Bob Woodward: "Wut"
Übersetzt aus dem Englischen von Henriette Zeltner-Shane u.a.
Carl Hanser Verlag, München 2020
490 Seiten, 24 Euro
Ein Präsident redet sich in Rage
05:40 Minuten
Insgesamt 17 Interviews hat die US-amerikanische Reporterlegende Bob Woodward mit US-Präsident Donald Trump geführt. In seinem jetzt auf Deutsch erscheinenden Buch "Wut" kommt Woodward zu dem Schluss: Trump sei "der falsche Mann für den Job".
Die Reaktion des Präsidenten kam prompt: "Ich habe es sehr schnell gelesen. Und es war sehr langweilig." Das twitterte Trump nach Erscheinen des Buches und machte mit seinen wütenden Tweets dem Titel ("Wut") alle Ehre: Das Buch sei ein "smear job", eine einzige Verleumdungskampagne gegen ihn. Bob Woodward wird es gefreut haben, denn sein zweites Buch über Donald Trump, das erste erschien 2018 unter dem Titel "Fear" (Angst), ist wieder ein Beststeller.
Die Frage, die sich aufdrängt: Warum hat der Präsident mit dem Starreporter überhaupt gesprochen? Hat er in bekannter Selbstüberschätzung geglaubt, den Profi in Sachen politischer Berichterstattung einwickeln zu können?
Man könnte sagen: Es haben sich da zwei gefunden. Zwei alte, weiße, amerikanische Männer. Ein größenwahnsinniger Präsident (74) und ein legendärer Journalist (77), der den Präsidenten zu Fall bringen kann. Wie sich ein König seinen Porträtisten sucht, hat sich Trump seinen Biografen gesucht, denn natürlich ist Woodward die Reporterlegende schlechthin in den USA.
Den ersten Pulitzerpreis erhält Woodward zusammen mit seinem Washington-Post-Kollegen Carl Bernstein für die Enthüllung der Watergate-Affäre 1973, die den republikanischen Präsidenten Richard Nixon das Amt kostet. Den zweiten bekommt er 30 Jahre später als Chefreporter für die Berichterstattung über den Anschlag des 11. September 2001.
Eine Reportage in 46 Kapiteln
Genau betrachtet ist das Buch, das in 46 überschriftlose Kapitel unterteilt ist, eine großangelegte Reportage. Wir sind immer mittendrin im Geschehen. Woodward öffnet die Tür, wenn er Minister trifft und Geheimdienstleute. Gleich im ersten Kapitel legt er den Ton fest: Präsens, kurze Absätze, knappe Dialoge.
Als Trump kurz nach der Wahl einen Verteidigungsminister sucht, führt er mit dem pensionierten Marine-Corps-General James Mattis ein kurzes Gespräch, das so endet: "Stört es Sie, wenn ich Ihren Namen in Mad Dog ändere? – Es steht Ihnen frei. – Klingt großartig. Können Sie den Posten übernehmen?"
Bob Woodward lässt uns mit am Tisch sitzen, wenn er aus den "Liebesbriefen" zitiert, die Trump an den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-Un schreibt und "die sich in meinem Besitz befinden und davon wird hier erstmals berichtet": "Sehr geehrter Vorsitzender Kim. Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen!"
Über das Treffen schreibt der Reporter dann: "Heilige Scheiße, sagte der Präsident. Er behauptete, dass es eines der heftigsten Blitzlichtgewitter war, die er je erlebt hatte". Um dann grinsend zu bilanzieren: "Nordkorea stellt keine nukleare Bedrohung mehr für uns dar."
Halb-Stunden-Telefonate mit Trump
Das Buch ist eine aufwendige Recherche, die geradezu minutiös Ausschnitte aus der vierjährigen Präsidentschaft Trumps Revue passieren lässt. Allerdings aus Sicht jener besagten alten, weißen, amerikanischen Männer, und die interessieren sich meistens für ebenso mächtige Männer: Putin, Erdogan oder Kim Jong-Un. Männer, die "Stärke zeigen". Männer, die "wie Dynamit" sind. Deutschland oder Angela Merkel kommen übrigens fast gar nicht vor. Eine atemlose Serie mit Trump als Superheld im Mittelpunkt. Denn auch ein negativer Held bleibt ein Star.
Mit dem Präsidenten spricht Woodward meistens nur am Telefon; kaum eines der 17 Interviews dauert länger als eine halbe Stunde. Dass der Präsident sich dabei in Lügen verstrickt, ist keine wirklich neue Erkenntnis. Es mag empörend klingen zu erfahren, dass Trump sehr wohl – und auch schon sehr früh, nämlich im Winter – über die Gefährlichkeit von Covid-19 Bescheid wusste, sie aber bewusst herunterspielte.
In seiner Logik ist das konsequent: Wahrheit spielt in der Welt von Donald Trump bekanntermaßen keine Rolle. So wird das Buch dem Wahlkämpfer Trump auf den letzten Metern auch nicht schaden, denn seine Klientel hält solche Publikationen sowieso für "Lügenpresse".
Hätte "Wut" früher erscheinen müssen?
Nach dem Erscheinen der US-Ausgabe im September ist Bob Woodward dafür kritisiert worden, Trumps entlarvende Corona-Passagen nicht vorab veröffentlicht zu haben. Der Washington Post, für die er seit 50 Jahren arbeitet, aber bei der er nicht mehr festangestellt ist, erklärte er: Man wisse ja nie, ob der Präsident lügt.
Als Trump ihm erzählte, das Virus sei gefährlicher als die Grippe, habe er die Information nicht überprüfen können. Ihm sei nur wichtig gewesen, sein Buch vor den Wahlen zu veröffentlichen. Denn so könne jeder lesen: "Trump ist der falsche Mann für den Job!"
In einer Sache muss man Trump zwar recht geben: Das Buch liest sich sehr schnell. Sehr langweilig jedoch ist es nicht.