunden ist. Die beschränken sich wohl nicht auf den Wein.
Dominique Orain führt durch ihre Boutique "Tea cosy" in der Altstadt von Bordeaux. Der kleine Raum ist voller Teekannen, Geschirr, Stoffe und Gadgets aus Großbritannien. Schon als Kind hat die zierliche Frau ihre Liebe zur großen Insel entdeckt und daraus vor 28 Jahren mit der Eröffnung der Boutique ihren Beruf gemacht.
Viele Veränderungen hat sie in dieser Zeit erlebt: Während sie früher noch in England in großen, staubigen Lagerräumen das schönste Geschirr für ihre französischen Kunden aussuchte, kann sie heute die Modelle selbst entwerfen und bestellen. Manche Firmen haben die Produktion in Billiglohnländer ausgelagert. zum Teil – der Qualität wegen – auch schon wieder zurück nach Großbritannien geholt. Und jetzt steht wieder eine große Umstellung an: der Brexit. Dominique Orain rechnet mit unterschiedlichen Auswirkungen:
"Weniger zügige Verhandlungen, mehr Verwaltungsaufgaben, vor allem die Zollformalitäten. Selbst wenn der Brexit zum 30. März passieren sollte, wird kaum alles bereit sein, das ist unmöglich. Es kann sein, dass es einige Stichprobenkontrollen gibt, die es zuvor nicht gab. Vermutlich ist das zunächst alles."

Vor dem Brexit noch einmal Ware einkaufen

Ende Januar fährt Domininique Orain noch einmal nach Großbritannien, um vor dem Brexit neue Ware einzukaufen und zumindest einen Teil davon in ihrem Auto mitzunehmen. Das dürfte ab dem 30. März wegen der Einfuhrkontrollen dann komplizierter werden – und teurer, wenn gar kein Handelsabkommen geschlossen wird und Zölle auf alle Waren anfallen. Wie hoch diese wohl sein werden?
Orain: "Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich weiß es einfach nicht. Und ich glaube, selbst wenn ich mich auf die Suche nach Antworten mache, werde ich sie nicht finden."

Dominique Orain will aber trotzdem demnächst beim französischen Zoll nachfragen. Genau dazu rät auch dessen Leiter für die Region Nouvelle Aquitaine, Serge Puccetti.
Dominique Orain führt durch ihre Boutique "Tea cosy" in der Altstadt von Bordeaux.
Dominique Orain, Inhaberin der Boutique "Tea cosy" in Bordeaux.© Deutschlandradio / Anne Françoise Weber
"Die Zölle sind für Europa festgelegt, das nennt man den einheitlichen Außenzoll. Jede Ware hat ihren Zolltarif, das muss man nicht verhandeln. Man kann den anfallenden Zoll einer Ware auf der Webseite der Europäischen Union herausfinden. Wer sich Sorgen macht, sollte sich an die Zollbehörden wenden. Wir können den Leuten Auskunft geben, wie viel Zoll sie zahlen müssen, wenn sie ein Telefon, eine Armbanduhr oder eine Flasche Wein importieren. Das ist alles völlig transparent und existiert schon, denn wir werden die gleichen Zölle, die wir heute für die USA anwenden, morgen sicherlich für Großbritannien anwenden."

Es gibt mehr Fragen als Antworten

Schwieriger wird es jedoch in die andere Richtung – wer Waren nach Großbritannien exportieren will, kann jetzt noch nicht wissen, mit welchen Zöllen zu rechnen ist.
"In den internationalen Beziehungen gibt es Abkommen, die einem Land erlauben, Waren aus einem Land anders zu verzollen als aus einem zweiten. Das Vereinigte Königreich ist völlig frei, das zu tun. Dafür braucht es aber noch Abkommen mit der Europäischen Union. Und so weit sind wir noch nicht. Vorerst diskutieren wir nur darüber, wie wir uns scheiden lassen. Wir reden noch nicht darüber, wie wir danach zusammen leben."


Dass Frankreich und Großbritannien auch nach dem Brexit irgendwie zusammenleben werden, davon ist Hubert Lagrue überzeugt. Er ist Courtier in Bordeaux, das heißt, er vermittelt zwischen Weinproduzenten und Weinhändlern aus der Region. Früher hat Lagrue im internationalen Weinhandel gearbeitet und sich vor allem um Großbritannien gekümmert; er kennt das Königreich sehr gut.
Serge Puccetti, Leiter des Zolls für die Region Nouvelle Aquitaine
Serge Puccetti, Leiter des Zolls für die Region Nouvelle Aquitaine. Betroffene Unternehmen können sich an seine Behörde wenden.© Deutschlandradio / Anne Françoise Weber
Hubert Lagrue: "Es gibt wirklich eine sehr wichtige Tradition des Weinhandels, den die Briten sehr belebt haben. Seit rund zehn Jahren sind die Chinesen die Weltmarktführer, aber sehr, sehr lange war England, oder vielmehr Großbritannien der erste Exportmarkt für Bordeaux-Weine. Und diese Geschichte ist immer noch aktuell, es gibt sehr viele Brücken zwischen diesem Land und unserer Region."
Zumal Aquitanien vom 12. bis zum 15. Jahrhundert zur englischen Krone gehörte und auch danach die Verbindung nie wirklich abgerissen ist. Deswegen ist Hubert Lagrue auch optimistisch, dass der Weinhandel mit Großbritannien weitergeht.


"Die Störungen werden vielleicht sechs Monate oder ein Jahr dauern. Aber wir haben das Glück, mit 2018 einen schönen Jahrgang zu haben. Das wird alle motivieren, da steckt Geld drin. Der Wein ist auch ein Business. Und die britischen Händler sind auch Geschäftsleute mit einem feinen Finanzgespür. Sie spielen nicht auf direkten Ankauf – Verkauf, sondern auf ein Spekulationsgeschäft über zehn Jahre. 2018 ist ein Jahrgang, über den man 20 Jahre lang sprechen wird. Was wissen wir schon, wie der Markt in 20 Jahren aussieht. Deswegen relativiere ich die sicherlich realen Auswirkungen des Brexits auf unserem Niveau. Denn es gibt diese historische Verbindung und diese Fähigkeiten, Lösungen zu finden. Es ist ihr Geschäft und unseres, das wird weitergehen."
Hubert Lagrue vermittelt als Courtier zwischen Weinproduzenten und Weinhändlern.
Hubert Lagrue vermittelt als Courtier zwischen Weinproduzenten und Weinhändlern.© Deutschlandradio / Anne Françoise Weber
Hubert Lagrue spricht für die Spitzenweine, solche, die auch mal für rund 2000 Euro pro Flasche verkauft werden. Diese Weine machen rund fünf Prozent der Produktion, aber inzwischen fast 30 Prozent des Umsatzes aus. Was aber ist mit den anderen, guten, aber eben nicht ganz so exquisiten Weinen aus der Region?

Britische Kunden werden nervös

Sylvie Courselle betreibt zusammen mit ihrer Schwester das Weingut Chateau Thieuley, ein malerisches Anwesen ungefähr 30 Kilometer südöstlich von Bordeaux gelegen. Rund zehn Prozent der Produktion ihres Familienbetriebs, ungefähr 15.000 Flaschen jährlich, gingen bisher nach Großbritannien. Jetzt bemerken die Schwestern, dass ihre britischen Kunden nervös werden.
Sylvie Courselle: "Ich glaube, es wird noch einige Bestellungen vor dem Brexit geben, um nicht allzu sehr von dem wahrscheinlich schlechten Tauschkurs betroffen zu sein. Die Zölle wurden bisher nicht verhandelt, selbst die Engländer wissen nicht genau, ob und wie sie eingeführt werden. Wir haben sehr wenig Einblick, was in nächster Zeit passieren wird."
Umso wichtiger ist es für Courselle, sich schon nach anderen Kunden umzusehen, zumal sie damit rechnet, dass durch den schlechten Pfundkurs und mögliche Zölle der Konsum französischer Weine in Großbritannien sinken wird. Weine aus anderen, mit Großbritannien verbundenen Ländern wie Australien, Neuseeland oder Argentinien könnten größere Marktanteile übernehmen. Gleichzeitig will sie am britischen Markt festhalten:
Sylvie Courselle: "Der britische Markt ist ein sehr reifer Markt, die Leute sind große Kenner und Verkoster. Unsere Weine müssen auf jeden Fall weiterhin auf diesen Markt kommen. Er ist für Bordeaux-Weine wichtig. Bordeaux wird von diesen Kunden getrunken. Wir werden uns von diesem Markt nicht abwenden, sondern Kompromisse finden."


Jane Anson ist so etwas wie die Personifizierung dieser britischen Weinkenntnis. Sie lebt seit 15 Jahren in Bordeaux und schreibt Bücher und Fachartikel über die hiesigen Weine. Ihr Mann, ebenfalls Brite, ist Weinhändler – das Ehepaar erfährt also direkt, wie sich die britischen Weinkunden auf den Brexit vorbereiten.
Sylvie Courselle vom Familiengut Château Thieuley 
Sylvie Courselle vom Familiengut Château Thieuley © Deutschlandradio / Anne Françoise Weber
Jane Anson: "Es gibt zwei Lager, glaube ich – die einen, die jetzt viel Wein kaufen, um genug auf Lager zu haben, vor allem, falls der Wechselkurs des Pfunds für die Menschen in England ungünstig wird. Andere warten immer noch ab, weil sie nicht wissen, was passiert. Oder sie kaufen Wein aus anderen Weltgegenden, Australien oder Neuseeland. Man kann heute nicht sagen, was die Folgen bis zum Jahresende sein werden."

Brexit könnte vielleicht sogar Vorteile bringen

Anson hat schon beobachtet, dass sich Weinbauern in der Region umorientieren, um ihr Produkt anderswo zu verkaufen. Für die wenigen britischen Weinbauern, die auch aufgrund des Klimawandels immer bessere Weine produzieren, könnte der Brexit mit einem Preisanstieg für importierte Weine vielleicht sogar Vorteile bringen. Allerdings sind auch sie auf Handel mit dem Festland angewiesen, erklärt Anson, zum Beispiel, weil sie ihre Weintanks in Deutschland oder Frankreich kaufen.
Jane Anson: "Ich glaube, das Problem ist, dass man nicht nur den Wein allein betrachten kann. Wenn es nur um den Weinhandel zwischen Europa und Großbritannien ginge, dann würde man sicher eine schnelle Lösung finden. Denn Großbritannien ist ein sehr wichtiger Markt für Europa. Und Europa will sicher auch weiterhin in England verkaufen. Aber der Weinhandel ist eben nur ein winziger Teil eines größeren Problems. Und der Handel wird nicht wichtiger sein als die Politik. Deswegen weiß man nicht, was passieren wird."

Fast 40.000 britische Staatsbürger leben um Bordeaux

Nicht nur beruflich ist vieles unklar für Jane Anson und ihren Mann – auch privat müssen sich die beiden darauf einstellen, bald nicht mehr als EU-Bürger in Frankreich zu leben. Eine Aufenthaltsgenehmigung für sich und ihre Kinder haben sie schon besorgt – die französischen Behörden waren sehr hilfsbereit, erzählt Anson. Dabei häufen sich die Anträge gerade – fast 40.000 britische Staatsbürger leben in der großen Region Nouvelle Aquitaine um Bordeaux.
Richard Davis: "Wenn die Verhandlungen zwischen Großbritannien und Europa schlecht laufen sollten, dann haben wir ein wenig Angst, dass die Europäer, die im Königreich leben und die Briten, die auf dem Kontinent leben, zu Spielsteinen in diesen Verhandlungen werden. Bislang haben sie sich darauf geeinigt, dass man auf beiden Seiten des Ärmelkanals die Rechte der anderen wahrt. Aber wenn die Verhandlungen härter werden sollten, dann besteht dieses Risiko."
Richard Davis, der an der Universität von Bordeaux Geschichte lehrt und hier verbeamtet ist, möchte möglichst nicht von diesen Verhandlungen abhängen. Deswegen will er nach 30 Jahren in Frankreich jetzt die französische Staatsbürgerschaft beantragen. Diese Lösung gibt es aber nur für wenige. Vor allem für britische Rentner, die dauerhaft in Frankreich leben, könnte es zum Beispiel mit der Krankenversicherung kompliziert werden. Und auch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gelte dann für Briten möglicherweise nicht mehr. So kompliziert das Thema ist, Richard Davis macht die Erfahrung, dass seine Studierenden sich durchaus dafür interessieren:
Richard Davis: "Ich behandle den Brexit in meinen Kursen, das motiviert die Studierenden sehr. Vielleicht nicht alle, aber die guten Studierenden fühlen sich betroffen. Viele reisen regelmäßig nach Großbritannien, und die Vorstellung, dass es auch für sie schwieriger werden könnte, dort zu arbeiten, gefällt ihnen nicht. Es gibt viele junge Franzosen, die gern nach Großbritannien gehen, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Wenn das schwieriger wird, dann verlieren sie – ebenso wie die jungen Briten."

Problemloser Kulturaustausch steht auf dem Spiel

Vor solchen Mobilitätsverlusten warnt auch Valérie Bonnet. Die Gymnasiallehrerin ist zugleich Vorsitzende des Vereins Bordeaux-Bristol, der die Städtepartnerschaft zwischen den beiden Hafenstädten lebendig hält. Nicht nur Schulklassen, sondern auch Postbeamte, Fahrradbegeisterte, Fußballer oder Künstler beider Länder konnten sich schon mit Hilfe des Vereins gegenseitig besuchen. Jetzt fürchtet Valérie Bonnet, dass die Erasmus-Programme für Studierende mit Großbritannien längerfristig nicht weitergeführt werden. Ganz konkret hofft sie gerade, dass für den nächsten geplanten Schüleraustausch im April nicht plötzlich Visa nötig sein werden.
Valérie Bonnet: "Man muss den Verantwortlichen auf beiden Seiten sagen, dass es wirklich unglaublich schade wäre für die jungen Leute und für die Künstler, Musiker, Sportler und andere, wenn dieser Austausch beeinträchtigt würde. Denn wir haben so viel zu teilen, und die Kultur ist wirklich eines der Mittel, um die Menschen zusammenzuschweißen."
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