Monica Black: "Deutsche Dämonen"

Land der Verdrängung

05:16 Minuten
Das Cover des Buches "Deutsche Dämonen" von Monica Black.
© Klett-Cotta

Monica Black

Aus dem Englischen von Werner Roller

Deutsche Dämonen. Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im NachkriegsdeutschlandKlett-Cotta, Stuttgart 2021

544 Seiten

26,00 Euro

Von Hans von Trotha · 20.01.2022
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Nach Auschwitz zum Aufbau. Die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft hatte viel zu verdrängen. Sie setzte dabei auch auf Wunderheiler, wie die US-Historikerin Monica Black in ihrem jüngsten Buch zeigt.
Dämonen gehen immer, Hexen erst recht. Darauf setzt auch das Cover von Monica Blacks "Deutsche Dämonen", die Hexen führt es im Untertitel. Dabei ist Black Professorin für Geschichte an der Universität Tennessee und gilt als Koryphäe für deutsche Sozial- und Kulturgeschichte.
In ihrem neuen Buch verbindet sie beide Bereiche, um einem Phänomen auf den Grund zu kommen, über das lange nicht geredet wurde, da für das das Nichtreden konstitutiv ist: Die Frage, wie die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft unter dem Trauma von Schuld, Verantwortung und Verstrickung angesichts der schlimmsten Menschheitsverbrechen, die es je gegeben hat, so reibungslos funktionieren und sich dem Wiederaufbau zuwenden konnte.
Blacks Antwort: Verdrängung. Sie rekonstruiert Wege, die sich das, worüber nicht gesprochen wurde, durch die Gesellschaft der frühen BRD bahnte, „in dieser Ära merkwürdiger Auslassungen und dröhnenden Schweigens“. Sie sieht ihr Buch als „Portal in ein von Dämonen heimgesuchtes Land“, so der Untertitel des Originals.

Auratische Ex-Nazis

Black ist sich nicht zu schade, einzelnen Vorgängen bis in die entlegensten Regionen und Archive der deutschen Provinz zu verfolgen. Das gilt insbesondere für die Geschehnisse um den als Wunderheiler verehrten Bruno Gröning, laut Black „bekanntester Deutscher der Nachkriegszeit, bekannter als Adenauer und Erhard“.
Der ehemalige Nazi heilte qua Aura - quasi als praktizierender Charismatiker. Als Spezialistin für deutsche Sozialgeschichte ruft Black nicht nur hiesige Traditionen der Volksmedizin und des Hexenglaubens auf, sie kennt auch rechtliche Grauzonen wie die „Kurierfreiheit“. Diese erlaubt es allen Deutschen, heilend tätig zu sein nach dem von Bismarck formulierten Motto: "Wem Gott und die Natur die Fähigkeit zum Heilen gegeben haben, dem darf die Polizei sie nicht nehmen."

Die Frage nach dem Bösen

Bruno Gröning heilte Menschen, stellt Black fest, um zu fragen: „Wovon heilte er sie?“ Es geht um die Frage des Bösen, um die Frage nach dem Zusammenhang von Schuld und Krankheit, von Unschuld und Heilung. Das sei "eine zutiefst historische Frage, eine Frage von 'Warum an diesem Ort?' und 'Warum zu dieser Zeit?'", meint Black.
Die Hexen kommen dabei übrigens eher kurz. Aber das macht nichts. Die akribische Quellenarbeit vor dem Hintergrund tiefgehender Kenntnisse wirft auch so Licht in eine diffus im Halbdunkel gehaltene Sphäre.
Bisweilen ist es ungewohnt zu lesen, wie die Geschichte der eigenen Großeltern als Skurrilität in einem exotischen Soziotop der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft seziert wird. Am Ende vergleicht Black deren Verdrängungskultur nicht nur mit einer "unausgesprochenen und sublimierten schrecklichen Angst im Zentrum des Lebens im weißen Amerika: dass rachsüchtige Geister zurückkehren und das zurückfordern, was ihnen gehört", sie formuliert auch, welche beängstigende Frage sie bei der Wahl des Sujets letztlich geleitet hat: „Was bedeutet es für uns alle, wenn eine Nation sich so rasch von der Errichtung von Auschwitz auf den Aufbau einer im Neonlicht glänzenden Überflussgesellschaft umstellen kann?“

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