8. Bibliothekskongress in Leipzig
Orte der Begegnung dürfen auch modern und spektakulär sein: Galeriesaal der Stadtbibliothek am Mailänder Platz in Stuttgart. © picture alliance / dpa / imagebroker / Michael Weber
Ein Ort für alle
05:37 Minuten
Rund 3000 Bibliothekare haben sich in Leipzig darüber Gedanken gemacht, wie ihre Häuser noch mehr zu Stätten der Begegnung werden können. Sie wollen Orte für alle schaffen – jenseits von Bildungsunterschieden, Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht.
Das Kongresszentrum der Leipziger Messe ist gut gefüllt – mit einem Publikum, das ein bisschen an das der Buchmesse erinnert: offen, buchaffin und interessiert daran, die Freude an Büchern mit anderen zu teilen.
Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die hier zusammen gekommen sind, denken gemeinsam darüber nach, wie man Bibliotheken offen halten kann. Offen für alle, auch für die, die nicht schon ohnehin zu den klassischen Bibliotheksbesuchern zählen.
Dazu erzählen sie von ihren jeweiligen Erfahrungen. Ein Kollege aus München berichtet von interkulturellen Märchenlesefesten, bei denen Menschen in ihren jeweiligen Muttersprachen vorgelesen haben. Eine Kollegin aus Basel erzählt von Problemen mit Jugendlichen in ihrer Bibliothek, die sie gelöst hat, indem sie mit den städtischen Sozialarbeitern eine Kooperation aufbaute.
"Es geht nicht ums Belehren"
Eines ist besonders wichtig, meint Volker Heller, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbands: "Es geht nicht ums Belehren, sondern um Begegnung. Wir dürfen als Bibliotheken, und das ist auch ein grundsätzlicher Habitus, nicht sagen: Jetzt bringen wir den Leuten mal was bei." Vielmehr müsse die Bibliothek "Raum für Bedürfnisse" von Menschen schaffen, die sich beteiligen und einbringen wollten.
Immer wieder ist die Rede von Bibliotheken als sogenannten dritten Orten – als Orten jenseits von Zuhause und Arbeit, an denen Begegnungen möglich sind. Die sind vor allem dort wichtig, wo andere Strukturen längst weggebrochen sind, wo Bäcker und Post längst dicht gemacht haben, der Bahnhof still gelegt ist.
Mit dem Soforthilfeprogramm „Vor Ort für Alle“ unterstützt der Deutsche Bibliotheksverband Bibliotheken in ländlichen Räumen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die Kommunen hinter ihrer Bibliothek stehen.
Engagement allein reicht noch nicht, erklärt Mirko Winkelmann, der das Förderprogramm leitet. "Es gibt viele Kommunen, wo schlicht das Geld fehlt, um einen neuen Ort aufzubauen."
Auch gebe noch Kommunen, in denen die Vorstellung dessen, was eine Bibliothek ist und sein kann, nicht sehr weit gediehen sei. Demgegenüber ständen aber immer mehr Kommunen, "die das auch begreifen, dass die Bibliothek sehr wichtig ist, ein wichtiger Anker vor Ort, um die Leute dort zu halten, um ein Angebot vor Ort für die Menschen zu haben."
Fahrbibliotheken und Co-Working-Spaces
In den vergangenen Jahren sind tolle Projekte entstanden: Fahrbibliotheken, die als große, moderne Wohnmobile daherkommen, mit sogenannten Maker Spaces, in denen die Kinder eines Dorfes zu einem gemeinsamen Workshop zusammen kommen. Bibliotheken, die Co-Working-Spaces anbieten oder Räume, in denen die jugendlichen Gamer des Ortes zusammen kommen.
Und dann sind da Bibliotheken, die mit der örtlichen Musikschule kooperieren – oder sogar mit dem Schwimmbad. Röbel an der Müritz habe beispielsweise ein E-Bike bekommen, mit dem jetzt Bücher zu den älteren Menschen gebracht würden, berichtet Winkelmann: "Mobilitätseingeschränkte Personen erhalten so ihre Buchbestellungen."
So gebe es einen Austausch zwischen der Bibliothek und Nutzern. "Das ist natürlich gerade für ältere Personen ganz wichtig, um nicht komplett von der Gesellschaft vergessen zu werden."
Die Mitarbeitenden sensibilisieren
Ältere Menschen auf dem Dorf und ihre Bedürfnisse spielen auf diesem Kongress genauso eine Rolle wie Menschen, die vielleicht noch gar nicht sichtbar sind in Bibliotheken. Das können Menschen sein, die nicht lesen können, die eine andere Sprache sprechen. Oder solche, die zum Beispiel queer, trans oder asexuell sind.
Mit Diversität in Bibliotheken – sowohl in Hinblick auf den Bestand, als auch auf Besucherinnen und Besucher und die Mitarbeitenden - beschäftigt sich unter anderem Silke Schumann.
"Ein ganz wichtiger Punkt ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sensibilisieren, überhaupt aufmerksam zu werden auf Lücken", sagt Schumann. "Das muss man natürlich mit allen im Haus diskutieren. Dass das lebhafte Diskussionen gibt, ist, glaube ich, selbstverständlich."
So stärken Bibliotheken nicht nur Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie bieten in ihrer täglichen Arbeit Orientierung und Information, und immer wieder Dialog und Miteinander, meint Volker Heller: "Bibliotheken werden die Welt nicht retten, aber jeder Tag, an dem eine Bibliothek in diesem Sinne mit den Menschen aus dem Einzugsgebiet arbeitet, ist ein guter Tag für die Demokratie."