Bilanz der Documenta 15

Die Kunst hat ihre Unschuld verloren

11:06 Minuten
The Nest Collective aus Nairobi macht mit "Return to Sender", einer begehbaren Installation aus Müll, auf den Transport von Müll, Elektroschrott und Textilien in die Länder des Globalen Südens aufmerksam, die dort zur Zerstörung der Umwelt und der Ökonomie beitragen.
Die Documenta 15 wird als die Ausgabe mit dem Antisemitismusskandal in die Geschichte eingehen. Dabei gab es auch sehenswerte Kunst dort, wie etwa „Return to Sender“ vom Nest Collective aus Nairobi. © IMAGO / Rüdiger Wölk
Heinz Bude im Gespräch mit Britta Bürger · 24.09.2022
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Die Documenta 15 ist gescheitert, sie musste scheitern, sagt der Makrosoziologe Heinz Bude zum Ende der Schau. Doch er bleibt optimistisch. Für die nächste Documenta prognostiziert er eine deutliche Abkehr.
Nach 100 Tagen heftiger Debatten endet die Documenta 15 mit einer Spaltung in diejenigen, die der Kuratorengruppe Antisemitismus vorwerfen, und Ruangrupa selbst, die sich als Opfer von Rassismus darstellen.
Geht die Documenta 15 damit als Weltkunstdebakel in die Geschichte ein? Als Desaster, als gescheiterter Versuch, dem globalen Süden eine Stimme zu geben?

Documenta musste scheitern

Der Diskursort Documenta ist gescheitert, meint jedenfalls der Makrosoziologe und Gründungsdirektor des unabhängigen Documenta-Instituts Heinz Bude. Er musste seiner Ansicht nach sogar scheitern:
„Ich meine mit notwendigem Scheitern, dass eine bestimmte Rede über Kolonialismus, über Dekolonisierung, über Imperialismus und Hegemonie, über soziale Proteste und - wenn man so will - staatliche Makroverbrechen an ihr Ende gekommen ist. Diese Documenta ist ein Schlussstrich unter eine lange Debatte in der Gegenwartskunst, die so etwa 20, 30 Jahre gegangen ist und die sehr unter der Überschrift Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus gestanden hat, Auseinandersetzung mit den Restelementen des Kolonialismus in unserer Welt.“

Das Kollektiv hat ausgedient

Zu diesem notwendigen Scheitern gehört aber auch der unschuldige Gebrauch des Begriffs des Kollektivs, wie Bude erklärt: Dieser werde von seiner Schuld eingeholt. Bude erinnert an das große Bild „People's Justice“ von Taring Padi, das gleich zu Beginn abgenommen wurde. Ein Bild, das die Gerechtigkeit des Volkes abbilden soll und dabei mit antisemitischen Codes arbeitet.
Hier hätte man sich die Frage stellen können, so Bude: Braucht es für die Idee eines widerständigen Kollektivs einen Gegner, ein „Ihr“? Und warum waren es plötzlich wieder die Juden? Was bedeutet das nicht nur für eine Entwicklungsdiktatur wie Indonesien, sondern auch für unsere Welt? Und was ist das „Ihr“, gegen das sich Kollektive stabilisieren?
Das seien enorme Fragen, so Bude, vor allen Dingen, wenn man wie Ruangrupa gegen staatliche Strukturen sei und auf ursprüngliche Gemeinschaften setze. "Alles das wird es nicht mehr geben. Die Kunst hat mit dieser Documenta auch ihre Unschuld verloren.“

Donna Haraway als nächste Kuratorin?

Doch Bude bleibt optimistisch und hat schon die nächste Documenta im Blick. Er prognostiziert für die 16. Ausgabe der Weltkunstausstellung eine deutliche Abkehr von der nun zu Ende gehenden. Sein Forschungsinstitut werde jedenfalls die aufgeworfenen Fragen aufarbeiten.
Bude kann sich auch vorstellen, dass die nächsten Kuratoren nicht aus dem künstlerischen Feld stammen, sondern Soziologen sind wie Donna Haraway oder Bruno Latour.

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